Das Geschäft mit den Scheinpraktika

Mit der Hoffnung auf einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz werden Jugendliche und Langzeiterwerbslose als billige Arbeitskräfte geködert. Eine wirksame Kontrolle gibt es nicht. Der geplante Mindestlohn könnte zumindest den größten Missbrauch eindämmen.

Jörn Boewe und Johannes Schulten in der aktuellen Ausgabe des Hintergrund Nachrichtenmagazins.

 

»Ohne Druck wird sich nichts zum Besseren bewegen«,

sagt die Krankenschwester und Personalrätin Dana Lützkendorf in unserer Geschichte über den jüngsten Tarifkonflikt an der Berliner Charité in der aktuellen Ausgabe des Magazins Mitbestimmung. Die Pflegekräfte an Europas größtem Uniklinikum gehen auf die Barrikaden, weil die Personalausstattung dort einen kritischen Punkt erreicht hat, an dem Patienten wie Beschäftigte hochgradig gefährdet sind. An anderen Krankenhäusern in Deutschland ist es nicht besser, doch die Kolleginnen und Kollegen der Charité zeigen, dass man das nicht tatenlos hinnehmen muss.

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Hedgefonds triumphieren

Kommentar. US-Urteil zu Argentiniens Staatsschulden

Von Johannes Schulten, junge Welt, 18. Juni 2014

Nicht nur in Argentinien, auch in Europa dürfte das Urteil im Prozeß um ausstehende argentinische Auslandsschulden auf reges Interesse stoßen. Der Oberste Gerichtshof der USA hat am Montag (Ortszeit) einen Berufungsantrag Argentiniens abgelehnt. Damit ist eingetreten, womit wenige gerechnet, was aber viele befürchtet hatten: Das Land am Río de la Plata muß 1,3 Milliarden US-Dollar an eine Reihe US-Hedgefonds zahlen. Die gehörten zu einer kleinen Gruppe von Spekulanten, die die Schuldenumstrukturierungen von 2005 und 2010 abgelehnt hatten. Während Argentinien 13 Jahren nach der Krise von 2001 ein weiterer Staatsbankrott drohe könnte, haben die Fonds sogar doppelt profitiert – sie streichen nicht nur ihre Investitionen von damals ein, sondern kassieren auch die seither angefallenen Zinsen.

Die Entscheidung aus Washington trifft nicht nur Buenos Aires. Sie ist auch ein Fingerzeig an Europas Krisenstaaten. Offiziell haben zwar bisher weder Griechenland noch Spanien darüber spekuliert, ihre erdrückende Schuldenlast durch harte Verhandlungen mit den Gläubigern zu lindern, anstatt durch Kürzungsprogramme auf dem Rücken der Bevölkerung. Doch man kann ja nie wissen. Nach dem Urteil braucht sich niemand mehr Sorgen zu machen. Warum sollten Gläubiger in Zukunft mit Regierungen über Umschuldungen verhandeln, wenn sie ihre Forderungen auch vor US-Gerichten einklagen können?

Klar ist: Ohne Schuldenschnitt hätte es den einzigartigen Wirtschaftsboom, den Argentinien praktisch seit 2003 erlebte, nicht gegeben. Die Regierung hatte die Gläubiger vor die Wahl gestellt: Entweder sie verzichten auf 70 Prozent ihrer Forderungen oder sie gehen leer aus. Um knapp 66 Milliarden US-Dollar konnten die Auslandsschulden so gesenkt werden. Die Alternative wäre das gewesen, was heute in Griechenland, Portugal oder Spanien passiert: Privatisierung des Staatseigentums, Deregulierung der Arbeitsmärkte und Kapitalisierung des Gesundheitssystems. Das wollte die Regierung nicht verantworten. In Argentinien sind Arzt- und Krankenhausbesuche noch immer gratis, für alle.

Wie Buenos Aires reagieren wird, bleibt abzuwarten. Präsidentin Fernández de Kirchner gab sich zunächst hart. Das Land werde die Umstrukturierung fortsetzen, sagte sie am Montag Nachmittag – aber »keine Erpressungen akzeptieren«. Für den Dienstag abend (nach jW-Redak­tionsschluß) hat Wirtschaftsminister Axel Kicillof dazu eine Rede im Kongreß angekündigt.

Die Hedgefonds feierten inzwischen: Man erwarte, daß Argentinien sofort bezahlt, so der US-Milliardär und Chef von NML Capital, Paul Singer. Die Folgen für die argentinische Bevölkerung dürften ihn kaum interessieren. Auch die ersten Auswirkungen des Urteils machen pessimistisch: An der Börse in Buenos Aires stürzten die Kurse um acht Prozent ab, Kreditversicherungen auf argentinische Staatsschulden schossen in die Höhe.

Rechtlose Erntehelfer

IG BAU prangert menschenunwürdige Zustände in der Landwirtschaft an. Drastischer Fall in Thüringen offenbart aber auch Schwäche von Kontrollbehörden und Gewerkschaft

Von Jörn Boewe, junge Welt, 17. Juni 2014

Die Erdbeerernte läuft auf Hochtouren und gibt der Debatte um weitere Ausnahmen vom geplanten gesetzlichen Mindestlohn neuen Schwung. Am Donnerstag vergangener Woche trafen sich Vertreter der landwirtschaftlichen Großbetriebe bei Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), um für eine Sonderregelung für Saisonarbeiter zu werben. Die Branche habe »allergrößte Bedenken gegen die Einführung eines Mindestlohns«, sagte Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Nach Ansicht des Agrarfunktionärs würde der Anbau von Obst, Gemüse und Wein in Deutschland unter einer gesetzlichen Lohnuntergrenze »erheblich leiden«.

Derweil leiden derzeit vor allem Saisonarbeiter aus Osteuropa, weil es in der Landwirtschaft bislang keinen verbindlichen Mindestlohn gibt und sie sich in der Praxis ganz allgemein in einer weitgehend rechtlosen Situation befinden. Auf einen besonders drastischen Fall machte die zuständige Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt am Freitag aufmerksam. Rumänische Erntehelfer, die auf dem Erdbeerhof Gebesee in Thüringen eingesetzt waren, hatten sich mit einem Hilferuf an den Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen gewandt, eine gewerkschaftliche Organisation, die sich speziell um Saisonarbeiter kümmert und vor einigen Jahren auf Initiative der IG BAU gegründet worden war.

In dem Großbetrieb 20 Kilometer nördlich von Erfurt waren den Angaben der Gewerkschaft zufolge rund 700 Erntehelfer eingesetzt und – so der Notruf – unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht. Jeweils rund 20 Menschen hätten sich Zimmer von etwa zehn Quadratmetern geteilt, für alle zusammen gebe es nur drei Sanitärbereiche, hieß es. Für gut 230 Personen habe es je eine Dusche und WC gegeben, hieß es in der Erklärung der IG BAU. Die Erntehelfer hätten die »Behausungen« auch noch von ihrem kargen Akkordlohn bezahlen müssen. Auf die Stunde gerechnet habe dieser bei »nicht einmal drei Euro« gelegen.

»Solche Skandale können einem den Appetit auf Erdbeeren gründlich vermiesen«, erklärte der stellvertretende IG-BAU-Bundesvorsitzende Harald Schaum. »Leider sind sie in der Landwirtschaft kein Einzelfall.« Die Gewerkschaft erlebe »immer wieder, daß Erntehelfer auf das übelste ausgebeutet werden«.

Die Stimmung unter den Saisonarbeitern, die den Angaben zufolge überwiegend aus Rumänien, Ungarn und Bulgarien kommen, war explodiert, nachdem am Pfingstmontag zwei Arbeiterinnen von einem Traktor gestürzt und von einem Anhänger überrollt worden waren. Die beiden Frauen mußten laut Polizei mit einem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus geflogen werden. Wie es bei der Gewerkschaft hieß, soll Angehörigen untersagt worden sein, die Verletzten im Krankenhaus zu besuchen, statt dessen habe man sie zur Weiterarbeit angehalten.

Nach Informationen einer Erntehelferin, die sich an den Wanderarbeiterverein wandte, reagierte das Unternehmen am Mittwoch vergangener Woche rigoros: Zwei rumänische Saisonkräfte, die des Englischen mächtig waren und die man offenbar als Rädelsführer ansah, seien vom Betriebsgelände verwiesen und zum Erfurter Hauptbahnhof gebracht worden.

Sekretäre der zuständigen IG-BAU-Gliederung in Magdeburg fuhren zu dem Betrieb, konnten aber keinen direkten Kontakt zu den Beschäftigten herstellen, war bei der Gewerkschaft zu erfahren. Die Beratungsstelle »Faire Mobilität« beim DGB-Landesbezirk Berlin-Brandenburg wurde in Kenntnis gesetzt. Doch auch dort fehlte es offenbar an Personal, Leute nach Thüringen zu schicken und sich in den Konflikt einzuschalten. So habe man die zuständige Ermittlungsbehörde, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung informiert. Ob diese inzwischen Ermittlungen eingeleitet hat, war am Montag nicht in Erfahrung zu bringen.

Informiert wurden auch die Fraktionen der Linken und der SPD im Thüringer Landtag. Die SPD stellte am Freitag eine entsprechende parlamentarische Anfrage an die Landesregierung, über die die lokale Presse berichtete. Das Unternehmen wies daraufhin die Vorwürfe als »haltlos« zurück. Die effektive Arbeitszeit betrage rund neun Stunden am Tag, die von einem früheren Internatsbetrieb übernommenen Zimmer seien mit zwei bis acht Erntehelfern belegt, sagte der geschäftsführende Gesellschafter des Erdbeerhofes, laut Nachrichtenportal ­insüdthüringen.de.­ Der Verdienst der Erntehelfer liege bei 1000 bis 1500 Euro im Monat, wovon ihnen sechs Euro pro Tag für Unterkunft und Verpflegung abgezogen würden. Ein Unternehmenssprecher sagte der Thüringer Allgemeinen, es gebe »Anstifter, die Unruhe unter den Helfern provozierten«.

Laut IG BAU sind derzeit deutschlandweit rund 300000 Saisonarbeiter in der Landwirtschaft im Einsatz. Bei einem großen Teil sparen sich die Unternehmer nach Gewerkschaftsangaben die Sozialversicherungsbeiträge, indem sie eine Gesetzeslücke ausnutzen. Danach entfällt für Beschäftigungsverhältnisse die auf maximal 50 Tage befristet sind, die Versicherungspflicht. Die Regelung war ursprünglich für Ferientätigkeiten von Schülern und Studenten gedacht.

Betriebsräte werden erpresst

Unternehmer sind kreativ, geht es um die Verhinderung der Übernahme von Leiharbeitern

Erstmals können Leiharbeiter tariflichen Anspruch auf Festeinstellung anmelden. Doch viele Unternehmen nutzen ein Schlupfloch im Tarifvertrag.


Von Jörn Boewe und Johannes Schulten, neues deutschland, 13. Juni 2014

Der Juni sollte für viele Leiharbeiter in der Metallindustrie ein guter Monat werden. Dieser Tage tritt eine Regelung des Tarifvertrages Leih-/Zeitarbeit in Kraft. Danach haben Leiharbeitsbeschäftigte, die länger als 24 Monate in einem Betrieb sind, einen Anspruch auf eine unbefristete Übernahme. Allerdings scheinen viele Unternehmen sehr findig zu werden, wenn es darum geht, die vereinbarten Einstellungen zu umgehen. Nach »nd«-Recherchen stehen Betriebsräte vielerorts unter Druck, kurzfristig Betriebsvereinbarungen abzuschließen. Der tarifliche Übernahmeanspruch gilt nämlich nur, sofern in Betriebsvereinbarungen zum Einsatz von Leiharbeitern nichts anderes festgelegt ist.

Die IG Metall betrachtet die Entwicklung mit Sorge. »Es vergeht kein Tag, an dem nicht Betriebsräte unter Druck gesetzt werden, den Tarifvertrag zu unterlaufen«, sagt Bodo Grzonka, der beim IG Metall Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen für Leiharbeit zuständig ist. Den gleichen Trend beobachtet man auch im Bezirk Baden-Württemberg. In welchem Umfang dies geschieht, könne man jedoch noch nicht sagen. »Wir haben deshalb unsere Verwaltungsstellen aufgefordert, alle Informationen zusammenzutragen, um uns ein Bild machen zu können«, sagte eine Sprecherin auf Anfrage.

Anderswo wurden Leiharbeiter in großem Maßstab nach Hause geschickt. So etwa in Bielefeld: Anstatt ihnen ein Angebot auf eine unbefristete Stellen vorzulegen, meldete der Automobilzulieferer Gestamp in den letzten Wochen etwa 80 Leiharbeiter ab und ersetzte sie durch neue, schlechter entlohnte. »Viele der Betroffenen waren vier bis fünf Jahre im Betrieb«, sagt Gewerkschaftssekretär Oguz Önal von der IG Metall Bielefeld. »Die Abmeldungen kamen völlig überraschend.« Denn auch bei Gestamp gab es eine Betriebsvereinbarung. Die sah für die Leiharbeiter eine kontinuierliche Lohnsteigerung von rund zehn auf 15,40 Euro pro Stunde vor, machte allerdings eine Übernahme nach 24 Monaten nicht zwingend. »Offenbar hat die Geschäftsführung rechtliches Risiko gesehen und gehandelt, wie sie gehandelt hat«, vermutet Önal.

Massenabmeldungen als Umgehungsstrategie scheinen allerdings die Ausnahme zu sein. Haupttrend sei auch in seiner Region, dass Unternehmen Betriebsräte unter Druck setzen. »Es werden Drohszenarien aufgebaut«, sagt der Gewerkschaftssekretär. In solchen Abkommen kann dann die 24-Monate-Frist erweitert werden, oder es wird nur ein Teil der Leiharbeiter übernommen, die eigentlich einen Anspruch hätten. Das Phänomen ist nicht auf kleine und mittlere Betriebe beschränkt: »Wir beobachten das in Unternehmen mit 150 Beschäftigten, aber auch in solchen mit 1500.« Um nicht auf die Flexibilität, die Leiharbeit bietet, verzichten zu müssen, sind die Unternehmen häufig bereit, Zugeständnisse für die Leiharbeitsbeschäftigten bis hin zu »Equal Pay« zu akzeptieren. Viele Betriebsräte lassen sich auf Vereinbarungen ein, so Önal. Der Anspruch des Tarifvertrages, Leiharbeit als dauerhaftes Instrument aus der Welt zu schaffen, wird in jedem Fall unterlaufen.

Es gibt aber auch Beispiele, wo der Tarifvertrag vergleichsweise problemlos umgesetzt wird. So sollen beim Eisenbahnbauer Bombardier in Hennigsdorf bei Berlin in diesen Tagen etwa 30 Leiharbeiter eingestellt werden, weil sie mehr als 24 Monate im Unternehmen beschäftigt sind. Die Regel ist das allerdings nicht, sagt Gewerkschaftssekretär Grzonka. Viele Betriebsräte in unserem Zuständigkeitsbereich werden erpresst, den Tarifvertrag zu unterlaufen.«

Gesamtmetall empfiehlt seinen Mitgliedsunternehmen ausdrücklich, Vorkehrungen zu treffen, um den Übernahmeanspruch zu vermeiden. »Verpflichten Sie das Zeitarbeitsunternehmen, Ihnen die Überlassungsdauer eines Zeitarbeitnehmers nach zum Beispiel 16 beziehungsweise 22 Monaten schriftlich mitzuteilen«, heißt es in einem »Handlungsleitfaden Zeitarbeit« des Unternehmerverbandes. »Möglich wäre auch die Vereinbarung, dass die Einsatzzeit 24 Monate nicht erreichen darf.«

Allerdings sei der Einsatz von Leiharbeitern momentan zumindest in Teilen auch konjunkturbedingt rückläufig, gibt Witich Roßmann, Bevollmächtigter der IG Metall Köln-Leverkusen, zu Bedenken. Viele Abmeldungen erfolgen daher nicht nur unter dem Zwang der 24-Monate-Regel, sondern wegen einer moderaten Auftragsauflage. Zugleich gebe es einen Trend zur »Qualifiziertenauswahl« unter den Leiharbeitern. Ein Teil wird übernommen, ein Teil wird abgemeldet und durch andere ersetzt.

Entgegen aller Unkenrufe scheint die Leiharbeitsbranche ganz gut mit den Regulierungen leben zu können. Die größten deutschen Leiharbeitsunternehmen rechnen in diesem Jahr mit einem Umsatzwachstum von 8,2 Prozent, wie eine aktuelle Umfrage des Marktforschungsinstituts Lünendonk ergab. War die Zahl der Leiharbeitnehmer im vergangenen Jahr noch um fünf Prozent gesunken, habe sich die Nachfrage der Unternehmen Anfang dieses Jahres wieder stabilisiert. 2014 dürfte die Zahl der Leiharbeiter wieder steigen.

Iván hat noch Glück gehabt

Viele junge Leute aus EU-Krisenstaaten wollten in Deutschland einen Beruf erlernen. Doch das Förderprogramm „MobiPro-EU“ zog auch windige Geschäftemacher an. Wo es funktionierte, lag das vor allem am Einsatz engagierter Menschen

Von Jörn Boewe und Johannes Schulten, ver.di publik 04/2014

Früh um sieben kommt Iván P. in die Werkstatt in Berlin-Tegel, zieht seinen Overall an, fährt zur Baustelle und montiert Heizungen und Rohre. Um 16 Uhr haben seine Kollegen Feierabend, für den 22-jährigen Spanier gibt es dann nur eine kurze Pause. Von 17 bis 21 Uhr sitzt er in der Volkshochschule und lernt deutsche Grammatik und Vokabeln. 3 000 Kilometer von zu Hause entfernt macht er eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik.

„Es ist schwer, in Spanien Arbeit zu finden“, sagt Iván. In seinem Heimatort Paterna de Rivera in Südwest-Andalusien liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 75 Prozent. Im Rathaus erfuhr er, dass deutsche Unternehmen Auszubildende suchen und die Regierung in Berlin die Reisekosten, den Sprachkurs und einen Zuschuss zum Lebensunterhalt finanziert. Im Oktober 2013 brach er auf, gemeinsam mit 14 anderen jungen Leuten aus seinem Dorf. Nach einem Praktikum begann er im Februar dieses Jahres mit der Berufsausbildung.

Ministerium vom Andrang überwältigt

„MobiPro-EU“ heißt das Programm, mit dem Iván und seine Freunde nach Deutschland kamen. Im Februar 2013 wurde es unter der damaligen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, CDU, aufgenommen. Jungen Leuten aus EU-Krisenstaaten sollte eine Berufsausbildung in Deutschland ermöglicht werden – in „Mangel- und Engpassberufen“, wie es offiziell hieß. Doch nun, nach 14 Monaten, ist schon wieder Schluss, jedenfalls fürs Erste: „Seit dem 8. April 2014 werden keine neuen Anträge mehr für das Jahr 2014 angenommen“, heißt es auf der Internetseite www.the-jobofmylife.de.

Beim Ministerium und der zuständigen Behörde, der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit (ZAV), heftet man sich den Abbruch als Erfolg ans Revers. Das überwältigende Interesse zeige doch, dass man richtig lag, heißt es. Von Februar bis Dezember 2013 hatten 4 000 junge Menschen Anträge gestellt, allein in den ersten drei Monaten 2014 bewarben sich 5 000. „Das war viel mehr, als zu erwarten war“, sagt ZAV-Sprecherin Beate Raabe.

Über dieses Erstaunen kann man sich wundern, wie über einiges an dem Programm. Obwohl die meisten Interessierten aus Spanien und Portugal kommen, gibt es die Internetseite nur in Deutsch und Englisch. Und offenbar hatte niemand daran gedacht, dass man junge Ausbildungswillige, die als Fremde in unser Land kommen, bei der Wohnungssuche unterstützen müsste.

Doch Iván P. hatte Glück: „Compañero Thomas“, erzählt er, der Betriebsratsvorsitzende seines Ausbildungsbetriebs, half ihm bei der Suche. Zusammen mit zwei anderen jungen Männern aus seinem Dorf wohnt Iván jetzt in einer Wohngemeinschaft. Von den 15, die sie am Anfang waren, sind nur noch sieben übriggeblieben. Die anderen fanden in Berlin keine Wohnung zu einer erschwinglichen Miete.

Teure Baracken

Andere Ausbildungswillige gerieten an windige Geschäftemacher. In Rostock wandten sich Ende Februar zwei Dutzend junge Leute aus Spanien und Osteuropa an die IHK und Arbeitsagentur. Ihr Bildungsträger kassiere zwar das Fördergeld, schrieben sie, doch Unterricht und Vermittlung seien schlecht. Untergebracht waren sie zu sechst in düsteren, kaum beheizbaren Räumen. Für einen Schlafplatz im Doppelstockbett hatte man ihnen 362 Euro monatlich abgenommen. „Das war nur eine Baracke, das hat mich auf die Palme gebracht“, sagt Rostocks IHK-Präsident Claus Madsen, der selbst vor 20 Jahren als junger Mann „nur mit einem Koffer in der Hand“ aus Dänemark nach Deutschland gekommen ist.

Oder in Thüringen: Dort hatten sich Anfang Oktober drei junge Spanier an das „Welcome Center Thuringia“ in Erfurt gewandt, eine gerade erst von der Landesregierung gegründete Anlaufstelle für Migranten. Auch sie waren mit der Aussicht auf Ausbildungsplätze angeworben worden. 500, höchstens 1 000 Euro müssten sie mitbringen, dann würden die Zuschüsse aus „MobiPro“ fließen, hatte man ihnen versprochen. Jetzt arbeiteten sie als Praktikanten bei einer Gartenbaufirma, Ausbildungsplätze und Förderung waren nicht in Sicht. Untergebracht hatte man sie „in Baracken und mit relativ hohen Mietkosten“, wie sich Andreas Knuhr, der Leiter des Welcome Centers, erinnert. Die drei blieben nicht die einzigen. „Schließlich standen wir mit 128 Spanierinnen und Spaniern da.“

Ein Geschäft für private Anbieter

Von einem Riesengeschäft für private Anbieter spricht ein Insider. Arbeitsvermittler, gut vernetzt mit Bildungsträgern, warben Jugendliche im Ausland an, immer mit dem Hinweis auf das bald fließende Fördergeld. Dann wurde kassiert: 600 Euro Reisekostenpauschale, 2 000 Euro für den Sprachkurs, überhöhte Mieten für billige Absteigen, 1 200 Euro Vermittlungsgebühren von den Ausbildungsbetrieben und nochmal Prozente von den Azubis. Kontrolliert hat niemand. „Wenn jemand einen Vertrag mit einem privaten Anbieter
schließt, haben wir damit nichts zu tun“, sagt ZAV-Sprecherin Raabe. Seit 2002 brauchen private Arbeitsvermittler keine behördliche Erlaubnis mehr, um tätig zu werden, erfährt man bei der Arbeitsagentur in Nürnberg. Beim Ministerium gibt es keine Pläne, das zu ändern.

Wo das Programm funktionierte, war das oft dem Engagement beherzter Menschen zu verdanken: Andreas Knuhr und seinem Team, die in Erfurt unbürokratisch Überbrückungsgeld auszahlten, dem dänischem Einwanderer Madsen, der sich in Rostock dahinterklemmte, anständige Ausbildungsplätze für die Jugendlichen zu finden, und „Compañero Thomas“, der Iván und seinen Freunden Carlos und Antonio in Berlin eine Wohnung besorgte.

Iván P. wälzt in der Berufsschule indessen Fachbücher über Klimatechnik. Was er in Berlin lernt, könnte er in Andalusien gut gebrauchen, wo zwar weniger geheizt wird als hier, dafür aber umso mehr gekühlt. Voraussetzung ist, dass die spanische Wirtschaft sich erholt. „Ich könnte mir aber auch vorstellen hierzubleiben“, sagt Iván. Seine Freundin aus Paterna würde gern nach Berlin kommen und eine Lehre in einer Bäckerei beginnen. Einen Antrag bei „MobiPro“ hat sie gestellt, glücklicherweise noch vor dem Förderstopp am 8. April. „Wir hoffen, dass es klappt“, sagt Iván. Alle förderfähigen Anträge, die vor diesem Termin gestellt wurden, würden wahrscheinlich bewilligt, heißt es aus dem Ministerium.