Böse, schlechte Arbeiterrechte

Corporate Identity: Deutsche Firmen agieren im Ausland offen gewerkschaftsfeindlich

Von Jörn Boewe, der Freitag,  Ausgabe 51/2017

„Wir glauben an ein Arbeitsumfeld, das Flexibilität, Produktivität, Fairness fördert“, schrieben zwei Topmanager des schwäbischen Automobilzulieferers Eberspächer Ende Oktober an die Beschäftigten ihrer US-amerikanischen Tochterfirma in Brighton, Michigan. „Deshalb werden wir uns in unserem Betrieb in Brighton jedem nicht gerechtfertigten Eingreifen einer Gewerkschaft in vollem legalem Umfang widersetzen, wann und wo immer wir können.“ Es gehe darum, „unseren Wettbewerbsvorteil, gewerkschaftsfrei zu sein“ zu verteidigen.

Kurz zuvor hatte die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) beansprucht, die Mehrheit der Eberspächer-Belegschaft zu vertreten und die offizielle Anerkennung als Tarifpartner im Betrieb für sich reklamiert. Anstatt zu verhandeln, engagierte Eberspächer mehrere auf „Union-Busting“ – Gewerkschaftsbekämpfung – spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien. Offiziell firmierten diese als „Experten mit großer Erfahrung in Gewerkschaftsangelegenheiten“, mit der Aufgabe, den Mitarbeitern „Fakten zu liefern, damit sie eine informierte Entscheidung treffen können“. Zu zweit bearbeiteten diese „Berater“ die Beschäftigten in Gruppen von etwa 15 Leuten. Drei UAW-Aktivisten wurde im Zuge der „Aufklärungskampagne“ gekündigt.

Mitbestimmung und vertrauensvolle Zusammenarbeit der „Sozialpartner“ sind Grundpfeiler des deutschen Wirtschaftsmodells – diese Erzählung gehört nicht nur zum Kanon der Gewerkschaften, sondern auch zum Bild, das die deutsche Automobilindustrie von sich selbst verbreitet. Doch die Realität sieht anders aus. In vielen Firmen, die sich hierzulande an die Spielregeln von Betriebsverfassungs- und Tarifvertragsgesetz halten, ist aggressive Missachtung des Rechts auf gewerkschaftliche Betätigung auf dem Vormarsch – wenn man den Blick nach Übersee richtet.

Eberspächer ist eines dieser Unternehmen, deren Manager „ihre gute Kinderstube vergessen, wenn sie die deutsche Grenze überschreiten“, so drückt es das IG-Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang Lemb aus. An seinen traditionellen Hauptstandorten in der BRD – Esslingen und Neunkirchen – ist Eberspächer tarifgebunden. Die geschäftsführenden Gesellschafter, die in den USA ihre Firma mit allen legalen Mitteln gewerkschaftsfrei halten wollen, Martin Peters und Heinrich Baumann, bekleiden in Baden-Württemberg wichtige Positionen bei Südwestmetall, Landesbank, IHK und im CDU-Wirtschaftsrat. Dabei ist der schwäbische Abgasanlagenbauer kein Einzelfall. In Chattanooga, Tennessee, versucht Volkswagen seit drei Jahren, die Anerkennung der UAW auf dem Klageweg zu verhindern. Bei Mercedes in Tuscaloosa, Alabama, musste sich die Gewerkschaft ihr Recht auf Information der Belegschaft 2016 vor dem National Labor Relations Board, der obersten US-Arbeitsbehörde, erstreiten. Deutsche Autokonzerne und ihre Zulieferer siedeln sich gezielt im „Southern Automotive Corridor“ an – in den US-Südstaaten, wo die Arbeitsgesetze den Gewerkschaften hohe Hürden in den Weg stellen. Eine Situation, die die Firmen knallhart ausnutzen: Anders als die Fabriken der großen US-amerikanischen Autokonzerne ist kein einziges der Werke der deutschen Automobilhersteller in den USA bislang gewerkschaftlich organisiert.

Kein Tarif in Tennessee

Noch härter geht es oft bei den Zulieferern zur Sache: Genau wie Eberspächer versuchte das nordrhein-westfälische Unternehmen Kirchhoff Automotive seit 2016 mit Hilfe professioneller Union-Buster, die gewerkschaftliche Organisierung seiner Beschäftigten in den USA zu verhindern. Wie bei Eberspächer handelt es sich um eine Firma, die in Deutschland fest im bundesrepublikanischen System industrieller Beziehungen verwurzelt ist: Firmenchef Arndt Kirchhoff ist Präsident des NRW-Landesverbands von Gesamtmetall.

Das Übersee-Engagement ist kein Nebenkriegsschauplatz für die Branche. Das größte BMW-Werk der Welt steht mittlerweile nicht mehr in Bayern, sondern in South Carolina. Jeder sechste Arbeitsplatz in der US-Autoindustrie befindet sich inzwischen bei einem deutschen Unternehmen. Insgesamt arbeiten rund 750.000 Beschäftigte bei deutschen Firmen in den USA. Die Lohnkosten für die Autohersteller sind dabei laut einer Studie der Deutschen Bank in den USA nur rund halb so hoch wie in Deutschland. War noch vor 20 bis 30 Jahren die große Mehrheit der US-Autoarbeiter gewerkschaftlich organisiert, trifft das heute nur noch auf die US-amerikanischen Werke von Chrysler, Ford und GM zu – nicht aber auf die japanischen, koreanischen und deutschen Hersteller.

Den „Wettbewerbsvorteil“ gegenüber den US-Konkurrenten beschreibt die UAW so: Kein Kündigungsschutz, verpflichtende Überstunden, Zwölf-Stunden-Schichten, kurzfristige Anordnung von Wochenendarbeit, Löhne teilweise „auf dem Niveau von Fastfood-Ketten“. Die Folge: Nach einer Studie des National Employment Law Project sind die Löhne der Automobilarbeiter in den USA zwischen 2003 und 2013 um 21 Prozent gesunken. Zum Vergleich: In der Industrie allgemein lag der Rückgang „nur“ bei 4,4 Prozent.

Um diesen Trend umzukehren, investiert die IG Metall seit einigen Jahren verstärkt in die Kooperation mit der UAW. Beide Gewerkschaften kooperieren bei der Unterstützung des Transatlantic Labor Institute (TLI) in Spring Hill, Tennessee, das seit 2016 amerikanische Beschäftigte in deutschen Unternehmen mit Bildungs- und Beratungsangeboten unterstützt. Erste Erfolge stellen sich ein: So konnte die UAW bei den beiden Zulieferern Kirchhoff und Eberspächer in diesem Jahr – trotz massivem Union-Busting – ihre Anerkennung durch vom National Labor Relations Board organisierte Abstimmungen durchsetzen.

Zugleich haben sich die Perspektiven für die Gewerkschaften unter der Präsidentschaft von Donald Trump erheblich verschlechtert, wie TLI-Direktor Carsten Hübner kürzlich auf einer Konferenz in Berlin unterstrich. Die Republikaner seien entschlossen, durch eine weitere Schwächung des Arbeitsrechts „den Gewerkschaften das Genick zu brechen“. Obwohl Trump seinen Wahlsieg in erheblichem Maße der von der neoliberalen Politik der Demokraten enttäuschten weißen Arbeiterklasse verdanke, werde er sich diesen Plänen nicht verweigern. Ohne eine politische Trendwende, so Hübners düstere Prognose, hätten die US-Gewerkschaften mittel- bis langfristig „keine Überlebenschance“.

Doch auch die EU hat ihre „Südstaaten“, mit niedrigem gewerkschaftlichem Organisationsgrad, repressiven Arbeitsgesetzen und Dumpinglöhnen: Längst sind weite Teile Süd- und Osteuropas zu verlängerten Werkbänken transnationaler Konzerne geworden – auch der deutschen Autoindustrie. Außer BMW haben alle großen deutschen Hersteller umfangreiche Produktionsstätten in Osteuropa errichtet – so in Polen, Tschechien, der Slowakei und Rumänien. Hauptgrund sind die Arbeitskosten, die nach Berechnungen des Verbands der Automobilindustrie (VDA) weit unter jenen Deutschlands liegen: Während hierzulande pro Arbeiter und Stunde inklusive Steuern und Abgaben knapp 52 Euro fällig werden, sind es in Polen und Ungarn nicht mal zehn, in Rumänien nicht mal sechs Euro.

Insbesondere Ungarn entwickelte sich nach Einschätzung von IG-Metall-Vorstand Lemb in den vergangenen Jahren „zunehmend zum Testlabor für die deutsche Autoindustrie“. Dies aber nicht für technische, sondern betriebspolitische Innovationen: Arbeit auf Abruf, intransparente Entgeltsysteme, flexible und überlange Arbeitszeiten wie Zwölf-Stunden-Schichten – Dinge, die in Deutschland entweder rechtlich nicht zulässig oder nur schwer durchsetzbar wären.

Dass Gewerkschaften und Tarifbindung schwach sind, hat sich nicht einfach so ergeben: „Im Gefolge der Krise von 2008/09 sind gute Strukturen, die sich entwickelt hatten, zerstört worden – von der Troika und der EU-Kommission, und das mit voller Absicht“, sagt Luc Triangle vom europäischen Gewerkschaftsdachverband „industriALL“. Immerhin bemühen sich Gewerkschaften inzwischen, gegenzusteuern. So haben IG Metall und die ungarische Gewerkschaft Vasas in Györ und Kecskemét gemeinsame Büros eröffnet. In Warschau betreibt die internationale Dienstleistungsgewerkschaft UNI Global Union ihr Central European Organising Center (COZZ), in Litauen und Estland wurde 2012 mit Unterstützung skandinavischer Gewerkschafter die Baltic Organising Academy aufgebaut. Bislang bleiben alle diese Ansätze aber punktuell. Eine echte Verschiebung der Kräfteverhältnisse zugunsten der Gewerkschaften in Osteuropa ist nicht in Sicht.