Empowerment der kleinen Leute

„Zitzelsberger macht es vor“ hat die Freitag-Redaktion über meinen Kommentar zur Metall-/Elektro-Tarifrunde geschrieben. Für meinen Geschmack klingt das ein bisschen zu sehr nach Personenkult, aber es ist natürlich nicht falsch. Tatsächlich ist der vor einer Woche erzielte Pilotabschluss vor allem ein Ergebnis des guten Zusammenspiels von vielen Hunderttausenden in den Betrieben und einer strategisch klugen Führung.

Auch wenn das Ergebnis unterm Strich einen bitteren Reallohnverlust bedeutet, wird es in den Betrieben dennoch als Erfolg gewertet. Warum? Weil es dort ein feines Gespür für die politisch-ökonomische Lage gibt. Wünschen kann man sich viel, man muss es aber auch durchsetzen können. An der Basis der IG Metall überwiegt wohl die Überzeugung, dass dieses Ergebnis nicht das schlechteste ist, was hätte herauskommen können.

Mehr noch: Es kam überhaupt nur deshalb zustande, weil es bundesweit eine Mobilisierung durch betriebliche Aktive gab, wie man sie von früheren Tarifrunden in dieser Form nicht kannte. Erstmals wurde eine M/E-Tarifbewegung bundesweit als Organizing-Kampagne aufgezogen. Auch wenn der Abschluss oberflächlich betrachtet ohne großen Konflikt erreicht wurde, deutet sich hier eine Kulturrevolution in der IG Metall an. Die dürfte für manche noch schmerzhaft werden, geht sie doch mit Kontrollverlust für Betriebsräte und Apparat – die traditionellen Machtzentren der Organisation – einher.

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Mapping Amazon: Karte der deutschen Amazon Standorte überarbeitet

Amazons Logistiknetzwerk in Deutschland wächst um 25 Prozent in einem Jahr

Wer sich organisieren will, braucht Orientierung im Feld, und dafür braucht man was? Eine gute Landkarte! Seit wir uns mit dem dem Liefer- und Tech-Giganten Amazon befassen – und das sind mittlerweile fast zehn Jahre – haben wir immer wieder versucht, uns und anderen Kolleginnen und Kollegen einen halbwegs brauchbaren Überblick über das Amazon-Imperium zu verschaffen.

Um ehrlich zu sein: Es ist eine Aufgabe, an der wir regelmäßig scheitern. Trotzdem machen wir weiter. Unsere im vergangenen Jahr gemeinsam mit Tina Morgenroth von „Faire Mobilität“ veröffentlichte Kurzstudie Amazons letzte Meile enthält eine Karte der deutschen Logistikstandorte des Konzerns … die inzwischen völlig veraltet ist. Die Auftraggeberin der Studie, die Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen, hat uns deshalb gebeten, nach einem Jahr eine Aktualisierung zu erstellen.

Die Sache erfordete mehr Rechercheaufwand als wir gedacht hatten, denn Amazon wächst verdammt schnell und macht seine Neueröffnungen, vor allem wenn es um eher kleine Verteilzentren geht, nicht besonders publik. Man muss sich die Daten also aus allerlei Quellen zusammensuchen und hat nie die Gewissheit, ob man  wirklich alle erwischt hat. Hat man natürlich nicht, kann man gar nicht. Aber unsere aktuelle Karte (Recherchestand Oktober 2022) spiegelt ein Wachstum von 25 Prozent innerhalb eines Jahres wieder und ist definitiv ein halbwegs brauchbarer Überblick.

>>> download als PDF und Grafikdatei bei der RLS Thüringen >>>
>>> Bericht im Amazon-Watchblog >>>

Sauber: 12,5 Prozent mehr Lohn!

Wie schafft es eine Gewerkschaft ausgerechnet in so einer harten Branche wie der Gebäudereinigung, eine zweistellige Lohnerhöhung durchzudrücken? Darum geht’s in meiner Reportage „Sauber …“ im aktuellen Freitag (ab 20. Oktober am Kiosk).

Als Bonustrack gibt’s noch eine steile These: Tarifpolitik stößt zunehmend an Grenzen, weil Inflation Kaufkraft frisst, aber auch, weil sie keine Antworten hat auf die „unzähligen Ungerechtigkeiten und Demütigungen, die der Struktur des neoliberalen Dienstleistungskapitalismus selbst eingeschrieben sind (…) Subunternehmerketten, Fremdvergaben, aufgeblähte Controlling-Bürokratien voller Bullshit-Jobs auf der einen Seite und Personalmangel auf Seiten all jener, die die Arbeit erledigen müssen – die Liste ließe sich seitenlang fortschreiben. Auf den Wahnsinn der spätkapitalistischen Arbeitswelt strategische Antworten zu finden: Das ist die gewerkschaftliche Mammutaufgabe der nächsten Jahre.“

>>> Artikel als PDF >>>

Kampf gegen Ausbeutung: Arbeitsmigranten hoffen auf Fußball-WM in Katar

Gewerkschaften verboten: Tausende Arbeitsmigranten sind beim Bau der WM-Stadien in Katar gestorben. Trotz drakonischen Regeln und dem Verbot von Gewerkschaften, schaffen sie es, sich zu organisieren und für ihre Rechte zu kämpfen. Jörn Boewe, der Freitag digital, 27. Sept. 2022

Migrant workers from Asia in the West Bay area of Doha. Foto: Alex Sergeev (www.asergeev.com)

Ausgerechnet am 20. November, dem Totensonntag, findet das Eröffnungsspiel der Fußball-WM 2022 in Katar statt. Sicher ein makabrer Zufall, aber irgendwie passend. Denn Tausende migrantischer Bauarbeiter, überwiegend aus Südasien und Ostafrika, haben beim Bau der Stadien und Hotels ihr Leben gelassen. Amnesty International spricht von rund 15.000 Todesfällen im Zusammenhang mit den Bauarbeiten, der Guardian hat 6500 Fälle recherchiert, doch die genaue Zahl kennt niemand – denn die Behörden des Emirats, eine der letzten absolutistischen Monarchien der Welt, verweigern detaillierte Untersuchungen.

Fakt ist: Der Ölstaat Katar ist eines der reichsten Länder der Welt, das Pro-Kopf-Einkommen liegt im Schnitt bei 6.200 Euro. Nicht in diese Berechnung gehen die praktisch rechtlosen Arbeitsmigranten ein, die nahezu 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Hunderttausenden von Bauarbeitern, die aus Nepal, Indien, Bangladesch und Kenia angeworben wurden, um das Land für die FIFA-WM startklar zu machen, erhalten einen Monatslohn um die 230 Euro – bei Zwölfstundenschichten unter einer gleißenden Sonne und Temperaturen, die nicht selten auf 50 Grad und mehr ansteigen. Weiterlesen

Zeit zum Umlenken

Tarifflucht und Dumpinglöhne: Droht auch bei uns ein Lkw-Fahrermangel wie in England?

Von Jörn Boewe der Freitag, 43/2021, 22. Okt. 2021

Auf Brummionline.com gibt es Diskussionen und jede Menge praktische Tipps. Hinweise zum „Parken in Industriegebieten“ liest man da, und über Supermärkte, auf deren Parkplätze auch ein Sattelschlepper passt. Man tauscht sich aus über elektrische Lkw-Modelle von Daimler und Volvo und die Vorzüge von Abbiegeassistenten. Doch dazwischen herrscht Aufregung: „Lkw-Fahrer am Limit“, heißt es da, und „Transportbranche schlägt Alarm: Kollaps der Lieferketten droht.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Bilder aus Großbritannien sind da nur wenige Wochen alt. Leere Supermarktregale, lange Schlangen vor Tankstellen, Einsätze der Armee, um die Grundversorgung zu garantieren: All das nur, weil es zu wenig Lkw-Fahrer gibt. Der Brexit und die darauf folgenden politischen Entscheidungen mögen das Problem dort verschärft haben, doch vor allem lag die Zuspitzung daran, dass den britischen Truckern der Nachwuchs fehlt: Zigtausende Brummifahrer gehen in Rente oder hängen ihren Lkw-Führerschein an den Nagel, weil sie einen anderen Job annehmen, nicht genug junge rücken nach. Das könnte auch hierzulande passieren. Weiterlesen

Amazons letzte Meile – ein Feld neuer Klassenkämpfe im logistischen Kapitalismus?

Seit 2013 begleiten wir journalistisch und investigativ den Kampf der Amazon-Beschäftigten um bessere Arbeitsbedingungen. Nun ist unsere neue, gemeinsam mit Tina Morgenroth von Faire Mobilität Thüringen, verfasste Broschüre über Amazons Expansion in den Logistik-Bereich und die Perspektiven des Widerstandes als Gemeinschaftspublikation von Rosa-Luxemburg-Stiftung und DGB Bildungswerk Thüringen erschienen, auch mit Beiträgen zu gewerkschaftlicher Organisierung in der  Schweiz (UNIA),den USA (Teamsters) und Italien (CGIL).

Am Donnerstag haben wir die Studie in Erfurt vorgestellt (downloadlink). Schon einen Tag später musste Amazon öffentlich darauf reagieren. Danke an die Kolleginnen und Kollegen von Thüringen24 für ihre beherzte Berichterstattung.

https://www.thueringen24.de/thueringen/article233348269/Amazon-in-Thueringen-erfurt-onlinehandel-Studie-dgb-zeitarbeiter.html

Wie kann sich die Klima­bewegung mit den Arbeiter*innen der Auto­industrie verbünden?

»Die Automobilkonzerne sind privatkapitalistische Unternehmen, die Profite erwirtschaften wollen. Das ist die eine Seite. Die andere Frage ist, was technisch machbar ist und gesellschaftlich sinnvoll wäre. Und auf dieser Seite ist eben das Produzent*innenwissen, das fachliche, ingenieurtechnische Knowhow usw. der Belegschaften.«

Zur Studie »E-Mobilität – ist das die Lösung?« (Stephan Krull/Jörn Boewe/Johannes Schulten) hat Jan Ole Arps von ak – analyse & kritik mit Jörn Boewe gesprochen.
>>> https://www.akweb.de/bewegung/wie-kann-sich-die-klimabewegung-mit-den-arbeiterinnen-der-autoindustrie-verbuenden/

Geliehene Macht

Porträt: Daniela Cavallo ist „Gastarbeiter“-Tochter, IG-Metallerin und jetzt Betriebsratsvorsitzende bei VW. Von Jörn Boewe, Der Freitag 28/2021

Bis vor kurzem war ihr Name in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt, seit Ende April ist sie wohl die mächtigste ehrenamtliche Gewerkschaftsfunktionärin der Welt: Daniela Cavallo, 46 Jahre alt, IG-Metall-Mitglied, hat den Vorsitz des „Gesamt- und Konzernbetriebsrats“ der Volkswagen AG übernommen. Sie löst Bernd Osterloh ab, der als Personalchef zur VW-Nutzfahrzeugtochter Traton wechselte.

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„E-Mobilität – ist das die Lösung? Eine Befragung von Beschäftigten zum sozial-ökologischen Umbau der Autoindustrie“

Heute erscheint unsere Studie zur Sicht von Industriebeschäftigten auf Themen wie Klimawandel, Mobilität und Transformation: „E-Mobilität – ist das die Lösung?
Eine Befragung von Beschäftigten zum sozial-ökologischen Umbau der Autoindustrie“. Das Ganze kann hier heruntergeladen werden:
https://www.rosalux.de/publikation/id/44586
In der nächsten Woche sollte es auch die Printversion (gratis) geben. Erhältlich ebenfalls bei der RLS oder direkt über uns: kontakt(at)work-in-progress-journalisten.de

Auf Grundlage von 38 Interviews vor allem mit Betriebsratsmitgliedern und gewerkschaftlichen Vertrauensleuten deutscher Automobilhersteller, Zulieferer und anderer verkehrsmittelproduzierender Industriebetriebe werfen Jörn Boewe, Stephan Krull und Johannes Schulten ein Schlaglicht auf die Potenziale eines sozial-ökologischen Umbaus, aber auch die Hindernisse, die eine solche Politik überwinden muss.

Das Fazit unserer Studie:

Die Sicht in den Betrieben und gewerkschaftlichen Gremien ist differenzierter, als die durch Einlassungen von Gewerkschafts- und Betriebsratsspitzen sowie der Regierung geprägte öffentliche Meinung nahelegt. Belegschaften, Gewerkschaftsmitglieder und ehrenamtliche Funktionär*innen sind keine Bastion von Verfechter*innen einer vorökologischen Industriepolitik. Vielmehr finden sich Potenziale und Anknüpfungspunkte für eine sozial-ökologische Mobilitätswende.

 Ein Selbstläufer ist ein sozial-ökologscher Umbau damit natürlich noch nicht. Denn es gibt in den Belegschaften eine verbreitete Skepsis gegenüber „der Politik“, einen auch nur halbwegs adäquaten Ausbau des Schienenverkehrs, des ÖPNV oder gar den Aufbau innovativer multimodaler und vernetzter Mobilitätssysteme ernsthaft in Angriff zu nehmen. Verbreitet sind auch berechtigte Befürchtungen, dass eine allein unternehmensseitig vorangetriebene Transformation der Industrie mit einem Abbau von tariflich abgesicherten Arbeitsplätzen sowie einer massiven Prekarisierung und Entqualifizierung der Arbeit einhergehen könnte.

 Vielmehr zeigt sich, wie nötig es ist, den gesellschaftlichen Konsens, wirksame Schritte gegen den Klimawandel auch im Verkehrssektor zu gehen, mit einem politischen Masterplan und einer breit anschlussfähigen Vision für ein sozial gerechtes, ökologisches Verkehrsmodell der Zukunft zu verbinden.

 

Ohne Revolutionen dauern die Dinge länger

Die IG Metall ficht mit den Arbeitern in Ostdeutschland eine alte Ungerechtigkeit aus: die Lohnmauer

Von Jörn Boewe, der Freitag, 17/2021

„Beinhart verteidigen Sachsens Metallarbeitgeber eines der letzten Symbole der Spaltung Deutschlands: die 38-Stunden-Woche. Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall steht die Lohnmauer immer noch. Ausgerechnet in der produktivsten und profitabelsten Branche, der Metall- und Elektroindustrie, arbeiten die ostdeutschen Beschäftigten jede Woche unbezahlt drei Stunden länger als ihre Kollegen im Westen. Mit Warnstreiks in den ostdeutschen Autofabriken von Porsche, BMW und Volkswagen macht die IG Metall gerade mobil, um die Sache endlich zu Ende zu bringen.“ Kommentar von Jörn Boewe im aktuellen Freitag. Ab sofort überall, wo es Zeitungen gibt.

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ohne-revolutionen-dauern-die-dinge-laenger-etwa-der-kampf-um-die-35-stunden-woche