Die vier Farben des Wasserstoffs

Energie: Eine neue Schlüsseltechnologie begeistert die CDU ebenso wie Gewerkschafter. Auch Nord Stream 2 spielt eine Rolle. Von Jörn Boewe, Der Freitag 32/2021

Grün, türkis, blau. Das ist für mich eine ideologische Diskussion“, sagt Thies Hansen, Betriebsratsvorsitzender bei dem städtischen Erdgasnetzbetreiber Gasnetz Hamburg. „Wasserstoff wird nach und nach Erdgas als Energieträger verdrängen. Und am Ende des Tages wird der Wasserstoff aus erneuerbaren Energien sein.“ Gasnetz Hamburg, zu 100 Prozent im Besitz der Freien Hansestadt, investiert gerade in den Aufbau eines zunächst 60 Kilometer langen Netzes zur Versorgung der acht größten lokalen industriellen Erdgasverbraucher mit grünem Wasserstoff. „Grün“ bedeutet, dass bei der Erzeugung des Wasserstoffs – durch Elektrolyse – kein CO₂ entsteht, weil die Energie dafür aus erneuerbaren Quellen kommt.

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Die Arbeiter sind nicht schuld

Beschäftigte in der Industrie wollen keine Blockierer oder Opfer der Transformation sein. Sie wollen sie mitgestalten. Von Jörn Boewe, Der Freitag 25/2021

Mit Kolleginnen und Kollegen stand ich im Herbst 2020 vor dem Werkstor eines Automobilzulieferers am Rand der Schwäbischen Alb. Das Unternehmen hatte zwei Dutzend Leuten gekündigt. Alle wussten, dass das nur der Anfang war. Betriebsrat und IG Metall versuchten, Widerstand gegen die Entlassungen zu organisieren, aber es war spürbar schwer, die bleierne Apathie zu durchbrechen, die über dem Ganzen lag.

Hier war sie, „die Transformation“. Sie rollte wie ein schicksalhafter Megatrend heran, der den Verbrennungsmotor ins Abseits schieben würde und mit ihm all jene Loser, die daran mitgebaut hatten. Nur ein paar noch nicht klar benannte Auserwählte würden die Reise in eine saubere und smarte Zukunft namens „Elektromobilität“ mitantreten dürfen.

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Wir könnten auch anders

Autoindustrie: Klimawandel, Verkehrswende: Beschäftigte in der Industrie wollen keine Blockierer oder Opfer der Transformation sein. Sie wollen sie mitgestalten

„Mit Kolleginnen und Kollegen stand ich im Herbst 2020 vor dem Werkstor
eines Automobilzulieferers am Rand der Schwäbischen Alb. Das Unternehmen hatte zwei Dutzend Leuten gekündigt. Alle wussten, dass das nur der Anfang war.“ So beginnt Jörn Boewes Reportage Die Arbeiter sind nicht schuld im aktuellen Freitag. Es geht um Geschichten aus einer Branche im Umbruch — der Automobilindustrie.

„Der schwäbische Zulieferbetrieb produzierte Teile für Dieselmotoren, kleine Schaufelrädchen aus Aluminium, die in Turboladern zur Luftverdichtung eingesetzt
wurden. Die Prognosen für den künftigen Absatz von Dieselmotoren waren
zuletzt mächtig nach unten korrigiert worden. Das Unternehmen tat, was Unternehmen
so tun, wenn ihnen sonst nichts einfällt – es schwenkte auf einen rigiden Sparkurs ein.
Einer der Betriebsräte erzählte nun eine interessante Geschichte. Ein externer Monteur,
der zur Wartung der stillstehenden Aluguss-Verarbeitungsmaschinen in den
Betrieb kam, hatte ihm gesagt: „Leute, warum sind eure Maschinen nicht ausgelastet?
Damit kann man doch diese und jene Komponenten für Elektroantriebe herstellen,
das ist jetzt ein Riesenmarkt. Bei Firma Sowieso laufen dieselben Maschinen auf
Hochtouren.“

Der Witz war, dass der Servicetechniker spontan mehr Zukunftsvision auf der Tasche
hatte als die ganze hoch bezahlte Vorstandsetage des Automobilzulieferers nach monatelangen Krisensitzungen … “

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Ohne Revolutionen dauern die Dinge länger

Die IG Metall ficht mit den Arbeitern in Ostdeutschland eine alte Ungerechtigkeit aus: die Lohnmauer

Von Jörn Boewe, der Freitag, 17/2021

„Beinhart verteidigen Sachsens Metallarbeitgeber eines der letzten Symbole der Spaltung Deutschlands: die 38-Stunden-Woche. Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall steht die Lohnmauer immer noch. Ausgerechnet in der produktivsten und profitabelsten Branche, der Metall- und Elektroindustrie, arbeiten die ostdeutschen Beschäftigten jede Woche unbezahlt drei Stunden länger als ihre Kollegen im Westen. Mit Warnstreiks in den ostdeutschen Autofabriken von Porsche, BMW und Volkswagen macht die IG Metall gerade mobil, um die Sache endlich zu Ende zu bringen.“ Kommentar von Jörn Boewe im aktuellen Freitag. Ab sofort überall, wo es Zeitungen gibt.

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ohne-revolutionen-dauern-die-dinge-laenger-etwa-der-kampf-um-die-35-stunden-woche

Hauptsache, dem Spargel geht es gut

Für Erntehelfer*innen gibt es nur Mindestlohn und kaum Arbeitsschutz

Von Jörn Boewe, 20. April 2021 |ak 670

Die Spargelernte beginnt – und mit ihr kommt eine der übelsten Ausbeutungsmaschinerien der Republik ins Rollen: die saisonale Landwirtschaft. Rund eine Viertelmillion Menschen, überwiegend aus Osteuropa, arbeiten von März bis Oktober auf deutschen Feldern, um die »Ernährungssicherheit« der Republik zu gewährleisten. Vom Spargelstechen übers Erbeerenpflücken bis zur Weinlese – die Arbeit in der Ernte ist ein Knochenjob. Dennoch wird dafür praktisch überall nur der gesetzliche Mindestlohn gezahlt – in diesem Jahr 9,50 Euro. Leute, die das als skandalös niedrig empfinden, hört man in der öffentlichen Diskussion eher selten. Weiterlesen

Eingeflogen, ausgebeutet, infiziert

Der Bundesregierung ist das Wohl der Agrarlobby weiterhin wichtiger als das der Erntehelfer

Von Jörn Boewe und Johannes Schulten, neues Deutschland, 7. April 2021

Der DGB warnt vor »unverantwortbaren Zuständen bei der Ernte«, die IG BAU spricht von »staatlich verordnetem Sozialdumping«. Wer dieser Tage aufmerksam die Zeitung liest, fühlt sich unweigerlich an das letzte Jahr erinnert. Wie nie zuvor waren die katastrophalen Bedingungen der ausländischen Saisonarbeitskräfte in der deutschen Landwirtschaft in die mediale Öffentlichkeit geraten.

Um die pandemiebedingten Einschränkungen des Personenverkehrs zu den Nachbarländern zu umgehen, wurden im April und Mai 2020 Zehntausende osteuropäische Erntehelfer per Luftbrücke eingeflogen – zur »Sicherstellung der Ernährungs- und Versorgungssicherheit in Deutschland«, wie der Bauernverband dramatisch formulierte. Die landwirtschaftlichen Betriebe profitierten zudem von zahlreichen Sonderregelungen, wie der Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden. Da trotz aller staatlichen Anstrengungen nicht ausreichend ausländische Saisonarbeiter bereit waren, zu den hiesigen Bedingungen hierher zu kommen, erwarteten diejenigen, die es taten, ein erhöhter Arbeitsdruck und vielfach rechtswidrige Akkordregelungen. Auf zahlreichen Höfen kam es nachweislich zu Corona-Ausbrüchen.

Das ist kein Wunder. Nach außen hermetisch abgeschirmt, durften auch im Corona-Jahr 2020 noch bis zu 20 Personen in einer Unterkunft wohnen. Mindestens 300 landwirtschaftliche Saisonarbeitskräfte sollen sich nach einer Zählung der IG BAU zwischen April und Juli 2020 mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert haben. Ein trauriger Höhepunkt war der Tod eines 57-jährigen Erntehelfers auf einem Spargelhof in Baden-Württemberg am Osterwochenende. Wenn die letztjährige Erntesaison etwas Gutes hatte, dann, dass sie deutlich machte, wie abhängig die deutsche Landwirtschaft vom Import billiger Arbeitskraft ist.

Rund 1,1 Millionen Menschen arbeiten haupt- und nebenberuflich in landwirtschaftlichen Betrieben – knapp ein Drittel davon, etwa 300 000 – sind Saisonkräfte. Ohne sie wäre die Erntezeit nicht zu bewältigen – vom Spargelstechen im April bis zur Weinlese, die Mitte Oktober endet. Drei Viertel dieser Saisonkräfte kommen aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa, vor allem aus Polen, Rumänien und Bulgarien. Aufbauend auf dem Mindestlohngesetz, das zum 1. Januar 2015 in Kraft trat, gibt es für die Landwirtschaft einen Mindestentgelt-Tarifvertrag. Für 2021 liegt die Untergrenze bei 9,50 Euro die Stunde. Wenngleich diese in der Praxis häufig unterlaufen wird: So etwa im Mai vergangenen Jahres, als etwa 100 rumänische Saisonarbeiter auf einem Hof im rheinländischen Bornheim in einen wilden Streik traten, um die Auszahlung von vorenthaltenen Löhnen einzufordern.

Doch so stark das mediale Interesse am Leid der Erntehelfer auch war, es hielt nur einige Monate an. Bereits im Sommer wandte sich die überregionale Berichterstattung wieder anderen Themen zu. Anders die Lobbyisten der Bauernverbände. Nur so ist es zu erklären, dass die Politik trotz der skandalösen Verstöße gegen Hygiene- und Arbeitsschutzstandards nichts bis wenig unternimmt, um gesetzlich festgeschriebene Betriebskontrollen tatsächlich flächendeckend und konsequent umzusetzen. Auch viele der im Jahr 2020 eingeführten Ausnahmeregelungen wurden nicht oder nur unzureichend behoben.

Ein Beispiel ist die im Frühjahr geschaffene Möglichkeit für landwirtschaftliche Betriebe, die Sozialversicherungspflicht für Saisonarbeiter nicht wie bis dahin für 70 Tage auszusetzen, sondern für 115 Tage – in diesem Jahr dürfen es 102 Tage sein. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) wollte die Entscheidung gar als Beitrag zur Pandemiebekämpfung verstanden wissen. Anlässlich der Kabinettsentscheidung betonte sie, dass eine längere Beschäftigung der ausländischen Saisonarbeitskräfte zu weniger Personalfluktuation führe und damit die Mobilität reduziere.

»Eine ursprüngliche Ausnahmeregelung für Ferienjobs soll nun offenbar Standard für die Einstellung von Erntehelfer*innen werden«, kritisierte dagegen DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel, »Wieder einmal wird deutlich, was für Julia Klöckner Vorrang hat: eben nicht das Wohl derer, die für uns die Erntearbeit erledigen, sondern vor allem die Interessen der Agrarlobby.«

Allein die Bereitschaft vieler Süd- und Osteuropäer, sich auf dem deutschen Äckern abzurackern, scheint geringer geworden zu sein. »Wir sind für Rumänen keine attraktiven Arbeitgeber mehr«, klagt der Verbandsvorsitzende der ostdeutschen Spargelanbauer gegenüber der Tagesschau. Abhilfe schafft die gemeinsame Initiative der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, rund 5000 Erntehelfer aus Georgien nach Deutschland zu holen.

»Es ist immer wieder dasselbe: Die Erntebetriebe versuchen an den Lohnkosten zu sparen, wie es nur geht, um noch höhere Gewinne zu erzielen. Und der Staat hilft auch noch dabei«, kommentiert Harald Schaum, Vize-Chef der IG BAU. Er weist darauf hin, dass die Bundesregierung nach einer EU-Richtlinie die Möglichkeit habe, Agrarbetrieben vorzuschreiben, die Reisekosten für Erntehelfer zu übernehmen. Allerdings werde von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht. So müssen die Georgier die Kosten für ihre Hin- und Rückflüge selber zahlen.

Amazon – zweimal draufgeschaut

Kurz vor Ostern ist noch einiges passiert bei Amazon. In Italien bestreikte ein Bündnis aus drei landesweiten Gewerkschaften erstmals die komplette Lieferkette von den Versandzentren bis zur Paketzustellung. Wir haben darüber für den Freitag mit dem italienischen Soziologen Francesco Massimo gesprochen, das Interview erschien online im Freitag >>> hier >>>
In den USA endete die Stimmabgabefrist im Versandzentrum BHM1 in Bessemer bei Birmingham, Alabama. Bei der Abstimmung entscheiden die rund 6000 Beschäftigten darüber, ob sie künftig von der Gewerkschaft RWDSU vertreten werden wollen. Das Ergebnis muss noch ausgezählt werden. Wir haben mit den beiden US-amerikanischen Soziologen Jake Alimahomed-Wilson und Ellen Reese über den „kometenhaften Aufstieg“ des Internetkonzerns gesprochen, und darüber, warum die beiden ihn für einen „Schlüsselmoment im globalen Kapitalismus“ halten. Das Gespräch erschien in der Onlineausgabe der Zeitschrift Luxemburg >>> hier >>>
Wir wünschen angenehme Lektüre und schöne Feiertage!

„Elektro-SUVs lösen kein Problem“

„Das Problem ist das Geschäftsmodell der Branche, das dafür ausgelegt ist, jährlich 70 Millionen Autos in den Weltmarkt zu drücken.“ Der Mann, der das sagt, ist Betriebsratsvorsitzender des zweitgrößten VW-Werks in Deutschland (Kassel-Baunatal mit 17.000 Beschäftigten), ist IG Metaller und heißt Carsten Bätzold. Wir haben mit ihm für die Wochenzeitung Der Freitag gesprochen. Bätzold spricht unbequeme Wahrheiten aus, die man von den Betriebsratsvorsitzenden der großen Automobilkonzerne so noch nicht gehört hat: „Was wir brauchen, sind weniger Autos, kleinere Autos, ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs mit bedarfsgerechten Rufbus- und Carsharing-Angeboten für den ländlichen Raum.“ Im aktuellen Freitag (12/2021), ab sofort überall dort, wo es Zeitungen gibt.

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Wo liegt Amazons Grenze?

… fragen wir in unserem Artikel auf der Seite Drei des neuen Freitag (7/2021):
„In 50 Jahren, so eine These des israelischen Historikers Yuval Noah Harari, werden sich die Menschen an die Covid-19-Pandemie erinnern als den „Moment, an dem die digitale Revolution Wirklichkeit wurde“. Ob die Prognose aufgeht, wer weiß. Doch schon jetzt ist klar: Corona ist ein Transformationsbeschleuniger. Exemplarisch deutlich wird dies an dem Schub, den der Technologiekonzern Amazon durch die Pandemie bekommen hat. Während die Weltwirtschaft im vergangenen Jahr in die tiefste Rezession seit 1929 rutschte, schrieb der Onlinehändler aus Seattle 2020 das erfolgreichste Jahr seiner Geschichte. Amazon steigerte den Umsatz um 38 Prozent auf sagenhafte 386 Milliarden US-Dollar, was in etwa dem Bruttoninlandsprodukt von Israel oder Irland entspricht.“
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Bürgerrechte mittels Arbeitskampf

Erstmals könnte an einem Amazon-Standort in den USA eine Gewerkschaftsvertretung entstehen

Von Johannes Schulten, neues deutschland, 7. Feb. 2021

»Sie hängen sogar vor dir, wenn du auf die Toilette gehst«, sagt Darryl Richardson und erzählt von unzähligen Flugblättern, die seit Tagen vom Management im Amazon-Logistikzentrum in Bessemer, Alabama, verteilt werden. Die Botschaft sei immer dieselbe: »Die Gewerkschaft will nur euer Geld!« Kollegen berichten von Kleingruppengesprächen mit »antigewerkschaftlicher Propaganda« sowie täglichen Textnachrichten auf ihren Handys. Die Botschaft: Die Gewerkschaft raube ihnen »ihr Recht, für sich selbst zu sprechen«.

Am Montag stimmen 5805 Beschäftigte des Logistikzentrums im Süden der USA per Briefwahl ab, ob sie von einer Gewerkschaft vertreten werden wollen. Organisiert werden die Wahlen von der Einzel- und Großhandelsgewerkschaft RWDSU; im Falle einer Zustimmung wäre BHM1 der erste Amazon-Standort mit gewerkschaftlicher Vertretung in den USA. Weiterlesen