Die Herrschaft der Finanzoligarchie ist nicht sehr beliebt,

aber stabil. Jedenfalls in der Schweiz, und im Grunde ist diese Diagnose nicht allzu überraschend. Ausgestellt haben sie die wahlberechtigten Eidgenossinnen und -genossen Ende November bei der Abstimmung über die »1:12«-Initiative der Schweizer Jusos. Getragen wurde die Kampagne hauptsächlich von der Gewerkschaft Unia, einer, wie wir finden, hochinteressanten Organisation.

Mehr dazu im Sammelband
ORGANIZING. Die Veränderung der gewerkschaftlichen Praxis durch das Prinzip Beteiligung, VSA Hamburg 2013, Hrsg.: Detlef Wetzel

(Leseprobe:)
Seit einigen Jahren setzt die Unia unter dem Motto »Von einer Gewerkschaft der Hochkonjunktur zur Gewerkschaft für raue Zeiten« verstärkt auch auf Organizing-Methoden. In der traditionell vom Hang zu Harmonie und Ausgleich geprägten politischen Kultur der Schweiz hat sich die Unia ein Renommee als die gesellschaftliche Kraft erworben, die am entschiedensten gegen die seit über zwei Jahrzehnten andauernde neoliberale Offensive angeht und dabei vor Konflikten nicht zurückscheut. Damit zieht sie regelmäßig Wutausbrüche der politischen Rechten auf sich. Als Unia-Gewerkschafter im Sommer 2007 im Rahmen einer Kampagne gegen die ausufernde Leiharbeit (schweizerdeutsch: Temporärarbeit) Zugänge privater Personalvermittlungen blockierten, schrieb die rechtspopulistische Weltwoche von »Rollkommandos der Syndikalisten«, die »fast das gesamte Repertoire« nutzten, »das mafiose Vereinigungen zur Realisierung ihrer Egoismen entwickelt haben: überfallartige Kommandoaktionen, Einschüchterung, Drohung, Nötigung, Erpressung, Hetze, Kassieren von Schutzgeldern, öffentliche Fertigmachung« (Weltwoche36/2007).

Es wäre aber falsch, die Unia wegen ihrer kämpferischen Attitüde für eine Sponti-Truppe von Politaktivisten zu halten. Die Ressourcen, die die Gewerkschaft für Tarifbewegung, Basisarbeit und Kampagnen verwendet, hat sie sich durch eine professionelle Umstrukturierung ihrer individuellenMitgliederbetreuung freigeschaufelt. Ein Drittel der Finanzen darf für Serviceleistungen, Rechtsberatung und Verwaltung verwendet werden, zwei Drittel für die politische Arbeit – so lautet die Zielvorgabe. Erreicht wird dies durch die neuesten Zaubertricks moderner Prozessoptimierung, Callcenter-Software, Analysetools und organisationspolitische Weichenstellungen.

»Wir haben uns entschieden, die Leistungen für Nichtmitglieder drastisch einzuschränken«, sagt René Lappert, der in der Region Zürich-Schaffhausen den Bereich Individuelle Mitgliederbetreuung leitet. »Denen sagen wir nicht mal, wie spät es ist«, sagt er und lacht. Nun, das ist etwas übertrieben. Wer als Nichtmitglied bei der Unia Rat sucht, bekommt eine Erstberatung und ein »Welcome-Paket« mit den wichtigsten Informationen. »Aber die Zeiten, in denen der Gewerkschaftssekretär jeden Hilfesuchenden an die Hand nahm, um dessen Probleme zu lösen, sind definitiv vorbei.«

Aus:
Jörn Boewe
Das Kräfteverhältnis ändern. Für die Schweizer Unia ist Organizing mehr als Betriebserschließung. Es geht um den außerparlamentarischen Kampf für soziale Gerechtigkeit. (a. a. O.)