Insourcing mit Tücken

Vor einem Jahrzehnt lagerte das Land Berlin zahlreiche Beschäftigte in tariflose Tochterfirmen aus. Das will der rot-rot-grüne Senat jetzt umkehren. Doch gleichen Lohn für gleiche Arbeit bedeutet das noch lange nicht. Von Jörn Boewe, Hintergrund IV/2017

Es war eine Erfolgsmeldung mit »aber«: Das Land Berlin kauft die 2006 ausgegliederte und teilprivatisierte Servicegesellschaft CFM des Berliner Universitätsklinikums Charité zurück, hatte der rot-rot-grüne Senat im März 2017 beschlossen. Inzwischen ist klar: Trotz Insourcings wird es auf lange Sicht weiter Beschäftigte verschiedener Klassen geben. Eine Angleichung ans Lohnniveau des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst (TVÖD) »können wir uns nicht leisten «, stellte Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) Ende August in der Presse klar.

2011: Beschäftigte der unter Rot-Rot teilprivatisierten Charité-Servicegesellschaft streiken für einen Tarifvertrag. Foto: Frank Eßers (CC BY-NC-SA 2.0)

Der Fall zeigt ein grundsätzliches Dilemma von Berlins Mitte-Links Regierung. In ihrer Koalitionsvereinbarung vom Herbst 2016 hatten sich SPD, Linke und Grüne versprochen, sich dafür einzusetzen, dass »für Landesunternehmen und ihre Tochterunternehmen, die bisher noch nicht tarifgebunden sind, zügig mit dem Ziel der Beschäftigungssicherung und der Angleichung an den TVöD Tarifverträge abgeschlossen werden«. Insbesondere das über Jahre praktizierte »Outsourcing in öffentlichen Einrichtungen und Betrieben mit lediglich dem Ziel, sich aus Tarifbindungen zu lösen« wolle man künftig »unterbinden«, heißt es dort.i

Das klingt gut, selbst wenn man in Rechnung stellt, dass der Senat an die Lösung von Problemen geht, die eine andere Mitte-Linksregierung – Rot-Rot zwischen 2002 und 2011 – erst geschaffen hatte. Nicht wenige der heutigen politischen Akteure waren damals schon in Verantwortung. Doch nun zeigt sich: Selbst wo es kurz- und mittelfristig zu einer Kommunalisierung ausgelagerter Unternehmen kommt, bedeutet das noch lange keine Angleichung der Einkommens- und Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Einmal etabliert, erweisen sich prekäre Verhältnisse als ausgesprochen langlebig – an der Charité und anderswo.

Beispiel 1: CFM und Charité

2006 war an Berlins Uniklinikum der Bereich der »nicht-medizinischen« Dienstleistungen – Wachschutz, Krankentransport, Küche, Zentralsterilisation usw. – in der »Charité Fazilität Management GmbH« zusammengefasst und in einer »Öffentlich-privaten Partnerschaft« teilprivatisiert worden. Aufsichtsratsvorsitzender war der damalige Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS). Der Berliner Senat hatte sich auf die Fahnen geschrieben, zu »sparen, bis es quietscht«, wie es der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ausdrückte.ii 49 Prozent der Anteile an der CFM wurden an ein Konsortium der Unternehmen Dussmann, Hellmann Worldwide Logistics und der Fresenius-Tochter Vamed verkauft. Politisch verantwortlich war der damalige Wissenschaftssenator und Charité-Aufsichtsratsvorsitzende Thomas Flierl (PDS).

Für das Land ging es schlicht darum, durch Tarifflucht Kosten zu senken – bis zu einem Viertel Einsparpotenzial sah man beim Senat. Befristete Arbeitsverhältnisse wurden nur noch zu erheblich verschlechterten Bedingungen erneuert, Reinigungskräften wurden die »Quadratmetervorgaben« verdreifacht, aktive Gewerkschafterinnen wurden nahezu geräuschlos aus dem Betrieb entfernt, indem ihre Zeitverträge nicht verlängert wurden. Wegen Behinderung von Betriebsratsarbeit kam die CFM, in deren Management mehrere alte Stasi-Offiziere und -Mitarbeiter saßen, immer wieder in die Presse. Durch Neuausschreibungen wurde nach ver.di-Informationen versucht, Stundenlöhne für Vollzeittätigkeiten in technischen Gewerken unter vier, fünf Euro zu drücken.

Zugleich drangen immer wieder Informationen über verdeckte Gewinnentnahmen und Nachforderungen der privaten Investoren an die Öffentlichkeit. Altbeschäftigte, die bei der Charité angestellt blieben, wurden von dieser an die CFM verliehen. Bereits 2006 wies ver.di darauf hin, dass diese »gestellten« Arbeitskräfte systematisch dazu gedrängt wurden, »Mehrleistungen zu erfassen, außervertragliche Leistungen zu identifizieren bzw. zu generieren und zur Abrechnung zu bringen«, was bedeutete, »dass damit Mitarbeiter der Charité umsonst für die CFM tätig sind bzw. Material und Dienstleistungen liefern«.iii Für Aufregung sorgte die CFM auch, als sie im Sommer 2006 das Mineralwasser für die Charité-Patienten auf eine Flasche pro Tag rationierte. Oder als zwei Jahre später herauskam, dass nur jede achte Reinigungskraft den gesetzlich vorgeschriebenen Impfschutz hatte.

So wurde auf Kosten der Beschäftigten und Patienten von Anfang an Gewinn gemacht: 2007 waren es nach eigenen Angaben der CFM 450.000 Euro, für 2006 hatte das Unternehmen keine Summe genannt, aber immerhin verraten, dass der erzielte Überschuss um rund 18 Prozent höher »als erwartet« ausgefallen war. »Das war offenbar eine interessante Konstruktion für die privaten Anteilseigner. Dort wurde Geld verdient«, resümierte Berlins jetziger Regierungschef Michael Müller kürzlich in der Berliner Zeitung. Sein Kabinett sei dagegen der »Überzeugung, dass diese Bereiche des Gesundheitswesens in die öffentliche Daseinsvorsorge gehören«. Bemerkenswert, daran ist, dass Müller von 2001 bis 2011 Fraktionsvorsitzender der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus war. Ohne jahrelangen Druck der CFM-Beschäftigten, mehrere erbitterte Streiks seit 2011 und eine zunehmende Sensibilisierung zumindest von Teilen der SPD- und Linken-Wählerschaft wäre es kaum zu diesem Sinneswandel gekommen.

Nicht aufgearbeitet ist bis heute die Rolle von Verantwortungsträgern der SPD und Linken, der beauftragten Beraterfirmen und Lobbyisten. Insbesondere zu nennen ist hier die im Dezember 2005 von der BMW-Großaktionärin Johanna Quandt gegründete »Stiftung Charité«, die es sich zum Ziel gesetzt hat, »den Aufbau zusätzlicher privater Strukturen an und im Umfeld der Charité« zu fördern, »sofern diese der Charité dabei helfen, Exzellenz und Unternehmertum zu sichern oder zu erreichen«.iv


Beispiel 2: BVG/BT

Erstaunlich geräuschlos ging im Mai 2017 die Tarifrunde bei den Berliner Verkehrsbetrieben über die Bühne. 2,5 Prozent Lohnerhöhung wurden vereinbart – dafür gab es nicht mal Warnstreiks. Im März hatten Presseberichte für Aufsehen gesorgt, nach denen die BVG aufgrund von Personalmangel Rentner reaktiviert als Minijobber auf ihren Fahrzeugen einsetzt. »Die BVG wird ab sofort Busfahrer, die sich im Ruhestand befinden, auf 450 Euro-Basis wieder einstellen«, zitierte die Berliner Zeitung aus einem internen Rundschreiben des Unternehmens.v Offensichtlich hat die BVG Schwierigkeiten, am Markt Bewerber zu finden. Dies ist nicht verwunderlich, denn die Einstiegslöhne liegen laut ver.di bei etwa 2000 Euro brutto.

Die Situation ist Resultat einer über mittlerweile fast zwei Jahrzehnte verfolgten systematischen Spaltungspolitik gegenüber den Beschäftigten. Bereits 1999 hatten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) – noch unter Verantwortung des CDU/SPD-Senats unter Eberhard Diepgen – die 100prozentige Tochterfirma Berlin Transport ausgegründet. Auch hier war das erklärte Ziel Kostensenkung durch Tarifflucht. Längere Arbeitszeiten und niedrigere Löhne wurden aber mittelfristig nicht nur bei der Tochter durchgesetzt, sondern auch bei der BVG selbst.

Zwar wurde die BT ab 2005 schrittweise in einen gemeinsamen, neugeschaffenen Tarifvertrag mit der BVG überführt. Doch die gravierenden Spaltungen der Beschäftigten entlang von Lohn und Arbeitszeit wurden damit nicht aufgehoben, sondern erst recht zementiert. Nach dem Austritt der rot-roten Koalition aus den öffentlichen Arbeitgeberverbänden vereinbarten Senat und ver.di Lohnsenkungen bis zu zwölf Prozent, Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie eine dauerhafte Spaltung in Alt- und Neubeschäftigte – mit Lohnunterschieden bis zu einem Drittel.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Während ein altbeschäftigter Busfahrer heute rund 36.000 Euro im Jahr bei einer Wochenarbeitszeit von 36,5 Stunden erhält, bekommt ein Neubeschäftigter nur knapp 26 000 Euro bei einer 39-Stunden-Woche.

Die seinerzeit mitregierende Linke rechtfertigte die Einführung des Absenkungstarifvertrags mit der Notwendigkeit, die BVG für europäische Ausschreibungen fit zu machen. Nach EU-Recht müsse das Land »zwingend und nachweislich das für die Allgemeinheit kostengünstigste Verkehrsunternehmen zu beauftragen«, erklärte die Verkehrsexpertin der Linken, Jutta Matuschek im Abgeordnetenhaus. »Das ist die BVG nur mit dem TV-N und nicht ohne ihn.«vi

Vorläufiges Ergebnis dieser Sanierungspolitik ist der 2013 abgeschlossene und 2016 in Kraft getretene »Ergänzungstarifvertrag Zukunftssicherung« für die rund 14 000 BVG- und BT-Beschäftigten. Das Abkommen, das bis 2020 bindend ist, macht Lohnsteigerungen grundsätzlich vom Betriebsergebnis abhängig. Je nach Ertragslage dürfen die Einkommen der Beschäftigten von U-Bahn, Bussen und Straßenbahnen maximal um 2,5 Prozent steigen.

Beispiel 3: Botanischer Garten

In Berlin-Dahlem betreibt die Freie Universität Berlin den größten Botanischen Garten Europas. Rund 140 Beschäftigte arbeiten hier, in Gartenpflege, Wachschutz, Besucherservice. Vor zehn Jahren gründete die die FU eine Betriebsgesellschaft aus – erklärtes Ziel auch hier, die Personalkosten zu senken. Für Vollzeittätigkeiten wurden in der Tochter Bruttolöhne von 1200 Euro durchgesetzt. Angestellte der ausgelagerten Tochter und FU-Mitarbeiter bildeten dabei in einem Gemeinschaftsbetrieb. Bei denselben Tätigkeiten gab es Lohnunterschiede von mehr als 70 Prozent. Die Niedriglöhne wurden sogar in einem Haustarifvertrag mit der IG BAU festgeschrieben.

Es dauerte ein paar Jahre, bis sich hin diese Situation Widerstand organisierte. 2008 wurde ein Betriebsrat für den Gemeinschaftsbetrieb gewählt, gegen den von Anfang an systematische Repressalien an der Tagesordnung waren. Ein Mitarbeiter der Unternehmensberatung, die das Ausgliederungskonzept erarbeitet hatte, wurde inkognito als Gärtner in den Betrieb »eingeschleust«, wo er Beschäftigte gegen den Betriebsrat aufhetzte. Gewerkschaftlich Aktive wurden mit anonymen Emails und Briefen unter Druck gesetzt, in mindestens einem Fall wurde versucht, die Familie eines Betriebsratsmitglieds einzuschüchtern.vii

Der Tarifvertrag mit der IG BAU lief 2013 ersatzlos aus, weil die darin vereinbarten Entgelte unter dem mittlerweile im Arbeitnehmer-Entsendegesetz für allgemeinverbindlich erklärten Branchenmindestlöhnen lagen. 2014 unternahm eine Gruppe gewerkschaftlich engagierter Beschäftigter einen Neustart mit ver.di und konnte mit einer aktionsorientierten Kampagne 2016 einen Abschluss durchsetzen, der eine schrittweise Angleichung an den Flächentarifvertrag vorsieht.

Vorläufig letztes Kapitel: Im Mai 2017 gab das Präsidium der Universität bekannt, die Betriebsgesellschaft aufzulösen und die Beschäftigten in die FU zu übernehmen. Zugleich will man sich aber offenbar eines kämpferischen Mitbestimmungsgremiums entledigen. Mit dem Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs soll zugleich auch der Personalrat des Botanischen Gartens aufgelöst werden. Eine entsprechende Gesetzesänderung ist bereits auf den Weg gebracht.viii

Fazit und Ausblick

Nach Jahren des Outsourcings hat der rot-rot.grüne Senat von Berlin Schritte in Richtung Rekommunalisierung ausgelagerter Tochterunternehmen eingeleitet. Zweifellos ist diese Wende auch ein Resultat des Auftauchens einer neuen Generation betrieblicher Gewerkschaftsaktivisten. Zugleich bleibt das Insourcing halbherzig und bedeutet zumindest auf kurze und mittlere Sicht kein Ende des Sozialdumpings bei Löhnen und Arbeitsbedingungen. Über weite Bereiche in den letzten Jahrzehnten privatisierter öffentlicher Aufgaben wird aktuell übrigens gar nicht geredet – etwa im sozialen und Jugendhilfebereich oder bei den teilweise privatisierten Grünflächenämtern. Wo es möglich ist, sich kämpferischer Beschäftigtenvertretungen zu entledigen, wird dies als »Mitnahmeeffekt« gern in Kauf genommen. Selbst bei optimistischer Prognose kann man jetzt schon sagen, dass die vor allem unter dem rot-roten Senat nach der Jahrtausendwende forcierte Outsourcing-Politik im öffentlichen Dienst Berlins für einen Großteil der Beschäftigten zu einer Abkoppelung vom Flächentarifvertragsniveau für mindestens anderthalb Jahrzehnte geführt hat.

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i Berlin gemeinsam gestalten.Solidarisch, nachhaltig, weltoffen. Koalitionsvereinbarung 2016-2020, S. 141

ii »Bis es quietscht«, Der Spiegel, 26.11.2001, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-20849222.html

iii Aus einem ver.di-Papier, zitiert nach junge Welt, 22. September 2006

iv Aus der ursprünglichen Selbstdarstellung der Stiftung, zitiert nach junge Welt, 13.12.2008. Mittlerweile hat die Stiftung ihr öffentliches Leitbild umformuliert und will »ein Modell für die konstruktive Partnerschaft zwischen einer akademischen Einrichtung und einer unabhängigen Stiftung sein«, nach: http://www.stiftung-charite.de/de/stiftung-charite/unser-leitbild.html

v Busfahrermangel: Bei der BVG müssen die Rentner ran, Berliner Zeitung, 10.03.2017, http://www.berliner-zeitung.de/berlin/verkehr/busfahrer-mangel-bei-der-bvg-muessen-die-rentner-ran-26178490

vii Vgl. Jana Seppelt, Reinhold Niemerg u.a.: Der Aufstand der Töchter. Botanischer Garten Berlin: Gemeinsam staatlich organisierte prekäre Beschäftigung überwinden, VSA-Verlag Hamburg, September 2017, http://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/der-aufstand-der-toechter/