Mehr Lohn am Kai

Der deutsche Seegüterumschlag boomt. Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fordert 6,8 Prozent mehr Geld für Hafenarbeiter

Von Jörn Boewe, junge Welt, 16. April 2015

Die Hafenarbeiter der deutschen Seehäfen fordern ein kräftiges Lohnplus. Die Tarifverhandlungen für die 15.000 Beschäftigten zwischen Papenburg und Ueckermünde sind am gestrigen Mittwoch in Hamburg in die zweite Runde gegangen. Bei Redaktionsschluss lag noch kein Ergebnis vor.

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Eine schnelle Einigung war auch nicht zu erwarten, denn bei der ersten Verhandlungsrunde am 25. März hatten die im Zentralverband Deutscher Seehafenbetriebe (ZDS) organisierten Unternehmer nicht mal ein Angebot vorgelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fordert für ihre Klientel 6,8 Prozent mehr Lohn und eine Anhebung der jährlichen Sonderzahlung auf 500 Euro bei einer Vertragslaufzeit von zwölf Monaten. Außerdem soll die Wochenarbeitszeit der Beschäftigten im Automobilumschlag, für die ein gesonderter »Fahrer«-Tarif gilt, schrittweise auf 35 Stunden reduziert und damit an die Regelarbeitszeit der übrigen Hafenarbeiter angeglichen werden.

Das aktuelle Verzeichnis des ZDS listet 21 Seehäfen auf, die nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden im vergangenen Jahr 303,9 Millionen Tonnen Güter umschlugen. Damit ist das Niveau von vor der Krise 2008 fast wieder erreicht: Damals gingen 318 Millionen Tonnen über die Kaikanten der deutschen Nord- und Ostseeküste, soviel wie nie zuvor. Nachdem der Umschlag 2009 im Zuge der Weltwirtschaftskrise ungefähr um ein Drittel schrumpfte, ging es die letzten fünf Jahre stetig aufwärts.

Allein von 2013 auf 2014 legte der Umschlag um sechs Millionen Tonnen oder 2,1 Prozent zu. Überdurchschnittlich wuchs der Containerverkehr – womit sich ein langfristiger Trend fortsetzte. Hier lag der Zuwachs 2014 bei 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit wurden vergangenes Jahr 15,9 Millionen Standardcontainer über deutsche Seehäfen verbracht.

Obwohl im vergangenen Jahr die Importe und inländischen Transporte auf dem Seeweg schneller anstiegen als die Ausfuhren, sind die deutschen Seehäfen vor allem eines: der Flaschenhals der deutschen Exportwirtschaft. Rund eine halbe Million Arbeitsplätze hängen deutschlandweit mehr oder weniger von der Hafenwirtschaft ab. Diese Schätzung des Unternehmerverbands ZDS mag hochgegriffen erscheinen, richtig ist aber: Die deutsche Industrie ist auf den Seegüterumschlag in höchstem Maße angewiesen. Und hier sind vor allem Hamburg, Wilhelmshaven und Bremerhaven interessant, auf die zusammen rund zwei Drittel der Wirtschaftsleistung aller deutschen Seehäfen entfallen. Über die drei Standorte geht praktisch der komplette Containerverkehr, in Bremerhaven steht zudem der größte Autoverladeterminal Europas. Die dort Beschäftigten werden deutlich schlechter bezahlt als ihre Kollegen in den Containerhäfen und haben sich von den im Zuge der Krise durchgesetzten Lohnsenkungen immer noch nicht erholt. Ver.di fordert nun eine schrittweise Anpassung ihres Entgeltniveaus an das der übrigen Hafenarbeiter. Die Beschäftigten in der Autoverladung würden, so sich die Gewerkschaft mit ihren Vorstellungen durchsetzt, nach zwei Jahren etwa bei 14 Euro Stundenlohn liegen. 2010 hatte ver.di unter dem Schock der Krise einen Stundenlohn von 10,90 Euro für die »Fahrer« vereinbart. Den Unternehmern gelang es sogar, einen Aufstieg in höhere Lohngruppen auszuschließen.

Damit soll nach dem Willen der Gewerkschaft nun Schluss sein. »Die Beschäftigten im Automobilumschlag, unter anderem am Standort Bremerhaven, haben eine faire finanzielle Perspektive verdient, die derzeit nicht gegeben ist«, erklärte ver.di-Verhandlungsführer Torben Seebold vor Beginn der gestrigen Gespräche. Die Situation von Unternehmen wie Eurogate und der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) sei darüberhinaus »ausgezeichnet, sowohl was das Mengenwachstum als auch die prognostizierten Jahresabschlüsse betreffe«.

In der Tat: Die beiden Konzerne, auf die rund zwei Drittel des gesamten deutschen Seegüterumschlags und praktisch hundert Prozent der Containerverladungen entfallen, legen rasante Wachstumsraten hin. Die mehrheitlich im Besitz der Freien und Hansestadt Hamburg befindliche HHLA steigerte ihren Gewinn 2014 gegenüber dem Vorjahr um zehn Prozent auf 169,3 Millionen Euro. An den Hamburger Containerterminals des Unternehmens wurden mit 7,2 Millionen Standardcontainern (TEU) so viele Boxen umgeschlagen wie noch nie. Entscheidend hierfür war das Fernostgeschäft. Eurogate, ein gemeinsamer Konzern der öffentlichen BLG Logistik Group (vormals Bremer Lagerhaus-Gesellschaft) und des Hamburger Privatunternehmens Eurokai, verbuchte im vergangenen Jahr 65 Millionen Euro Gewinn und übertraf damit das Vorjahresergebnis um fast fünf Prozent. Der Containerumschlag wuchs um rund zehn Prozent, wobei vor allem Hamburg zulegte. Noch nicht viel los war 2014 am ebenfalls von Eurogate betriebenen Tiefwasserhafen Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven. Erst seit kurzem wird er nach Unternehmensangaben dreimal wöchentlich von Containerschiffen angelaufen. Mittelfristig dürfte hier aber Potential sein, da der Hafen tidenunabhängig die derzeit größten Containerschiffe voll beladen abfertigen kann. Für 2015 rechnet der Betreiber in Wilhelmshaven mit dem Umschlag von mindestens einer halben Million Standardcontainer – das wäre ein Vielfaches des Vorjahresniveaus.

Gute Voraussetzungen für eine Lohnoffensive also. Auch in der zurückliegenden Tarifrunde vor zwei Jahren hatte ver.di eine ähnlich hohe Forderung aufgestellt. Allerdings wurden aus den 6,5 Prozent über zwölf Monate dann zweimal drei über zwei Jahre. Vielleicht läuft es ja diesmal besser.