Port Package light

EU-Parlament billigt Entwurf für »Hafenpaket«. Breite Mehrheit von Konservativen bis zur Linken

Von Jörn Boewe, junge Welt, 15. März 2016

Am Ende waren selbst Linke und Gewerkschafter dafür: Mit 451 gegen 243 Stimmen beschloss das Europäische Parlament vergangene Woche den Entwurf für eine »Hafenverordnung«. Vor allem britische Abgeordnete aller Lager, Rechtspopulisten und die meisten Grünen stimmten dagegen. Bei Sozialdemokraten, Konservativen und der Europäischen Linken fand der Vorschlag dagegen eine Mehrheit. Das Dokument bildet nun die Grundlage für weitere Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Rat.

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Bremerhaven, Kaiserhafen, Februar 2016

Seit fünfzehn Jahren versucht Brüssel, die europäischen Seehäfen weitgehend für den »freien Markt« zu öffnen. Seit 2001 legt die Kommission immer wieder neue Vorschläge auf den Tisch, die bei allen Unterschieden in den Details derselben Logik folgen: Möglichst viele Dienstleistungen an den Häfen sollen ausgeschrieben werden, um den Einfluss der öffentlichen Hand und der Gewerkschaften zugunsten von privaten Bietern und Reedereien zu schwächen.
Den bislang letzten Versuch unternahm die EU-Kommission 2013 mit dem Vorschlag für eine »Verordnung zur Schaffung eines Rahmens für den Zugang zum Markt für Hafendienste und für die finanzielle Transparenz der Häfen«. Dienstleistungen wie Betankung, Ausbaggerung, Lotsen- und Schleppdienste sollten künftig verpflichtend am Markt ausgeschrieben werden. In Presse und Literatur wurde die Vorlage mal als »Port Package III«, mal als »Port Package IV« bezeichnet, was deutlich macht, wie komplex und verworren die Materie mittlerweile ist.

Der jetzt vom Parlament angenommene Entwurf ist in den vergangenen zwei Jahren erheblich verändert worden und trägt die Handschrift des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten, des Hamburger Angeordneten Knut Fleckenstein. Fleckenstein sorgte als Berichterstatter des Verkehrsausschusses dafür, dass die kritischsten Punkte aus dem Papier gestrichen wurden: So sieht das überarbeitete Dokument keine Ausschreibungspflicht mehr für Lotsendienste vor, auch für Passagier- und Frachtabfertigung soll nicht mehr zwingend der »Marktzugang« vorgeschrieben sein. Überhaupt wurde das Wort »Marktzugang« aus dem Kommissionsentwurf im »Fleckenstein-Report« fast durchgängig durch die Formulierung »Organisation der Hafendienste« ersetzt. Tatsächlich ist die Logik eine andere: Statt Marktzwang setzt der veränderte Entwurf auf die Möglichkeit unterschiedlicher Modelle, Häfen zu betreiben, und will nationale Sozial- und Umweltstandards als verbindliche Minimalanforderungen festschreiben.
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Auch eine im ursprünglichen Dokument vorgesehene Einschränkung des Streikrechts ist nun nicht mehr enthalten. Wo es in der Kommissionsvorlage noch hieß, bei einer »Störung von Hafendiensten« könnten Behörden unter Umständen eine »Notfallmaßnahme« ergreifen und bestimmte Aufgaben anderen Anbieter zuweisen, wird nun klargestellt: »Kollektive Arbeitskampfmaßnahmen, die im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats und bzw. oder mit geltenden Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern ergriffen werden, gelten nicht als eine Störung von Hafendiensten, bei der Notfallmaßnahmen ergriffen werden können.«

Alles in allem ist der nun vom Parlament angenommene »Fleckenstein-Report« offenbar ein Kompromiss, mit dem auch die Gewerkschaften leben können: Das Dokument enthalte »verschiedene Verbesserungen im Vergleich zum ursprünglichen Text«, erklärte der Vizevorsitzende der Hafenarbeitersektion der Europäischen Transportarbeiterföderation ETF, Torben Seebold. »Wir sind besonders froh, dass das Europäische Parlament die Marktzugangselemente abgelehnt hat.« Gleichwohl werde man angesichts andauernder Versuche, die Arbeitsbedingungen in den Häfen zu verschlechtern, »an verschiedenen Fronten wachsam bleiben«.

2003 und 2006 musste Brüssel die ersten beiden Richtlinienpakete zurückziehen – nach europaweiten Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen von Hafenarbeitern. Für sie war vor allem die damals geplante »Selbstabfertigung« von Frachtschiffen ein absolutes »No-Go«. Hätte sich die Kommission durchgesetzt, wären Reeder heute berechtigt, ihre Schiffe mit eigenem Personal und Ladegeschirr zu be- und entladen. Tarifverträge wären wirkungslos geworden, etlichen Hafenarbeitern hätten Entlassungen gedroht. 2010 unternahm der damalige Verkehrskommissar Siim Kallas einen dritten Versuch, stieß aber wiederum auf erbitterten Widerstand – nicht nur der Gewerkschaften, sondern auch der Hafenbetreiber und weiter Teile der Politik, so in Deutschland etwa der potentiell betroffenen Bundesländer Hamburg, Niedersachsen und Bremen.

Es sei »erfreulich«, dass es im Parlament gelungen sei, »die Liberalisierungswut der Kommission auszubremsen«, erklärte der Hamburger Europaabgeordnete Fabio De Masi (Die Linke), der sich bei der Abstimmung enthalten hatte. »Allerdings rumort es hinter den Kulissen, da die Kommission weiterhin beabsichtigt, Hafendienste zu liberalisieren.« Bis Ende Mai sollen nun verschiedene Anhörungen stattfinden. Im Herbst will Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager dann dem Parlament den endgültigen Gesetzentwurf vorlegen. Ob der Zeitplan realistisch und die Zwangsöffnung für die Märkte wirklich »vom Tisch« ist, wie Fleckenstein vergangene Woche optimistisch erklärte, ist heute noch nicht abzuschätzen.