Selbstverpflichtungen haben versagt

Welttag für menschenwürdige Arbeit: Gewerkschaften fordern mehr soziale Rechte

Von Jörn Boewe, neues deutschland, 7. Okt. 2014

Miese Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung und katastrophale Unfälle. In der globalen Arbeitswelt liegt vieles im Argen – nicht nur in Schwellenländern.

Brandkatastrophen bei Textilherstellern, Kinderarbeit bei Smartphoneproduzenten, Ausbeutung im Schlachthof: Der Turbokapitalismus der letzten zwei Jahrzehnte hat weltweit die Arbeitsbedingungen in vielen Bereichen verschlechtert. Dagegen wollen Mitgliedsorganisationen des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) am Dienstag mit Aktionen in über 100 Ländern ein Zeichen setzen. Seit 2008 organisiert der IGB am 7. Oktober den Welttag für menschenwürdige Arbeit.

Immer mehr arbeitende Menschen seien in Folge der Krise in den vergangenen zwei Jahren Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Unsicherheit ausgesetzt worden. Für viele sei das Ausmaß sozialer Ungleichheit höher als je zuvor, heißt es in einer Erklärung von IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow. Die Hälfte aller auf Lohnarbeit angewiesenen Familien weltweit sind laut IGB seit 2012 mit Arbeitslosigkeit oder Unterschäftigung konfrontiert. 1,2 Milliarden Menschen leben in extremer Armut.

Der DGB benennt in seinem eigenen Aufruf zum Aktionstag die fortschreitende transnationale Arbeitsteilung und Produktion in weltumspannenden Wertschöpfungsnetzwerken als Ursachen für die Ausbreitung schlechter Arbeitsbedingungen. Zwar hätten sich Staaten und transnationale Unternehmen »längst auf für alle geltende Normen und Standards geeinigt«, damit »Waren und Dienstleistungen frei gehandelt werden können, die Qualität stimmt, und die Fertigung effizient ist«. Allein die Qualität der Arbeitsplätze falle oft unter den Tisch.

Die Gewerkschaften fordern deshalb, »dass Menschen und ihre sozialen Rechte weltweit ebenso viel Aufmerksamkeit und Rücksicht erhalten und zumindest die ILO-Kernarbeitsnormen eingehalten werden«. Viel zu oft würden Waren und Dienstleistungen gehandelt, die unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen gefertigt wurden, mit Löhnen, die mitunter nicht zum Leben reichen. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen und etliche Zertifikate hätten »weitgehend versagt«, wenn es um die Schaffung menschenwürdiger Arbeit ging.

Die Zusammenarbeit mit anderen Gewerkschaftsorganisationen weltweit soll deshalb forciert werden, heißt es in dem Aufruf. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen seien aber »nicht allein Sache der Gewerkschaften, sondern auch ein Auftrag an die Politik und die Wirtschaft«. Von der Bundesregierung fordert der DGB, »sich auf allen Ebenen internationaler Politik für die Arbeitnehmerrechte, soziale Absicherung und ein existenzsicherndes Einkommen besonders einzusetzen«. Ausbeuterische und ungeschützte Arbeit müsse eingeschränkt und die Ausdehnung des informellen Sektors gestoppt werden.

Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen sind kein alleiniges Problem von Schwellenländern: Outsourcing und Missbrauch von Werkverträgen haben auch in Teilbereichen der deutschen Industrie längst Verhältnisse herbeigeführt, die vor einer Generation niemand für möglich gehalten hätte. Berüchtigt sind die Zustände in der Fleischindustrie. Aber auch in Sektoren, die bislang als vorbildlich reguliert galten, sind prekäre Ausbeutungsverhältnisse auf den Vormarsch. Jüngstes Beispiel ist der Fall von rund 100 griechischen und polnischen Werkvertragsarbeitern, die Anfang August mittellos in einer völlig heruntergekommenen Absteige in Groß Stieten bei Wismar gestrandet waren. Sie hatten für ein etabliertes Rostocker Unternehmen Korrosionsschutzarbeiten im Windkraftanlagenbau durchgeführt. Der zwischengeschaltete Subunternehmer hatte im Frühsommer die Lohnzahlungen eingestellt, weil seine Firmenkonten im Zuge staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gesperrt worden waren.