Das Licht geht aus im „Solar Valley“

Keine Industrie ist so schnell gewachsen wie die Produktion von Photovoltaikmodulen – und keine ist so schnell wieder zusammengebrochen. Was ist hier industriepolitisch schiefgelaufen? Ein Besuch in Thüringen. Von Jörn Boewe und Johannes Schulten

Magazin Mitbestimmung, 11/2013

Wer wissen will, wie dicht Aufstieg und Fall der deutschen Solarindustrie beieinanderliegen, sollte ins thüringische Arnstadt fahren. Hinter dem Fußballstadion des SV Rudisleben, dessen morbider Charme nicht recht zu seinem martialischen Namen „Manfred-von-Brauchitsch-Kampfbahn“ passen will, biegt man am Lützer Feld in ein Gewerbegebiet ein, fährt bis zur Robert-Bosch-Straße und hält auf dem Parkplatz des mit Abstand größten Fabrikgebäudes, einer fast 300 Meter langen, silbergrauen Halle.

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„Die große Zeit liegt noch vor uns“

Eicke R. Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg, über die richtige Industriepolitik für eine Zukunftstechnologie. Das Gespräch führten Jörn Boewe und Johannes Schulten.

Magazin Mitbestimmung, 11/2013

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz fördert indirekt den Verkauf von Solaranlagen, egal wo sie produziert wurden. Haben also die deutschen Stromkunden über ihre EEG-Umlage die chinesischen Billiganbieter subventioniert und dazu beigetragen, dass bei uns Industriearbeitsplätze vernichtet wurden?

Das sehe ich anders. Erst durch das EEG wurde in Deutschland ein Markt für Photovoltaik (PV) geschaffen mit der Folge, dass heute unsere PV-Technologien weltweit führend sind. Für den Aufbau einer Photovoltaik-Industrie erhielten die ostdeutschen Bundesländer Geld aus der EU-Regionalförderung, während man in China die Regionen in einen Wettbewerb brachte, was dort zu einer gigantischen Überkapazität führte. Was wir dabei nicht vergessen dürfen: Der größte Teil der in Asien errichteten Produktionsanlagen wurde in Deutschland geordert. Es waren Firmen wie Centrotherm, Roth und Rau, RENA oder M&B, die Aufträge in einer Größenordnung von 50 Milliarden Euro für China erledigt haben. Für die deutschen Anlagenbauer war das ein Riesengeschäft. Und die produzierten Module wurden dann vor allem nach Deutschland exportiert.

Von einem chinesischen Dumping, von dem in Deutschland oft die Rede ist, wollen Sie also nicht sprechen?

Ich meine nein. Das Dumping bestand höchstens darin, dass die Chinesen Industriepolitik betrieben haben, indem sie preisgünstige Kredite für den Fabrikbau zur Verfügung stellten, was allerdings hier in kleinerem Maßstab auch in Ostdeutschland gemacht wurde.

Seither sind viele deutsche Modulbauer in die Insolvenz gegangen, kaum jemand arbeitet kostendeckend. Ist unsere heimische Solarindustrie noch zu retten?

Das Problem ist, dass ein Großteil der deutschen Hersteller nicht in der Lage ist, zu den jetzigen, niedrigen Modulpreisen zu produzieren. Das ist auf Dauer kein Geschäftsmodell. Jetzt ist die große Frage: Bleiben wir am Ball und entwickeln für den Weltmarkt eine neue Generation von Solarproduktionsanlagen – hochautomatisiert, neueste Technologie, hocheffizient, im Gigawattmaßstab? Wenn wir unsere Karten richtig spielen, haben wir eine reelle Chance, für diese zweite Generation von Photovoltaik-Produktionstechnologie die Anlagen zu liefern. Wir dürfen nicht den Fehler machen, den wir in der Mikroelektronik begangen haben: Wesentliche Erfindungen kamen aus Europa. Am Schluss ging die Produktion jedoch in Richtung USA und dann später nach Japan, Korea und Taiwan. Um das zu verhindern, brauchen wir eine systematische Industriepolitik.

Eine systematische Industriepolitik für das Geschäftsfeld der erneuerbaren Energien ist aber derzeit nicht zu erkennen.

Wir sind ganz am Anfang, etwa wie die Autoindustrie im Jahre 1910. Die große Zeit liegt noch vor uns. Die Photovoltaik beginnt, sich weltweit als preiswerteste Art der Stromerzeugung durchzusetzen, der Strombedarf wird enorm steigen, und wir haben beim Solarstrom – das zeigen unsere Berechnungen – ein riesiges Wachstumspotenzial. Der Solarmarkt ist also ein embryonaler Markt im Gegensatz zu dem, was wir in einigen Jahren haben werden. Wir haben zwar mit dem EEG Anschubkosten übernommen und unsere Stromrechnung erhöht. Aber jetzt, wo es spannend wird, will jetzt die Politik etwa aussteigen?

Was sollte sie tun?

Wir brauchen europäische Instrumente, um den Unternehmen zinsgünstige Kredite zu garantieren. Die Solarindustrie braucht Geld, um durch das Tal der Tränen zu kommen. Aber das Kapital ist seit der Lehman-Pleite risikoscheu geworden Hier muss die Politik eingreifen. Das kann über Kreditversicherungen geschehen. Die Frage ist doch: Welchen Branchen billigen wir das zu und welchen nicht? Der neue Airbus wäre ohne eine milliardenschwere Kreditausfallversicherung auch nicht gebaut worden.

Glauben Sie, dass die höheren Arbeits- und Sozialstandards in der Europäischen Union ein Standortnachteil sind?

Nein, überhaupt nicht. In der heutigen Photovoltaik-Produktion machen Lohnkosten nur noch fünf Prozent der Gesamtkosten aus. Selbst wenn die Beschäftigten in China zum Nulltarif arbeiten würden, ergäbe sich nur ein geringer Vorteil, der direkt wieder durch die Transportkosten kompensiert würde. Der große Standortvorteil in Asien ist die Verfügbarkeit von Investmentkapital. Und diesen haben die PV-Werke in Malaysia, in Indonesien oder in China, also überall dort, wo die Regierung sagt: Wir wollen diese Arbeitsplätze, wir wollen diese Industrie aus strategischen Gründen.

Viele Sorgen macht die Kostenexplosion beim Strom, sie wird dem EEG und dem angeblich unkontrollierten Ausbau der erneuerbaren Energien zugeschrieben. Sind Wind- und Solarenergie unsozial?

Der große Irrtum, der in die Welt gesetzt wurde, ist, dass der Strompreis bei weiterem Zubau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen weiter steigen wird. Das ist absolut falsch. Von der EEG-Umlage, die im nächsten Jahr bei 6,24 Cent liegen wird, sind nur 0,18 Cent für den Zubau von weiteren PV- und Windanlagen gedacht. Der Rest ist darauf zurückzuführen, dass immer mehr Unternehmen von der Umlage befreit wurden und dass der Strompreis an der Strombörse EEX in Leipzig so stark gesunken ist.

Dadurch ist auch das EEG-Umlagekonto ins Minus gerutscht. Anfang des Jahres war es um zweieinhalb Milliarden Euro überzogen. Das muss durch den Stromverbraucher ausgeglichen werden.

Wir sollten nach vorne schauen, statt zu lamentieren. Die Einspeisevergütung ist jetzt gesenkt worden, für Solarenergie liegt sie bei zehn Cent pro Kilowattstunde für große Anlagen. Bei einem Haushaltsstrompreis von 25 Cent pro Kilowattstunde wird damit der Eigenverbrauch sehr viel interessanter. Die Energiewende wird uns nicht mehr viel zusätzliches Geld kosten. Sie wird dazu führen, dass wir die Energieversorgung Deutschlands in den nächsten zehn bis 20 Jahren auf regenerative Energien umstellen können, anstatt die Rohstoffe teuer einzukaufen.

Die Industrie ächzt über die Strompreise, weil in den USA oder Frankreich der Strom viel billiger ist.

Wenn wir wirklich Geld bei der EEG-Umlage einsparen wollen, sollten wir den Kreis der ausgenommenen Firmen wieder schärfer auf die energieintensiven Firmen konzentrieren, die im internationalen Wettbewerb stehen und daher große Probleme mit steigenden Energiepreisen haben. Aber auch für diese Firmen sollten wir eine Umlage von einem Cent pro Kilowattstunde erheben, das entspricht dem Betrag, um den die Industriestrompreise besonders durch die verstärkte Einspeisung von Sonnen- und Windstrom gefallen sind. Es ist nicht einzusehen, dass die energieintensive Industrie von der Energiewende erheblich profitieren soll, und alle anderen Verbraucher müssen dafür eine höhere Rechnung zahlen.

Die deutsche Energiewende setzt auf Kohle als Brückentechnologie. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Das Unangenehme ist, dass die Stromversorger aus den Kohlekraftwerken noch unheimlich gute Gewinne ziehen können. Das sind Gelddruckmaschinen. Die Anlagen sind größtenteils abgeschrieben, und weil der Ausstoß von CO2 praktisch nichts kostet, ist die Kohleverstromung sehr preiswert. Den Entschluss des schwedischen Vattenfall-Konzerns, aus der Kohle auszusteigen, finde ich sehr erfreulich. Aber das ist die Entscheidung eines einzelnen Unternehmens. Wir sollten versuchen, eine gesamtgesellschaftliche Umstellung in Gang zu bringen. Und das funktioniert nur, wenn die Emission von klimaschädlichem CO² teurer wird.

Der lange Weg zum Tarifvertrag

Beim Windturbinenbauer REpower hat die IG Metall den Anschluss an den Flächentarifvertrag durchgesetzt. Von Jörn Boewe und Johannes Schulten, Journalisten, deren Recherchen in der Windkraft- und Solarindustrie von der Otto-Brenner-Stiftung mit einem Stipendium gefördert werden.

Magazin Mitbestimmung, Mai 2013

Die Erfolgsmeldung kommt per SMS. Alan-Thomas Bruce schaut von seinem Handy auf: „Wir haben ihn“, sagt der Mann. Es ist 7.20 Uhr, Bruce sitzt mit seinem Kollegen Matthias Hencken am Schreibtisch im Betriebsratsbüro des Windkraftflügelherstellers Powerblades in Bremer­haven. „Wir haben den Tarifvertrag“, wiederholt er, nicht euphorisch, eher cool. Einige Kollegen der Frühschicht kommen herein, klatschen sich ab, umarmen sich, stellen Fragen. Was ist rausgekommen? Bruce winkt ab, er hat noch keine Details. Im Moment gibt es nur die SMS.

Es ist Donnerstag, der 14. März, und im 100 Kilometer entfernten Hamburg sind gerade die Tarifverhandlungen zwischen IG Metall und dem Windkraftriesen REpower, dem Mutterkonzern von Powerblades, zu Ende gegangen. 16 Stunden haben Vertreter der IG Metall, Betriebsräte und Geschäftsleitung des Hamburger Unternehmens in der letzten, entscheidenden Verhandlungsrunde um eine Einigung gestritten. „Der Abschluss ist ein Riesenerfolg“, kommentiert IG-Metall-Verhandlungsführerin Stephanie Schmoliner das Ergebnis. „Die meisten unserer Forderungen haben wir durchgesetzt, vor allem den Anerkennungs­tarifvertrag.“ Die Einigung sieht eine Angleichung an den Flächentarifvertrag vor – wenn auch mit Abstrichen. So bleibt die Wochenarbeitszeit bei 40 Stunden – in der Metall- und Elektroindustrie sind 35 Stunden die Regel. Bei den Stundenlöhnen macht das einen Unterschied von rund zwölf Prozent aus.

Es gibt teils lange Übergangsfristen mit unterschiedlichen Stichtagen für die drei Unternehmenseinheiten. Für die 280 Mitarbeiter der Tochter REpower Systems GmbH wird die Entgelttabelle der Metall- und Elektroindustrie Hamburg/Unterweser zum 1. April 2014 übernommen. Für die ebenfalls rund 280 Stammbeschäftigten von Powerblades soll es zwischen 1. Oktober 2014 und 1. April 2015 so weit sein. Bis dahin will man sich auf betrieblicher Ebene über Tätigkeitsbeschreibungen und Eingruppierungen einigen. Für gut zwei Drittel der Gesamtbelegschaft, die 1600 Beschäftigten der REpower Systems SE, soll der Entgelttarifvertrag dann zwischen 1. Oktober 2015 und 1. Oktober 2017 in Kraft treten.

Global Player auf Wachstumskurs_ REpower Systems SE gehört zu den Großen der Branche. Im April 2001 durch eine Fusion von vier norddeutschen Windkraftanlagenhersteller entstanden, ist das Unternehmen ein Jahrzehnt später in Deutschland die Nummer drei und spielt auf den internationalen Kernmärkten vorne mit. Insgesamt wurden bisher rund 2500 Windkraftanlagen an Land und auf See errichtet. 2012 hat sich die Mitarbeiterzahl um 23 Prozent auf weltweit über 3200 erhöht. Ende Januar erhielt REpower den Auftrag für 175 Windenergieanlagen im kanadischen Quebec, der größte Auftrag der Firmengeschichte.

REpower ist ehrgeizig: Niemand sonst baut Seewindturbinen in der Sechs-Megawatt-Klasse. 2007 wurde das Unternehmen vom indischen Windkraftriesen Suzlon Energy übernommen, der mit knapp acht Prozent Marktanteil weltweit auf Platz sechs liegt, knapp hinter dem ostfriesischen Rivalen Enercon und nur fünf Prozentpunkte vom Weltmarktführer, der dänischen Firma Vestas, entfernt. Produziert wird in Cuxhaven, Bremerhaven, Eberswalde und an vier weiteren Standorten. In Bremerhaven wurde erst vor zwei Jahren eine große Produktionshalle errichtet, an der Wesermündung entsteht in den nächsten Jahren der weltweit größte Basishafen für Offshore-Windparks.

Doch bisher hatten die REpower-Beschäftigten von dem Erfolg nur in bescheidenem Maße profitiert. Wie bei vielen Unternehmen der jungen Windkraftbranche sind die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen eher prekär. Löhne bei REpower liegen 20 bis 30 Prozent unter dem Niveau des Metall- und Elektrotarifvertrags. Bei einer 40-Stunden-Woche im Dreischichtbetrieb kommen Beschäftigte in der Produktion auf Bruttolöhne zwischen 1900 bis 2300 Euro, bei Powerblades wird noch schlechter bezahlt. Zudem setzt REpower stark auf den Einsatz von Leiharbeitern. Bei Powerblades waren im September 2012 zwei Drittel der Belegschaft über Personaldienstleister beschäftigt, erzählt Betriebsratsmitglied Matthias Hencken, der wie die meisten Powerblades-Beschäftigten als Leiharbeiter im Unternehmen angefangen hat. Jetzt sieht der Tarifvertrag eine konzernweite Begrenzung der Leiharbeiterquote auf 20 Prozent vor. Ausnahmen sind möglich, aber nur mit Zustimmung der Betriebsräte – um Auftragsspitzen abzufedern.

Was die Kollegen verändern wollen_ Doch bis dahin war es ein weiter Weg. „Wir haben 2010 angefangen, an den verschiedenen Standorten Aktivenkreise aufzubauen“, berichtet Jonas Berhe vom IG-Metall-Fachbereich Mitglieder und Kampagnen. An Tarifverhandlungen sei damals nicht zu denken gewesen angesichts des mageren Organisationsgrads. „Wir haben überlegt: Was sind die Probleme im Betrieb, die die Kollegen wirklich verändern wollen und können?“ In Bremerhaven war es der Wunsch nach einer Kantine, im brandenburgischen Trampe die Forderung nach Übernahme der Azubis. „Wir haben Fragebogenaktionen in den Betrieben durchgeführt, dabei musste die Anonymität der Kollegen garantiert werden, ansonsten hätten sie vielleicht ihren Arbeitsplatz riskiert“, berichtet Berhe.

Im Sommer 2012 fühlte die Gewerkschaft sich stark genug, die Tarifverhandlungen zu beginnen. Das Unternehmen betonte anfangs, dass ein Tarifabschluss „kostenneutral“ sein müsse. Die IG Metall machte Druck, beinahe wöchentlich gab es betriebliche Aktionen. Im Oktober beteiligten sich 2000 Beschäftigte an Warnstreiks an mehreren Standorten, darunter Hunderte Leiharbeiter. „Natürlich mussten wir auch einige Kröten schlucken“, meint Betriebsratsmitglied Hencken. Besonders der späte Einführungszeitpunkt des Entgelttarifvertrages sorgte bei vielen Kollegen für Unzufriedenheit. „Da musste Überzeugungsarbeit geleistet werden, um zu zeigen, dass die Vorteile klar überwiegen.“ Offenbar mit Erfolg. Am 13. April sprachen sich die IG-Metall-Mitglieder bei Powerblades „mit überwältigender Mehrheit“ für die Annahme des Tarifvertrages aus; ähnlich entschieden auch die Beschäftigten der anderen Standorte.