Zahl der Schiffe unter deutscher Flagge auf historischen Tiefstand gesunken
Von Jörn Boewe, junge Welt, 4. März 2014
Anfang des Jahres hat die Zahl der zivilen Schiffe unter deutscher Flagge einen historischen Tiefstand erreicht. In der vergangenen Woche gab die für den Seeverkehr zuständige Gewerkschaft ver.di bekannt, daß die Anzahl in weniger als vier Jahren um 300 Schiffe gesunken ist. Nur noch 208 Fahrzeuge sind nach aktuellen Angaben des Bundesamtes für Seeschiffahrt und Hydrographie unter Schwarz-Rot-Gold unterwegs. Das sind nicht mal mehr sechs Prozent der über 3500 Schiffe, die von deutschem Management bewirtschaftet werden.
Ostseehafen Wismar, Sept. 2012 |
Vor gut zehn Jahren hatten Regierung, Reedereien und Gewerkschaften, moderiert vom damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder, ein »Maritimes Bündnis für Beschäftigung, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit« geschlossen. Vereinbart wurde u. a., daß der Staat finanzielle Zuschüsse für Ausbildung und Lohnkosten zahlt und die Reeder im Gegenzug wieder mehr Schiffe unter deutscher Flagge fahren, nämlich zunächst mindestens 300. Später wurde das Ziel auf 600 gesteigert. Im Jahr 2008, kurz vor Ausbruch der Wirtschaftskrise, fuhren tatsächlich mehr als 500 Schiffe unter deutscher Flagge. Die Zahl der Auszubildenden in den maritimen Berufen verdoppelte sich, und mehr deutsche und EU-Seeleute fuhren an Bord deutscher Schiffe.
Inzwischen hat sich dieser Trend umgekehrt. Nach den aktuellen Arbeitsmarktzahlen der Zentralen Heuerstelle Hamburg gab es im Januar in den technisch-nautischen Berufen 18 Prozent mehr Bewerber als vor einem Jahr, während sich das Angebot an freien Stellen im gleichen Zeitraum um 16 Prozent verringerte. Zugleich ist die Zahl arbeitsloser Schiffsmechaniker binnen Jahresfrist um 31 Prozent und die der Nautiker um 26 Prozent gestiegen.
13000 bis 14000 Seeleute fahren auf deutschen Handelsschiffen, rund die Hälfte davon sind deutsche Staatsbürger. Der Anteil deutscher Schiffe an der Welthandelsflotte ist seit der Jahrtausendwende von fünf auf neun Prozent gestiegen. Doch das Maritime Bündnis hat die »Flucht aus der deutschen Flagge«, wie ver.di es nennt, nicht aufhalten können. Im Jahr 2000 waren noch 553 Anträge zur Ausflaggung von Schiffen deutscher Eigner gestellt worden, bis 2012 kletterte die Zahl auf 1819, wie aus der Antwort der vorigen Bundesregierung auf eine Anfrage der SPD vom Mai 2013 hervorgeht. Alle Anträge wurden positiv beschieden.
All das habe zu einem gravierenden Abbau von Arbeits- und Ausbildungsplätzen für deutsche und EU-Seeleute geführt, heißt es bei ver.di. Immer mehr Reeder brächten ihre Schiffe unter EU-Flaggen, die keine Besetzungs- und Bemannungsvorschriften haben. Es bestehe dahingehend »dringender Handlungsbedarf«, daß die EU ihre Leitlinien für die Seeschiffahrt konkretisiere, forderte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle in der vergangenen Woche. Für alle Schiffe, die in irgendeiner Form durch die EU bzw. ihre Mitgliedstaaten subventioniert werden, müßten »schnellstens« Mindestbesetzungsvorschriften mit sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen für EU-Seeleute eingeführt werden. Die Europäische Kommission müsse sich die Frage stellen, was es der EU und Deutschland nutze, wenn Schiffe in Asien gebaut, mit Seeleuten aus aller Welt besetzt werden und deutsche Reeder trotzdem finanzielle Vorteile in Form der Tonnagesteuer, Lohnkosten- und Ausbildungsbeihilfen erhielten.
Bei der »Tonnagesteuer« handelt es sich um eine in Deutschland 1999 eingeführte Methode zur pauschalen Gewinnermittlung bei Handelsschiffen. Grundlage ist die Ladekapazität der Schiffe, nicht der real erzielte Gewinn. Je nach Konjunktur schwankte die Höhe der Steuer stark. So lag sie 2004 nach Schätzungen des Finanzministeriums bei 875 Millionen Euro, stieg 2005 auf 1,115 Milliarden Euro und sank im Krisenjahr 2009 auf 40 Millionen.
Faktisch ist das ein großes Steuergeschenk an die Reeder: Bei der herkömmlichen Gewinnermittlung durch Vergleich des Betriebsvermögens am Ende des Wirtschaftsjahres hätten die Schiffahrtsunternehmen rund das Doppelte zahlen müssen. Wie eine Anfrage der Grünen im Bundestag ergab, gingen dem deutschen Staat dadurch allein von 2004 bis 2011 Einnahmen von fast fünf Milliarden Euro verloren. Mittlerweile hat sich die Tonnagesteuer weltweit als Standard durchgesetzt. Einige Staaten, darunter Griechenland, schafften die Besteuerung von Reedern ganz ab.
Neben den Steuervergünstigungen wirken die direkten Staatsbeihilfen für die Reeder im Rahmen des Maritimen Bündnisses fast schon bescheiden. Die lagen seit Bestehen des Bündnisses jährlich bei 50 bis 60 Millionen Euro.