Gewerkschaften stehen täglich im Konflikt mit Rassisten. Doch der Kampf gegen den Aufstieg der Rechten erfordert auch ein Ende der »Sozialpartnerschaft«
Von Jörn Boewe, junge Welt, Beilage »Antifaschismus«, 7. Mai 2016
Oktober 2015: »Wer hetzt, fliegt« – so der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Beschäftigte, die mit rassistischen Pöbeleien andere Kolleginnen und Kollegen angehen und Belegschaften spalten, müssten mit Kündigung rechnen. Firmen könnten sich dabei auf die Unterstützung der Gewerkschaft verlassen.
Februar 2016: Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) und Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) proklamieren eine »Allianz für Weltoffenheit«. Die Unterzeichner sind besorgt, »dass rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppierungen das Thema Flucht und Migration derzeit dazu nutzen, Feindseligkeit zu schüren und unsere freiheitlich-demokratische Ordnung in Frage zu stellen«. Die Bewältigung der Flüchtlingskrise sei eine enorme gesellschaftliche Aufgabe – aber mit »Investitionen in Bildung, Ausbildung und Beschäftigung, ausreichenden bezahlbaren Wohnraum, eine funktionierende öffentliche Infrastruktur sowie Sicherheit vor Gewalt« zu meistern. »Menschen, die von Armut, Arbeitslosigkeit oder fehlender sozialer Absicherung betroffen sind, dürfen bei der Lösung der gegenwärtigen Herausforderungen nicht vernachlässigt werden«, heißt es mahnend. Kein Wort dazu, wer sie finanzieren soll, kein Wort zu »Agenda 2010« und Hartz-Gesetzen.
März 2016: »AfD-Alarm bei den Gewerkschaften«, titelt die Bild. »Gerade bei Gewerkschaftsmitgliedern ist die AfD besonders beliebt.« Das Blatt stützt seine These auf eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Danach liegt der Stimmenanteil der AfD unter Gewerkschaftsmitgliedern in den drei Ländern über dem Schnitt der Gesamtwählerschaft. Der DGB ist irritiert: Das Stimmverhalten sei »angesichts der gewerkschaftsfeindlichen Grundhaltung der AfD wenig nachvollziehbar«, zumal die Gewerkschaften vor den Wahlen über die Positionen der »Alternative für Deutschland« aufgeklärt hätten, heißt es im Funktionärsmagazin Einblick. Selbstkritisch stellt der DGB fest, dass es nicht gereicht hat.
Drei Schlaglichter, die Probleme der Gewerkschaften im Konflikt mit dem Rechtspopulismus aufzeigen. Häme ist hier nicht angebracht: Immerhin haben die Gewerkschaften hier Probleme – weil bei ihnen überhaupt eine praktische Auseinandersetzung stattfindet. Weder in ihren eigenen Reihen noch auf ihrem Wirkungsfeld, in den Betrieben, können sie ihr ausweichen. Die BDA oder die Grünen haben es leichter: Man distanziert sich vom rassistischen Pöbel – und fertig. Die Idee, Rassisten mit Kündigung abzustrafen oder den Rechtspopulismus durch ein breites, klassenübergreifendes Bündnis für »Toleranz« zu stoppen, steht zwar für den Versuch, es genauso zu machen. Aber das verstörende Wahlverhalten eines Teils der eigenen Mitglieder zeigt, dass dies bei Großorganisationen der kleinen Leute nicht funktioniert.
Kollegen »zurückholen«
Um nicht missverstanden zu werden: Es ist eine Schande und für Gewerkschaftsmitglieder ein absolutes »No-Go«, AfD zu wählen. Aber den Fakt, dass einige, die es taten, immer noch Gewerkschaftsmitglieder sind, kann man auch als Chance begreifen, sie »zurückzuholen«.
Im übrigen: Auch wenn die AfD im März bei Gewerkschaftsmitgliedern um ein paar Zehntelprozentpunkte besser abschnitt als in der Gesamtwählerschaft, ist es Unsinn, dass diese Partei »gerade bei Gewerkschaftsmitgliedern besonders beliebt« sei. Bei der übergroßen Mehrheit ist die AfD trotz ihres Nimbus als Protestpartei ausgesprochen unbeliebt. Besonders beliebt ist hier (vielleicht auch schwer nachvollziehbar) immer noch die SPD – und in bescheidenerem Maße Die Linke.
Gute Beispiele, wie die konkrete – nicht nur »deklaratorische« – Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtspopulismus in Betrieb und Gewerkschaft laufen kann, gibt es: Etwa wenn der Betriebsratsvorsitzende eines großen sächsischen Autowerkes auf der Betriebsversammlung klarstellt, Beschäftigte, die Rassismus schüren, könnten bei ihm »keine Nachsicht erwarten«. Gleichwohl wird Augenmaß bewahrt: Einem Azubi, der eine dümmliche Äußerung macht, wird ganz anders begegnet als jemandem, der wiederholt und systematisch rechtsextreme Agitation betreibt, oder einem aktiven Faschisten. Damit aus dem Heranwachsenden, der die falschen Freunde hat, kein Faschist wird, sind Betriebsratsmitglieder und Vertrauensleute der Gewerkschaft Tag für Tag in den Werkshallen unterwegs und diskutieren. Sie haben im Betrieb einen Heimvorteil: Ihre Autorität erwächst aus echter Anerkennung. Sie sind es, die Festanstellungen für Leiharbeiter durchgesetzt haben. Ohne sie gäbe es keinen Tarifvertrag. Sie haben den Widerstand gegen die Ausgliederung der Abteilung XY organisiert. Sie haben eine Führungsrolle und sind zugleich Kolleginnen und Kollegen. Ihnen hören viele noch zu, die anderswo längst dichtmachen.
Komisches Element
Zugleich gibt es in alldem ein komisches Element: In der kapitalistischen Gesellschaft, gerade der deutschen, sind die Gewerkschaften Teil des politischen Establishments und zugleich die wichtigsten Organisationen einer Klasse, die aus ihrem antagonistischen Widerspruch zu diesem System nicht herauskommt. Es geht darum, die Widersprüche produktiv zu machen. Wo betriebliche und lokale Funktionsträger der Gewerkschaften täglich gegen die Auswirkungen von »Reformen« ankämpfen, die die Spitzen der Gewerkschaften »sozialpartnerschaftlich« mit abgesegnet haben, muss irgendwann der gordische Konten zerhauen werden.
So wie Gewerkschafter im Betrieb die Übernahme der Leiharbeiter in reguläre Arbeitsverhältnisse durchsetzen, müssen ihre Organisationen bundesweit für die Abgehängten und Prekären eine Chance auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zurückerobern. Dafür braucht es Mut zum Konflikt – bei deutschen Großgewerkschaften eine knappe Ressource. Und doch blitzt sie immer wieder auf, wie im seit drei Jahren andauernden Arbeitskampf von ver.di bei Amazon oder in der glasklaren Solidarität der IG Metall mit Ibrahim Ergin, dem geschassten Betriebsratsvorsitzenden der Papenburger Meyer-Werft. Ob und wann sich dieser alte neue Mut im grundsätzlichen Kurs der Gewerkschaften niederschlägt, ist eine offene Frage. Seit den 1980er Jahren wird in der BRD von unten nach oben umverteilt. Ohne eine Kehrtwende kann der Aufstieg des Rechtspopulismus nicht gestoppt werden.