Timm Boßmann, Betriebsrat bei der Verlagsgruppe Weltbild, über strategische Kommunikation im Internet und den Bedeutungszuwachs gewerkschaftlichen Bloggens. Das Gespräch führten Johannes Schulten und Jörn Boewe, Magazin Mitbestimmung, 11/2014
Warum ist es für Betriebsräte und aktive Gewerkschafter sinnvoll, Öffentlichkeitsarbeit über das Internet zu betreiben?
Information und Öffentlichkeitsarbeit sind die Grundlage jeder Interessenvertretung. Und das Medium mit der größten Reichweite ist das Internet. Deshalb ist es nur logisch, dort auch mit der betrieblichen Interessenvertretung präsent zu sein. Dazu kommt, dass ein Blog leicht zu bedienen ist. Verglichen mit dem Aufwand, den man für eine Betriebszeitung braucht, nimmt ein Blog nur zehn Prozent der Zeit in Anspruch.Ist das der einzige Vorteil?
Nein. Das Internet funktioniert in zwei Richtungen: Man sendet nicht nur eine Botschaft – Leserinnen und Leser haben über die Kommentarfunktionen auch einen Kanal, um zu antworten. Eine Interessenvertretung bekommt also sofort das Feedback der Leute, die sie vertritt. Das ist transparent und macht unsere Arbeit einfacher, weil wir die Wünsche der Kolleginnen und Kollegen besser kennen.
Ein Blog ist praktisch der ganzen Welt zugänglich. Verletzt ein Betriebsrat damit nicht seine Geheimhaltungspflicht?
Mit dem Anstellungsvertrag gibt man nicht sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ab. Gleichwohl versucht der Arbeitgeber häufig, über § 79 des Betriebsverfassungsgesetzes – die Geheimhaltungspflicht – einen Riegel vorzuschieben. Ich bin der Meinung: Schlechte Arbeitsbedingungen sind keine Geschäftsgeheimnisse, darüber sollte man also bloggen. Man muss es ja nicht in der Funktion als Betriebsrat tun.
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Ich empfehle, die Blogs unter der Gewerkschaftsflagge laufen zu lassen, wie wir es etwa bei weltbild-verdi.blogspot.com machen. Da kann zusätzlich zur Meinungsfreiheit auch der Artikel 9 des Grundgesetzes, das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit, gezogen werden. Gemeinsam mit der Gewerkschaft kann man so auch Angriffe auf Blogs, so sie denn stattfinden, verhindern. Der Betriebsrat diskutiert mit dem Arbeitgeber gar nicht über das Blog, sondern verweist an die Gewerkschaft, die allein für das Blog verantwortlich ist.
Darf ein Betriebsrat während seiner Arbeitszeit bloggen?
Der Betriebsrat macht grundsätzlich in der Betriebsratsarbeit keine direkte Gewerkschaftsarbeit. Unsere Betriebszeitung, den „Picker“, erstellen wir als Öffentlichkeitsausschuss des Betriebsrates während der Arbeitszeit. Das Blog dagegen wird von einer Redaktion aktiver Gewerkschaftskollegen ehrenamtlich in der Freizeit gemacht. Wir halten das getrennt.
Kann ein Blog eine Betriebszeitung oder das Schwarze Brett im Betrieb ersetzen?
Auf keinen Fall. Das wichtigste Kommunikationsmittel ist das persönliche Gespräch. Auch eine Zeitung ist vor allem ein Anlass, auf Leute zuzugehen. Richtig spannend wird es, wenn wir miteinander reden. Wie das Internet wirken kann, hat natürlich viel mit der Betriebsstruktur zu tun. Unser Blog wird viel von den Angestellten gelesen, von den Kollegen im Lager- und Versandbereich weniger – auch weil sie nicht durchgehend online sind. In anderen Betrieben ist ein Blog eine sehr gute Möglichkeit, die Grenzen einer Zeitung zu überwinden. Etwa im Einzelhandel, da liegen die einzelnen Filialen weit auseinander. Ein gemeinsames Blog ist dann häufig die einzige umfassende Informationsquelle – besonders in Betriebsteilen ohne Betriebsräte. Die ver.di-Blogs bei OBI oder dem Gartencenter Dehner werden sehr gut angenommen.
Sie verwenden häufig den Begriff „strategische Kommunikation“. Was ist damit gemeint?
Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick hat mal formuliert: „Man kann nicht nicht kommunizieren“, wir kommunizieren also immer. Jede Äußerung steht im Zusammenhang mit politischen Zielen. Ich will andere Gewerkschafter dafür sensibilisieren, zielgerichteter zu kommunizieren und Kommunikation dazu zu nutzen, ihre Interessen durchzusetzen. Neben dem klassischen Streik ist gute, zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit mit das schärfste Schwert in der Waffenkammer einer Gewerkschaft.
Haben Sie ein Beispiel?
Etwa indem wir schlechte Arbeitsbedingungen öffentlich machen. Das wirkt gleich auf die Marke des Arbeitgebers, da entsteht gleich Druck, die Missstände zu beheben. Mit einem Blog haben wir die Möglichkeit, uns direkt an die Medien zu wenden. Und das stößt auf Interesse. Meiner Erfahrung nach recherchieren Journalisten gerne in Blogs. Anders als die gestelzten Pressemitteilungen, die mitunter von Gewerkschaften rausgegeben werden, haben die Informationen dort eine hohe Authentizität.
Von welchen Themen sollten Gewerkschaftsblogger lieber die Finger lassen?
Prinzipiell kann man über alles berichten. Die Grenze ziehe ich bei Persönlichkeitsrechten des Einzelnen, sowohl der Kollegen als auch der Vorgesetzten. Zu schreiben: „Der Vorgesetzte Meyer verdient 100.000 Euro im Jahr“ – das geht nicht. Sehr wohl darf aber geschrieben werden: „Im Schnitt verdienen die Führungskräfte bei der Firma X im Jahr Y Prozent mehr als der normale Arbeitnehmer.“ Gleiches gilt für Beleidigungen, etwa in Kommentarspalten: So etwas muss gelöscht werden.
Das klingt zeitaufwendig. Finden sich dafür genug Kollegen?
Ich empfehle immer, eine Blog-Redaktion zu gründen. Mit drei, vier Leuten, die verlässlich mitarbeiten. Wir bei Weltbild treffen uns einmal im Monat für eine Dreiviertelstunde und überlegen, was die Themen im Betrieb sind. Wir haben zwei Beiträge pro Woche, das reicht. Jeder und jede schreibt also ein bis zwei Artikel im Monat. Das kann man leicht mal abends machen.
Gibt es ausreichend Schulungsangebote für Kolleginnen und Kollegen, die sich hier engagieren wollen?
Die Bildungsträger trauen sich noch nicht richtig an das Thema heran. Ich glaube, weil sie die technischen Hürden überschätzen. Aber im Prinzip ist alles sehr einfach. Schulungsbedarf liegt vielmehr bei den Schreibfertigkeiten. Viele Leute tun sich mit dem Schreiben schwer. Wie baue ich einen Artikel sinnvoll auf? Wie bringe ich meine Anliegen in einer klaren und verständlichen Sprache rüber? Schreiben ist ein Handwerk, das kann jeder lernen. Es gibt ein paar Regeln, wenn man die beherzigt, kommt etwas raus, das gern gelesen wird. Da, denke ich könnte, man mehr machen.
ZUR PERSON
Timm Boßmann, Jahrgang 1966, ist Betriebsrat bei der Augsburger Verlagsgruppe Weltbild. Nach einer Ausbildung zum Tageszeitungs-Redakteur bei der „Wolfsburger Allgemeinen Zeitung“ studierte er Germanistik, Philosophie und Psychologie, arbeitete als Werbetexter und Buchautor. Mit weltbild-verdi.blogspot.de startete er 2009 gemeinsam mit Kollegen eines der ersten gewerkschaftlichen Blogs. Seitdem berät er auch Betriebsräte und Gewerkschaftsaktive in Sachen Öffentlichkeitsarbeit mit Internetmedien.