Kommentar. US-Urteil zu Argentiniens Staatsschulden
Von Johannes Schulten, junge Welt, 18. Juni 2014
Nicht nur in Argentinien, auch in Europa dürfte das Urteil im Prozeß um ausstehende argentinische Auslandsschulden auf reges Interesse stoßen. Der Oberste Gerichtshof der USA hat am Montag (Ortszeit) einen Berufungsantrag Argentiniens abgelehnt. Damit ist eingetreten, womit wenige gerechnet, was aber viele befürchtet hatten: Das Land am Río de la Plata muß 1,3 Milliarden US-Dollar an eine Reihe US-Hedgefonds zahlen. Die gehörten zu einer kleinen Gruppe von Spekulanten, die die Schuldenumstrukturierungen von 2005 und 2010 abgelehnt hatten. Während Argentinien 13 Jahren nach der Krise von 2001 ein weiterer Staatsbankrott drohe könnte, haben die Fonds sogar doppelt profitiert – sie streichen nicht nur ihre Investitionen von damals ein, sondern kassieren auch die seither angefallenen Zinsen.
Die Entscheidung aus Washington trifft nicht nur Buenos Aires. Sie ist auch ein Fingerzeig an Europas Krisenstaaten. Offiziell haben zwar bisher weder Griechenland noch Spanien darüber spekuliert, ihre erdrückende Schuldenlast durch harte Verhandlungen mit den Gläubigern zu lindern, anstatt durch Kürzungsprogramme auf dem Rücken der Bevölkerung. Doch man kann ja nie wissen. Nach dem Urteil braucht sich niemand mehr Sorgen zu machen. Warum sollten Gläubiger in Zukunft mit Regierungen über Umschuldungen verhandeln, wenn sie ihre Forderungen auch vor US-Gerichten einklagen können?
Klar ist: Ohne Schuldenschnitt hätte es den einzigartigen Wirtschaftsboom, den Argentinien praktisch seit 2003 erlebte, nicht gegeben. Die Regierung hatte die Gläubiger vor die Wahl gestellt: Entweder sie verzichten auf 70 Prozent ihrer Forderungen oder sie gehen leer aus. Um knapp 66 Milliarden US-Dollar konnten die Auslandsschulden so gesenkt werden. Die Alternative wäre das gewesen, was heute in Griechenland, Portugal oder Spanien passiert: Privatisierung des Staatseigentums, Deregulierung der Arbeitsmärkte und Kapitalisierung des Gesundheitssystems. Das wollte die Regierung nicht verantworten. In Argentinien sind Arzt- und Krankenhausbesuche noch immer gratis, für alle.
Wie Buenos Aires reagieren wird, bleibt abzuwarten. Präsidentin Fernández de Kirchner gab sich zunächst hart. Das Land werde die Umstrukturierung fortsetzen, sagte sie am Montag Nachmittag – aber »keine Erpressungen akzeptieren«. Für den Dienstag abend (nach jW-Redaktionsschluß) hat Wirtschaftsminister Axel Kicillof dazu eine Rede im Kongreß angekündigt.
Die Hedgefonds feierten inzwischen: Man erwarte, daß Argentinien sofort bezahlt, so der US-Milliardär und Chef von NML Capital, Paul Singer. Die Folgen für die argentinische Bevölkerung dürften ihn kaum interessieren. Auch die ersten Auswirkungen des Urteils machen pessimistisch: An der Börse in Buenos Aires stürzten die Kurse um acht Prozent ab, Kreditversicherungen auf argentinische Staatsschulden schossen in die Höhe.