Rolf Geffkens „Kampf ums Recht“ ist im VSA-Verlag erschienen. Ich empfehle diese Buch mit einem Vorwort.
Was stört ihn hierzulande am meisten? Das wollte ich vom Autor dieses Buches vor einigen Jahren in einem Interview wissen. »Die deutsche Rechtsgläubigkeit«, antwortete Rolf Geffken. Für einen Juristen eine bemerkenswerte Aussage. Was Geffken damit meint, bezeichnet für mich am besten folgende Anekdote: »Wir hatten Anfang der 70er Jahre einen Gewerkschafter aus Brüssel eingeladen«, erzählte er. » Der wurde dann gefragt: Wie ist das mit dem wilden Streik in Belgien – ist der erlaubt? Da hat er geantwortet: ›Die Frage stellt sich für uns nicht. Wenn in einem Betrieb gestreikt werden muß, und das Kräfteverhältnis ist so, daß der Streik voraussichtlich Erfolg hat, dann wird gestreikt. Die Juristen fragen wir hinterher, wenn es Probleme gibt.‹«
Dieses kleine Bändchen hat es in sich. Nicht weil die darin behandelten Themen unerhört originell wären und keinen Niederschlag in den politischen und juristischen Debatten der letzten Jahre gefunden hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Von den Eisenbahnerstreiks seit 2008, dem »Tarifeinheitsgesetz«, über die immer wieder hochkochenden Konflikte um das – angebliche oder tatsächliche? – Streikverbot für Beamte, die Auseinandersetzungen um Leiharbeit und Werkverträge bis hin zu all den Hoffnungen und Ängsten, die sich heute mit dem Begriff »Industrie 4.0« verbinden: Die Fragen, die Rolf Geffken darin aufwirft, behandeln ausnahmslos politische Meilensteine der jüngeren Zeitgeschichte unseres Landes. Sie waren und sind zentrale Streitpunkte in der politischen Arena – und nicht nur des »Politikbetriebs« im engen Sinne, sondern auf allen Schau- und Kampfplätzen, auf denen die Auseinandersetzung um die öffentliche Sache – die res publica – ausgetragen wird: In Parlamenten, Medien, in Betrieben, auf der Straße, in den Massenorganisationen der abhängig Beschäftigten, der Gewerkschaften und nicht zuletzt auch vor den Gerichten.
Der Autor ist ein alter Hase, er kann aus seinen praktischen Erfahrungen aus 40 Jahren Tätigkeit als Rechtsanwalt schöpfen. Rolf Geffken stand in dieser Zeit vor allem als Arbeitsrechtler immer an der Seite der Schwachen. Er vertrat philippinische Seeleute, die von skrupellosen Reedern um ihre Heuer betrogen wurden, vor den Arbeitsgerichten, er kämpfte Verwaltungsgerichten gegen die inhumane Abschiebepraxis zynischer Ausländerbehörden. Allein dieser reiche Erfahrungsschatz aus der Rechtspraxis, aufgeschrieben von einem Protagonisten, der sich bewusst auf die Seite der Unterprivilegierten stellte, gibt Stoff für etliche packende Geschichten (von denen Geffken erfreulicherweise an anderer Stelle einige in seinem lesenswerten Buch »Seeleute vor Gericht« gebracht hat).
Was seine Erfahrungen noch um einiges interessanter macht, ist, dass Geffken all die Jahre hindurch nicht nur ein kämpferischer Anwalt, sondern auch ein politischer Kämpfer und theoretisch reflektierender Kopf war und bleibt: Er leistete nicht nur Seeleuten auf Billigflaggenschiffen rechtlichen Beistand – Geffken war auch einer der Vorkämpfer gegen die deutsche Billigflaggenpolitik. Als die Kohl-Regierung 1989 ein »Internationales Schiffsregister« einführte, das es deutschen Reedern erlaubt, die meisten Kostenvorteile der Ausflaggung in Anspruch zu nehmen und zugleich pro forma weiterhin die deutsche Flagge zu führen, war Geffken als Sachverständiger im Deutschen Bundestag geladen. Er war einzige, der das geplante Gesetz strikt ablehnte, weil es nach seiner Ansicht auf die Einführung einer »deutschen Billigflagge« und das Aus für die deutsche Seeschifffahrt hinauslief. Er vertrat mit dubiosen Werkverträgen beschäftigte Testfahrer bei Volkswagen und legte eine fundierte Kritik des Gesetzes vor, mit dem Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles den Missbrauch solcher Verträge eindämmen will. Er vertrat Hafenarbeiter, die im Zuge der Wirtschaftskrise 2009 auf die Straße gesetzt wurden und, die von Betriebsrat und Gewerkschaft im Stich gelassen, nach neuen Organisationsformen suchten. Und als selbst viele linke Gewerkschafter noch gutgläubig eine gesetzliche Regelung zur »Wiederherstellung der Tarifeinheit« begrüßten, gehörte Rolf Geffkens scharfsichtige Kritik mit zu den ersten Beiträgen einer bald schon breiten Debatte, die die Angelegenheit vom Kopf auf die Füße stellte.
So sehr Geffken die »deutsche Rechtsgläubigkeit« verachtet, ist er doch niemand, der die Bedeutung des Rechts gering schätzt. Wäre dies so, hätte er auch den falschen Beruf gewählt. Geffken ist Jurist von ganzem Herzen. Doch fundamental für ihn – mehr als für die meisten seiner Kollegen – die Idee, dass das Recht letztlich nichts anders ist als die Kodifizierung realer gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Nicht weniger, aber auch nicht mehr – jedenfalls wenn man den Rechtsbegriff weit fasst und seine ganze Bandbreite von der Gesetzgebung bis zur Rechtsprechung, ja jeder Form praktischer Rechtswahrnehmung im Blick hat. Hat man diesen Blick, sieht man das Recht auch als veränderbar an – und das nicht nur auf Wege der Gesetzgebung. Scheinbar statische, weil festgeschriebene Rechtsnormen unterliegen einer ständigen Neuinterpretation im Wandel der Zeiten, wie sich eindrucksvoll 2010 an der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Tarifeinheit zeigte.
Rolf Geffken ist ein Querdenker, und es gibt viele in den diversen Apparaten von Gewerkschaften und linker Klein- und Großparteien, die für ihn weit weniger schmeichelhafte Wort finden würden. Ständig und überall eckt er an. Schon Ende der 70er sammelte er Minuspunkte bei der ÖTV, als er sich für »illegale« ausländische Seeleute einsetzte, anstatt sie bei der Ausländerbehörde anzuzeigen. In den letzten Jahren machte er sich mit seinem Eintreten für die Rechte auch von Klein- und Spartengewerkschaften viele Feinde in den DGB-Organisationen. Doch letztlich ist diese , manchmal polterige, Unabhängigkeit, sein größter Trumpf. Geffken mag mitunter falsch liegen, nicht anders als wir alle, aber denkt anders, aus einer radikal eigenen Perspektive und kommt deshalb immer wieder zu verblüffenden, und manchmal verblüffend scharfsichtigen, Erkenntnissen. Er gleicht darin ein bisschen Max Webers hypothetischem Anarchisten, der gerade deshalb »ein guter Rechtskundiger« sein kann, weil ihn sein radikale Überzeugung befähigt, »in den Grundanschauungen der üblichen Rechtslehre eine Problematik zu erkennen, die allen denjenigen entgeht, welchen jene allzu selbstverständlich sind«.
Ja, Geffken ist ein Querdenker, jemand, der unbequeme Fragen stellt und dem nicht nur die Feigheit vorm Feind, sondern, auch die Feigheit vorm Freund fremd ist. Für die allzu Stromlinienförmige auf der Linken mag er damit ein Enfant terrible sein. Für alle anderen, die wir noch einen Funken Hoffnung auf soziale Emanzipation haben, sind Intellektuelle wie Rolf Geffken unverzichtbar.
Jörn Boewe
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Rolf Geffken
Kampf ums Recht
Beiträge zum komplizierten Verhältnis von Politik, Arbeit und Justiz
Mit einem Vorwort von Jörn Boewe
VSA Verlag Hamburg
184 Seiten | 2016 | EUR 16.80
ISBN 978-3-89965-743-2