Im Osten was Neues …

Zwei Veröffentlichungen aus unserem Haus schauen in diesem Frühsommer Richtung Osten: Ein Gespräch mit Katja Barthold, Boris Bojilov und Stefan Bornost über die Chancen und Schwierigkeiten gewerkschaftlicher Arbeit in Ostdeutschland (erschienen in der Zeitschrift Luxemburg 1/2023). Eine der Kernthesen bringt Stefan Bornost so auf den Punkt: „Organisierung klappt. Hauptsächlich, weil die Arbeitsmarktsituation heute eine andere ist. Die Leute haben weniger Angst.“ >>> mehr>>>

Außerdem gibt es einen Artikel im aktuellen Heft der Zeitschrift Sozialismus (Nr. 6/2023) aus Hamburg, in dem wir dafür argumentieren, IG Metall und Betriebsräte deutscher Unternehmen sollten im Prozess der aktuellen Transformation der Automobilindustrie die osteuropäische Peripherie genauer in den Blick nehmen: „Auch wenn China und die USA als Produktionsstandorte und Absatzmärkte an Bedeutung gewinnen und im globalen Subventionswettlauf etwa um die Ansiedlung neuer Batteriefabriken eine enorme Sogwirkung entfalten, lohnt es sich für die IG Metall und die europäischen Automobilarbeitergewerkschaften, die unmittelbare Peripherie nicht aus dem Fokus zu verlieren. Osteuropa bleibt für die deutsche Autoindustrie verlängerte Werkbank und strategischer Zielort für die Verlagerung arbeitsintensiver Produktion – und inzwischen sogar mehr als das.“ Die Antwort auf den Verlagerungsdruck kann nur gewerkschaftliche Kooperation und Unterstützung in den Zielländern sein. Dafür braucht es Strategie, Ressourcen und einen langen Atem. Aber: Es gibt durchaus Beispiele, dass das funktionieren kann, wie etwa das der Mercedes-Benz-Tochter StarTransmission im rumänischen Cugir zeigt, wo es der Gewerkschaft SindICAtul Liber Independent (ICA) gelang, mit Unterstützung von IG Metall und industriALL einen Tarifvertrag zu erkämpfen. Und andererseits? Es gibt dazu keine Alternative, so einfach. >>> mehr >>>

 

 

 

IG-Metall fordert Vier-Tage-Woche: Eine Zeit-Revolution für alle

Die Forderung der IG Metall nach einer Vier-Tage-Woche ist mehr als nur Tarifpoker: Es geht um die Frage, wer die Kontrolle über unsere Zeit hat

12. April, Freitag.de

Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich – mit dieser Forderung will die IG Metall in die Ende 2023 anstehende Stahl-Tarifrunde ziehen. Real geht es um die Verkürzung der tariflichen Wochenregelarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden, dies allerdings bei vollem Lohnausgleich. Das hat es lange nicht mehr gegeben.

Die IG Metall wagt sich damit auf ein Feld, das ungleich härter umkämpft ist als ein paar Lohnprozente. Beim Arbeitszeitthema kochen sofort die Emotionen hoch. Rein ökonomisch kann man das nicht erklären, denn Zeit ist bekanntlich Geld und umgekehrt. Arbeitszeit – vor allem die Frage der Regelarbeitszeit, des Arbeitstages, der Arbeitswoche – ist aber viel mehr. Zeit ist Macht. Wer über die Lebenszeit anderer Menschen verfügen kann, übt seine Herrschaft aus. Was Hörigkeit und Leibeigenschaft für den mittelalterlichen Feudalherren bedeuteten, ist das Direktionsrecht über die vertraglich festgeschriebene Arbeitszeit für die kapitalistische Klasse. Arbeitszeitverkürzung ist ein Stück Kontrollverlust, und was für Panikattacken drohender Kontrollverlust bei der modernen Unternehmerschaft auslösen kann, hat man zuletzt beim großen Kulturkampf ums Recht auf Homeoffice gesehen.

Zeit ist nicht nur Geld: Zeit ist Macht

Genau wie die „Präsenzpflicht“ ist Arbeitszeit ein kultureller Code, tief eingeschrieben in unsere gesellschaftliche DNA. Man kann die historischen Wurzeln dieses Phantasmas freilegen, von Max Webers protestantischer Arbeitsethik bis hin zu den Top-Performern der Gegenwart, die sich vermeintlich oder tatsächlich, wer will das schon entscheiden, 70, 80 Stunden in der Woche aufopfern – für Wohlstand, Unternehmenserfolg, den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Offensichtlich hat sich hier aber etwas gewandelt. Jüngere Beschäftigte sagen: Es geht auch anders. Es ist kein Naturgesetz, dass vollzeitbeschäftigte Väter immer länger arbeiten und Mütter in Minijobs feststecken. Warum nicht generell weniger arbeiten? Es müssen auch nicht in allen Lebensphasen dieselben starren Arbeitszeiten sein. Auf jeden Fall brauchen wir mehr Zeit – füreinander, für die Kinder, für Freunde, für uns selbst.

Dieser kulturelle Wandel, den die Millennials in die Arbeitswelt gebracht haben, konnte deshalb erfolgreich sein, weil sich der Arbeitsmarkt über die kurze Spanne von ein, zwei Generationen von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt hat. „Hauptsache Arbeit“, hieß es in den 90ern und Nullerjahren, und: „Wenn’s dir bei uns nicht passt, dann kündige doch.“ Der Witz ist, dass das die Leute heute wirklich machen, deshalb hört man den Spruch nur noch selten.

Ein neues Leitbild für alle?

Die Forderung der IG Metall nach einer Vier-Tage-Woche trifft damit den Nerv der Zeit. Wollen wir die Stahlindustrie ökologisch transformieren, mit grünem Wasserstoff treibhausgasfrei sauberen Stahl produzieren, muss die Branche attraktiv sein für junge Fachkräfte. Das geht nur mit beschäftigtenfreundlichen Arbeitszeitmodellen. Und wer je ein Stahlwerk von innen gesehen hat, hat eine kleine Ahnung davon, wie anstrengend, kräftezehrend und gesundheitsbelastend viele Arbeiten dort trotz technischen Fortschritts immer noch sind. Drei freie Tage zwischen zwei Schichten sind gewiss keine überzogene Forderung.

Aufregend an der Vier-Tage-Woche ist aber auch, dass sie das Zeug hätte, zu einem neuen Leitbild bei der Wochenarbeitszeit zu werden. So wie es die Fünf-Tage-Woche heute ist. Die Idee, dass die meisten von Montag bis Freitag arbeiten und dann zwei Tage „Wochenende“ haben, ist nicht sehr alt. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Regelarbeitszeit bei 48 Stunden an sechs Tagen. In der DDR-Planwirtschaft wurde sie 1957 auf 45 Stunden abgesenkt, zehn Jahre später wurde durch Ministerratsbeschluss die Fünf-Tage-Woche eingeführt. Im Westen Deutschlands war das Angelegenheit der Tarifparteien. Unter dem Motto „Samstags gehört Vati mir“ forderten die DGB-Gewerkschaften ab Mitte der 50er Jahre die 40-Stunden-Woche – flächendeckend Standard wurde sie erst in den 70ern, ins Gesetz schaffte sie es nie. Dort gilt der Samstag bis heute als „Werktag“ – und zwar einer von sechs in der Woche.

Auch wenn Arbeitszeit eine quasi rituelle Norm ist, die das Alltagsleben strukturiert und über Generationen festgezurrt bleibt, kann diese Norm offensichtlich immer wieder umgestoßen und neu verhandelt werden. Die Frage „Wem gehört die Zeit?“ zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung. 1856 galt es als Erfolg, als in der Druckindustrie der Arbeitstag auf zehn Stunden begrenzt wurde. 1889 beschloss der Pariser Kongress der Zweiten Internationale, den 1. Mai zum internationalen Kampftag für den Achtstundentag zu machen. Arbeiterfamilien kämpften für ein Leben jenseits der Fabrik: „8 Stunden Unternehmerdienst – 8 Stunden Schlaf – 8 Stunden Mensch sein.“ Mehr als ein halbes Jahrhundert lang widersetzten sich die Unternehmer dieser Forderung. Es brauchte eine Revolution – die Novemberrevolution 1918 – um den Achtstundentag in Deutschland als gesetzliche Norm durchzusetzen.

Eine Antwort auf die Herausforderung der Transformation

Überhaupt, Revolutionen und Zeit: Der Kampf um die Zeit war für die Gewerkschaften immer auch verbunden mit der Suche nach strategischen Antworten auf große gesellschaftliche Umbrüche. Als Mitte Ende der 70er die Massenerwerbslosigkeit wuchs, forderten die Gewerkschaften die Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden mit vollem Lohnausgleich. Es brauchte fast ein Jahrzehnt und einen sechswöchigen Erzwingungsstreik, bis der Einstieg in die 35-Stunden-Woche in der Metall- und Elektroindustrie 1984 erkämpft war – beendet wurde er bis heute nicht, in Ostdeutschland gilt weiterhin die 38-Stunden-Woche. Ein Streik der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen für die Angleichung der Wochenarbeitszeiten in Ost und West endete vor zwanzig Jahren mit einer Niederlage – sabotiert von „Betriebsratsfürsten“ westdeutscher Automobilkonzerne, die den Kolleginnen und Kollegen im Osten ihre Solidarität verweigerten, gerade in dem Moment, als der Streik anfing, Wirkung zu zeigen.

Durchsetzen konnten sich 2003 im Kampf um die 35-Stunden-Woche allerdings die ostdeutschen Stahlbeschäftigten, und zwar innerhalb von Tagen. Offensichtlich ist die Durchsetzungsmacht am Hochofen, der niemals ausgehen darf, doch ein Stück weit größer als am Montageband. Insofern hat sich die Gewerkschaft auch diesmal für ihre revolutionäre Forderung eine gute Branche ausgesucht. Aber ist eine Vier-Tage-Woche wirtschaftlich überhaupt möglich und vertretbar? Ein Blick in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes zeigt: Die Arbeitsproduktivität je Beschäftigtenstunde quer durch alle Branchen ist seit 1991 um fast die Hälfte gestiegen – die Reallöhne aber nicht mal um ein Drittel. Der Rest ist Aufopferung für Standort Deutschland, Aufbau Ost, Quartalszahlen und Investor Relations.

Es ist Zeit, den Trend mal wieder umzukehren und die Frage zu stellen: Wer hat die Definitionsmacht über den Arbeitstag? Was steht im Mittelpunkt? Der Verwertungszwang, die Shareholder, die Wünsche der Kunden? Oder haben Beschäftigte auch ein Recht auf Teilhabe an der steigenden Produktivität? Auf Sicherung von Arbeitsplätzen, Freiräume für menschliche Entwicklung – ein Recht, ihr Leben humaner zu gestalten?

In China quietschen die Reifen


Während die Politik in Deutschland weiterhin Mobilität nur rund um das Auto denkt, bleibt in der Autoindustrie gerade kein Stein auf dem anderen. Lange, zu lange, haben die deutschen Hersteller auf den „sauberen Diesel“ gesetzt. Inzwischen bauen VW, Mercedes und BMW auf Elektromobilität – mit großen Versprechungen und mäßigem Erfolg. Digitalkonzerne und Batterieproduzenten machen den alten Automobilkonzernen die Kontrolle der Wertschöpfungsketten streitig. Neue Player wie Tesla, aber auch in Europa bislang weitgehend unbekannte Hersteller aus China, geben den Takt vor.

Meine 2 Cents im neuen Freitag. Im gut sortierten Zeitungshandel. >>> Artikel als PDF

>>> Jörn Boewe/Johannes Schulten: Die Transformation der globalen Automobilindustrie. Trends, Deutungen, sozialökologische Handlungsstrategien – Ein Handbuch für die gewerkschaftliche und politische Praxis #automotive #transformation #Verkehrswende #mobility #Mobilitätswende
https://www.rosalux.de/publikation/id/50028?fbclid=IwAR0CnEOEBTYMAEIRYRl0xM89tXrb61WyYZ3RS0mc4ZPkh80RVdnMSkkqwRI

Zu viele Autos auf der Welt

Teaser #12. Wenn der weltweite Pkw-Bestand linear im gleichen Tempo weiterwächst wie in den letzten zwei Jahrzehnten (Abb. 22), gibt es im Jahr 2040 rund 2,35 Milliarden Pkw auf der Welt. Verschiedene Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. So geht eine von Prognos im Auftrag von Shell erstellte Untersuchung davon aus, dass «die globale Pkw-Flotte allein bis 2050 auf fast 2,5 Milliarden Pkw» wächst (Shell Deutschland/Prognos 2014). Eine Untersuchung des IWF-Experten Marcos Chamon im Journal Economic Policy kam bereits 2008 zu dem Ergebnis, «dass die Zahl der Autos zwischen 2005 und 2050 um 2,3 Milliarden zunehmen wird, davon 1,9 Milliarden in den Schwellen- und Entwicklungsländern » (Chamon et al. 2008: 244).

Das würde bedeuten, dass in zwei Jahrzehnten trotz eines rasanten «Markthochlaufs» für Elektroautos immer noch genauso viele Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor unterwegs sind wie heute. Bei aller Euphorie im Zusammenhang mit dem Elektroauto sollte nicht vergessen werde, dass in einem Großteil der Welt auf absehbare Zeit weder ein Verbot von Verbrennungsmotoren geplant ist noch auch nur im Ansatz eine Infrastruktur für die breitere Nutzung von Elektro-Pkw existiert (Abb. 23). In einigen dieser Weltregionen gibt es bereits jetzt eine hohe bzw. dynamisch wachsende Motorisierungsrate (Abb. 24).

Tatsächlich kann 2023 niemand exakt prognostizieren, wie viele Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weltweit noch gebaut werden, geschweige denn, wie lange sie genutzt werden. Relativ detaillierten Einblick in die aktuellen Planungen der großen Hersteller gibt eine im November 2022 veröffentlichte Greenpeace-Studie. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Automobilkonzerne bis 2040 aktuell noch 645 bis 778 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge mit Diesel- oder Benzinmotor produzieren wollen. Die Menge sprengt den Berechnungen zufolge das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens bei Weitem, allenfalls die Hälfte des geplanten Produktionsvolumens sieht die Studie noch als vertretbar an (Teske et al. 2022). Mit anderen Worten: Selbst wenn die optimistischeren Szenarien in Bezug auf die Markteroberung durch das E-Auto eintreten, haben wir in 20 Jahren weltweit mehr oder weniger immer noch die gleichen THG-Emissionen durch Verbrennungsmotoren – die Emissionen aus der Produktion und dem Betrieb von einer Milliarde Elektroautos und der zusätzliche Ressourcenverbrauch kämen noch hinzu. Auch wenn die produktions- und betriebsbedingten Emissionen je Elektrofahrzeug aufgrund effizienterer Technologien und eines «grüneren» Strommixes tendenziell sinken dürften, ist es offensichtlich, dass das skizzierte Szenario nicht zu einer Reduzierung, sondern zu einer Ausweitung der THG-Emissionen des Pkw-Verkehrs führen würde.

Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs allein ist keine effektive klimapolitische Maßnahme, solange sie im Kontext einer Fortschreibung des autozentrierten Verkehrsmodells stattfindet. Die Vorteile des Elektroautos (hoher energetischer Wirkungsgrad, günstige THG-Lebenszyklusbilanz) können nur dann ihre Wirksamkeit entfalten, wenn der Bestand an Pkw insgesamt reduziert wird und die Fahrzeuge über eine lange Lebensdauer genutzt werden und hohe Gesamtlaufleistungen erzielen.

Dies würde voraussetzen, dass es innerhalb weniger Jahre zu einer massenhaften Abkehr vom Modell des individuell-privaten Pkw hin zu einer viel stärkeren Sharing-Nutzung kommen müsste und wenn öffentliche Verkehrssysteme massiv ausgebaut werden, auch in ländlichen und suburbanen Gebieten. Leitbild müsste ein integriertes Mobilitätssystem sein, in dem ein emissionsfreier Linienverkehr von Bussen und Bahnen das Rückgrat bildet und die Lücken in dünn besiedelten Gebieten über elektrische Rufbusse, Shuttles, Taxis und Carsharing-Flotten geschlossen werden, die als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge organisiert sind. Um einen globalen Effekt zu haben, müsste ein derartiges Leitbild aber auch in den aufstrebenden Volkswirtschaften Brasiliens, Indiens oder Chinas als erstrebenswertes Ziel angesehen werden. Davon sind wir derzeit weit entfernt.

> Jörn Boewe/Johannes Schulten

Die Transformation der globalen Automobilindustrie. Trends, Deutungen, sozialökologische Handlungsstrategien – Ein Handbuch für die gewerkschaftliche und politische Praxis

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Deutschland streikt!

… ist der Titel meines Leitartikels in der neuen Ausgabe der Wochenzeitung Der Freitag, 12/2023. „Gefühlt wird in Deutschland derzeit so viel gestreikt wie lange nicht“, heißt es darin. „Die  aktuellen Arbeitsniederlegungen werden in der Öffentlichkeit viel stärker wahrgenommen als etwa die Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie im Herbst.“ Das ist aber nicht so, „weil mehr gestreikt wird, sondern weil sie das Alltagsleben vieler Menschen direkt  tangieren. Wenn ein paar Tage keine Pakete kommen, der Müll liegen bleibt oder Busse  und Bahnen nicht fahren, merkt man das sofort. Für die Gewerkschaften hat das Vor- und  Nachteile: Sie haben die große Bühne für ihr Thema, müssen sie aber auch bespielen können. Die Sympathie für Streiks, von denen man selbst betroffen ist, besonders im Verkehrssektor, ist fragil, der Kampf um die öffentliche Meinung kein Selbstläufer.“ Denn: „Die Hegemonie haben andere.“ Im aktuellen Freitag, ab Donnerstag am Kiosk.                                                                     >>> zum Artikel >>>

Organisieren am Konflikt

„Mitglieder wollen sich beteiligen und mitbestimmen, wenn es um ihre persönlichen und  unsere gemeinsamen Interessen geht.“ Der Satz ist von Andrea Kocsis, ver.di-Vizevorsitzende und die Frau hinter dem aktuellen Streik bei der Post. Er steht in dem VSA-Buch „Organsieren am Konflikt“  von 2013, dem Organizing-Klassiker von ver.di. 2013 erschien, ebenfalls bei VSA, auch „unser“ vom damaligen IG-Metall-Vize herausgegebenes Buch „ORGANIZING. Die Veränderung der gewerkschaftlichen Praxis

durch das Prinzip Beteiligung“ (das IG Metall-Pendant sozusagen). Der Titel „Organisieren am Konflikt“ stammt eigentlich von Heiner Dribbusch und steht über seinem Beitrag im ver.di-Buch. Und weil er so schön ist, hat ihn jemand nun ein drittes Mal „ausgeliehen“ und über mein Kocsis-Porträt gesetzt, das ich Ende Februar für die Wochenzeitung Der Freitag geschrieben habe. Leider ist mir ein Zahlendreher unterlaufen: Andrea Kocsis ist 1965 geboren, nicht ’56, wie in der Druckfassung steht.

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Empowerment der kleinen Leute

„Zitzelsberger macht es vor“ hat die Freitag-Redaktion über meinen Kommentar zur Metall-/Elektro-Tarifrunde geschrieben. Für meinen Geschmack klingt das ein bisschen zu sehr nach Personenkult, aber es ist natürlich nicht falsch. Tatsächlich ist der vor einer Woche erzielte Pilotabschluss vor allem ein Ergebnis des guten Zusammenspiels von vielen Hunderttausenden in den Betrieben und einer strategisch klugen Führung.

Auch wenn das Ergebnis unterm Strich einen bitteren Reallohnverlust bedeutet, wird es in den Betrieben dennoch als Erfolg gewertet. Warum? Weil es dort ein feines Gespür für die politisch-ökonomische Lage gibt. Wünschen kann man sich viel, man muss es aber auch durchsetzen können. An der Basis der IG Metall überwiegt wohl die Überzeugung, dass dieses Ergebnis nicht das schlechteste ist, was hätte herauskommen können.

Mehr noch: Es kam überhaupt nur deshalb zustande, weil es bundesweit eine Mobilisierung durch betriebliche Aktive gab, wie man sie von früheren Tarifrunden in dieser Form nicht kannte. Erstmals wurde eine M/E-Tarifbewegung bundesweit als Organizing-Kampagne aufgezogen. Auch wenn der Abschluss oberflächlich betrachtet ohne großen Konflikt erreicht wurde, deutet sich hier eine Kulturrevolution in der IG Metall an. Die dürfte für manche noch schmerzhaft werden, geht sie doch mit Kontrollverlust für Betriebsräte und Apparat – die traditionellen Machtzentren der Organisation – einher.

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Mapping Amazon: Karte der deutschen Amazon Standorte überarbeitet

Amazons Logistiknetzwerk in Deutschland wächst um 25 Prozent in einem Jahr

Wer sich organisieren will, braucht Orientierung im Feld, und dafür braucht man was? Eine gute Landkarte! Seit wir uns mit dem dem Liefer- und Tech-Giganten Amazon befassen – und das sind mittlerweile fast zehn Jahre – haben wir immer wieder versucht, uns und anderen Kolleginnen und Kollegen einen halbwegs brauchbaren Überblick über das Amazon-Imperium zu verschaffen.

Um ehrlich zu sein: Es ist eine Aufgabe, an der wir regelmäßig scheitern. Trotzdem machen wir weiter. Unsere im vergangenen Jahr gemeinsam mit Tina Morgenroth von „Faire Mobilität“ veröffentlichte Kurzstudie Amazons letzte Meile enthält eine Karte der deutschen Logistikstandorte des Konzerns … die inzwischen völlig veraltet ist. Die Auftraggeberin der Studie, die Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen, hat uns deshalb gebeten, nach einem Jahr eine Aktualisierung zu erstellen.

Die Sache erfordete mehr Rechercheaufwand als wir gedacht hatten, denn Amazon wächst verdammt schnell und macht seine Neueröffnungen, vor allem wenn es um eher kleine Verteilzentren geht, nicht besonders publik. Man muss sich die Daten also aus allerlei Quellen zusammensuchen und hat nie die Gewissheit, ob man  wirklich alle erwischt hat. Hat man natürlich nicht, kann man gar nicht. Aber unsere aktuelle Karte (Recherchestand Oktober 2022) spiegelt ein Wachstum von 25 Prozent innerhalb eines Jahres wieder und ist definitiv ein halbwegs brauchbarer Überblick.

>>> download als PDF und Grafikdatei bei der RLS Thüringen >>>
>>> Bericht im Amazon-Watchblog >>>

Sauber: 12,5 Prozent mehr Lohn!

Wie schafft es eine Gewerkschaft ausgerechnet in so einer harten Branche wie der Gebäudereinigung, eine zweistellige Lohnerhöhung durchzudrücken? Darum geht’s in meiner Reportage „Sauber …“ im aktuellen Freitag (ab 20. Oktober am Kiosk).

Als Bonustrack gibt’s noch eine steile These: Tarifpolitik stößt zunehmend an Grenzen, weil Inflation Kaufkraft frisst, aber auch, weil sie keine Antworten hat auf die „unzähligen Ungerechtigkeiten und Demütigungen, die der Struktur des neoliberalen Dienstleistungskapitalismus selbst eingeschrieben sind (…) Subunternehmerketten, Fremdvergaben, aufgeblähte Controlling-Bürokratien voller Bullshit-Jobs auf der einen Seite und Personalmangel auf Seiten all jener, die die Arbeit erledigen müssen – die Liste ließe sich seitenlang fortschreiben. Auf den Wahnsinn der spätkapitalistischen Arbeitswelt strategische Antworten zu finden: Das ist die gewerkschaftliche Mammutaufgabe der nächsten Jahre.“

>>> Artikel als PDF >>>

Kampf gegen Ausbeutung: Arbeitsmigranten hoffen auf Fußball-WM in Katar

Gewerkschaften verboten: Tausende Arbeitsmigranten sind beim Bau der WM-Stadien in Katar gestorben. Trotz drakonischen Regeln und dem Verbot von Gewerkschaften, schaffen sie es, sich zu organisieren und für ihre Rechte zu kämpfen. Jörn Boewe, der Freitag digital, 27. Sept. 2022

Migrant workers from Asia in the West Bay area of Doha. Foto: Alex Sergeev (www.asergeev.com)

Ausgerechnet am 20. November, dem Totensonntag, findet das Eröffnungsspiel der Fußball-WM 2022 in Katar statt. Sicher ein makabrer Zufall, aber irgendwie passend. Denn Tausende migrantischer Bauarbeiter, überwiegend aus Südasien und Ostafrika, haben beim Bau der Stadien und Hotels ihr Leben gelassen. Amnesty International spricht von rund 15.000 Todesfällen im Zusammenhang mit den Bauarbeiten, der Guardian hat 6500 Fälle recherchiert, doch die genaue Zahl kennt niemand – denn die Behörden des Emirats, eine der letzten absolutistischen Monarchien der Welt, verweigern detaillierte Untersuchungen.

Fakt ist: Der Ölstaat Katar ist eines der reichsten Länder der Welt, das Pro-Kopf-Einkommen liegt im Schnitt bei 6.200 Euro. Nicht in diese Berechnung gehen die praktisch rechtlosen Arbeitsmigranten ein, die nahezu 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Hunderttausenden von Bauarbeitern, die aus Nepal, Indien, Bangladesch und Kenia angeworben wurden, um das Land für die FIFA-WM startklar zu machen, erhalten einen Monatslohn um die 230 Euro – bei Zwölfstundenschichten unter einer gleißenden Sonne und Temperaturen, die nicht selten auf 50 Grad und mehr ansteigen. Weiterlesen