Gewerkschafter aus Deutschland und Polen trafen sich zum Erfahrungsaustausch in Poznan
Von Jörn Boewe, junge Welt, 15. Sept. 2015
Was ist das wichtigste Arbeitsmittel für Gewerkschafter in einem transnationalen Konzern? Ein Notizbuch mit Telefonnummern der Vertrauensleute anderer Standorte im Inland wie im Ausland. Kein Dachverband, keine Kommission für internationale Zusammenarbeit kann den direkten Kontakt zwischen Aktiven verschiedener Betriebe eines Großunternehmens ersetzen. Dies war die eine Kernbotschaft eines Arbeitstreffens polnischer und deutscher Gewerkschaftsaktivisten, die am Wochenende zu einem Erfahrungsaustausch im polnischen Poznan zusammengekommen waren. Die andere: Der Kampf um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei Amazon ist nur mit grenzübergreifender Solidarität zu gewinnen.
Die rund dreißig Teilnehmerinnen und Teilnehmer, überwiegend Beschäftigte aus dem Poznaner Versandzentrum des Internethändlers, diskutierten mit Kollegen aus den deutschen Konzernstandorten Bad Hersfeld und Brieselang über Löhne, Arbeitszeiten und permanente Überwachung der Beschäftigten. Es ging um die Strategien, mit denen das Management versucht, gewerkschaftliche Organisierung zu verhindern, aber auch um die Perspektive künftiger gemeinsamer Aktionen.
Ihnen war aufgefallen, dass der multinational agierende US-Konzernriese bei Streiks in Deutschland Bestellungen sehr schnell an seine polnischen Versandzentren weiterleitete. Deshalb hatten ver.di-Vertrauensleute aus Hessen und Brandenburg sowie Aktivisten der anarchosyndikalistischen »Inicjatywa Pracownicza (IP)« (»Arbeiterinitiative«) aus Poznan im Frühjahr dieses Jahres begonnen, gemeinsame Treffen zu organisieren und Informationen auszutauschen.
Im Juni war es in Polen zu ersten Solidaritätsaktionen mit den Streikenden in Deutschland gekommen: Um arbeitskampfbedingte Ausfälle in der Bundesrepublik auszugleichen, hatte Amazon in Poznan eine Verlängerung der Schichten von zehn auf elf Stunden angeordnet. Daraufhin seien Hunderte Beschäftigte »in einer mehr oder weniger spontanen Revolte« in den Bummelstreik getreten, berichtete IP-Sprecherin Agnieszka Mroz. Die Mitarbeiter wussten über den Konflikt in Deutschland Bescheid: Die IP hatte zuvor im Betrieb auf Flugblättern und ihrem schwarzen Brett über die ver.di-Aktionen in Deutschland berichtet.
In der Bundesrepublik kämpft ver.di seit dem Frühjahr 2013 für einen Tarifvertrag. Eineinhalb Jahre später, Ende 2014, eröffnete Amazon drei Versandzentren in Polen, die fast ausschließlich den deutschen Markt beliefern. Intern wird offenbar gezielt Angst vor der Verlagerung von Arbeitsplätzen nach Polen geschürt, um Beschäftigte vom Streiken abzuhalten.
Juristisch gilt jedes Amazon-Versandzentrum als eigenständiges Unternehmen, was den gewerkschaftlichen Kampf deutlich erschwert. Faktisch arbeiten die Niederlassungen aber als ein großer Verbund: »Wir merken es sofort am Auftragsvolumen, wenn an anderen deutschen Standorten gestreikt wird oder in Polen Feiertag ist«, erklärte ein ver.di-Vertrauensmann aus dem brandenburgischen Brieselang. Umso wichtiger sei es, dass sich auch die Gewerkschafter bei Amazon international vernetzten, ergänzte ein Kollege aus dem hessischen Bad Hersfeld. Meist geht es dabei um ganz elementare Dinge: »In Polen haben sie uns immer gesagt, eine jährliche Einsatzplanung sei nicht möglich«, berichtete eine Amazon-Beschäftigte und Gewerkschafterin von dort. »Jetzt wissen wir, dass es in Deutschland sehr wohl möglich ist. Wir haben eine Kopie der Vereinbarung und werden sie bei unserer nächsten Verhandlung mit dem Management vorlegen.«