»Baltic Action Week«: Hafenarbeiter und Seeleute kontrollieren Billigflaggenschiffe in Ostseehäfen
Von Jörn Boewe, neues deutschland, 5. Sept. 2014
»Das muss ein Druckfehler sein«, sagt der Mann von der Reederei. Hafenarbeiter Stefan Kließ kann sich das Lachen kaum verkneifen. Gemeinsam mit Hamani Amadou sitzt er über den Heuerabrechnungen des philippinischen Schiffes »Mangan Trader III«, das im Überseehafen Rostock am Pier liegt. Kließ und Amadou sind im Auftrag der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) unterwegs, die seit Montag ihre »Baltic Week of Action« durchführt: Hauptamtliche ITF-Inspektoren wie Amadou kontrollieren, verstärkt durch Freiwilligenteams von Hafenarbeitern und Seeleuten, die Einhaltung von sozialen Mindeststandards an Bord – vor allem bei Fahrzeugen unter sogenannten Billigflaggen.
Auf der »Mangan Trader III«, einem Schüttgutfrachter aus Manila, ist auf den ersten Blick alles in Ordnung: Seit Mai besteht ein Tarifvertrag mit der philippinischen Mitgliedsorganisation der ITF, das Schiff ist sauber und in guten Wartungszustand, die Mannschaftsräume sind okay, das Haltbarkeitsdatum der Konserven in den Provianträumen ist nicht abgelaufen, es gibt sogar getrennte Kühlräume für Fisch und Fleisch. Aber Amadou und Kließ haben Unstimmigkeiten in der Dokumentation der Überstunden entdeckt, und in den Heuerverträgen ist eine um vier Stunden längere Wochenarbeitszeit festgesetzt, als nach dem Tarifvertrag zulässig wäre.
Der Kapitän wird nervös. »Warum sind die Arbeitsverträge der Mannschaft alle am selben Tag unterzeichnet worden?« bohrt Amadou. Alle Verträge sind am 28. August abgestempelt. Die Reederei hat extra einen Mann aus Manila eingeflogen, der sie mitgebracht hat. »Well«, sagt der. »Die Leute werden seit Mai nach Tarif bezahlt, aber wir hatten noch keine Zeit, die Dokumente zu erneuern.« Amadou und Kließ prüfen weiter, machen sich Kopien der Dokumente, befragen Besatzungsmitglieder. Am Ende des Tages wird der ITF-Inspektor Kontakt mit der philippinischen Seeleutegewerkschaft PSU aufnehmen, um gemeinsam mit den Kollegen in Manila die offenen Fragen zu klären.
Jedes Jahr im September führt die Internationale Transportarbeiterföderation ihre »Baltic Week of Action« durch: Schiffe in allen wichtigen Ostseehäfen, aber auch in Hamburg, Bremen und Bremerhaven, werden durch die ITF-Teams verstärkt kontrolliert. Denn die Reedereien unterlaufen soziale Mindeststandards, indem sie Schiffe unter »Billigflaggen« fahren lassen: Sie registrieren sie in Staaten mit möglichst niedrigen Steuern, Sozialabgaben und Sicherheitsstandards wie Panama, Liberia, Äquatorialguinea oder Malta.
Dagegen setzt die ITF auf die Solidarität von Seeleuten und Hafenarbeitern. »Dockers organize seafarers – seafarers organize dockers« steht auf ihren gelben Warnwesten. Wenn ein Reeder sich weigert, einen Tarifvertrag mit der ITF abzuschließen oder ihn einzuhalten, kann er sich große Probleme einhandeln. Jedenfalls in dem Moment, wo er einen Hafen anfährt, in dem die Hafenarbeiter gewerkschaftlich organisiert sind. »Wenn wir das Schiff nicht entladen«, sagt Stefan Kließ, »dann wird das für den Reeder richtig teuer.« Und weil s etwas tatsächlich vorkommt, reicht in den meisten Fällen schon die Drohung. Bei der letzten Aktionswoche im Herbst 2013, berichtet Amadou, konnten auf diese Weise allein in Lübeck und Rostock Heuernachzahlungen um die 50 000 US-Dollar erzwungen werden.
Der Hafenarbeiter-Boykott ist die schärfste Waffe der ITF. Als 1896 in Rotterdam die Hafenarbeiter in den Streik traten, forderten englische Reeder ihre Schiffsbesatzungen auf, die Ladung selbst zu löschen. Die weigerten sich, ihren streikenden Kollegen an Land in den Rücken zu fallen. Das war die Geburtsstunde der Internationale der Transportarbeiter.
1948 startete die ITF ihre Billigflaggenkampagne und ist seitdem mit erstaunlicher Hartnäckigkeit dabei geblieben. Obwohl die Reeder in ihrem Bestreben, Schiffe »auszuflaggen« nicht nachlassen und in den Jahrzehnten des neoliberalen Mainstreams dafür viel Rückenwind von Regierungen bekamen, kann die ITF Erfolge vorweisen. Ihre Tarifverträge, aber auch von ihr maßgeblich durchgesetzte völkerrechtliche Übereinkommen wie die 2013 in Kraft getretene UNO-Seearbeitskonvention und entsprechende gesetzliche Regelungen konnten die Bedingungen für die Seeleute verbessern.
Auch wenn bei der diesjährigen Aktionswoche das Hauptaugenmerk wegen des Exportgeschäfts auf der Handelsschifffahrt gelegen habe, habe man auch das boomende Kreuzfahrtgeschäft auf dem Schirm, erklärte Torben Seebold, maritimer Koordinator der ITF für Deutschland. Künftig werde der Bereich »ein besonderes Ziel« der Aktionen sein, denn »die in Deutschland besonders beliebten Schiffe fahren alle unter Billigflagge«, so Seebold. Den Preis für den aggressiven Unterbietungswettbewerb der Kreuzfahrtanbieter zahlten die Seeleute.