„Die große Zeit liegt noch vor uns“

Eicke R. Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg, über die richtige Industriepolitik für eine Zukunftstechnologie. Das Gespräch führten Jörn Boewe und Johannes Schulten.

Magazin Mitbestimmung, 11/2013

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz fördert indirekt den Verkauf von Solaranlagen, egal wo sie produziert wurden. Haben also die deutschen Stromkunden über ihre EEG-Umlage die chinesischen Billiganbieter subventioniert und dazu beigetragen, dass bei uns Industriearbeitsplätze vernichtet wurden?

Das sehe ich anders. Erst durch das EEG wurde in Deutschland ein Markt für Photovoltaik (PV) geschaffen mit der Folge, dass heute unsere PV-Technologien weltweit führend sind. Für den Aufbau einer Photovoltaik-Industrie erhielten die ostdeutschen Bundesländer Geld aus der EU-Regionalförderung, während man in China die Regionen in einen Wettbewerb brachte, was dort zu einer gigantischen Überkapazität führte. Was wir dabei nicht vergessen dürfen: Der größte Teil der in Asien errichteten Produktionsanlagen wurde in Deutschland geordert. Es waren Firmen wie Centrotherm, Roth und Rau, RENA oder M&B, die Aufträge in einer Größenordnung von 50 Milliarden Euro für China erledigt haben. Für die deutschen Anlagenbauer war das ein Riesengeschäft. Und die produzierten Module wurden dann vor allem nach Deutschland exportiert.

Von einem chinesischen Dumping, von dem in Deutschland oft die Rede ist, wollen Sie also nicht sprechen?

Ich meine nein. Das Dumping bestand höchstens darin, dass die Chinesen Industriepolitik betrieben haben, indem sie preisgünstige Kredite für den Fabrikbau zur Verfügung stellten, was allerdings hier in kleinerem Maßstab auch in Ostdeutschland gemacht wurde.

Seither sind viele deutsche Modulbauer in die Insolvenz gegangen, kaum jemand arbeitet kostendeckend. Ist unsere heimische Solarindustrie noch zu retten?

Das Problem ist, dass ein Großteil der deutschen Hersteller nicht in der Lage ist, zu den jetzigen, niedrigen Modulpreisen zu produzieren. Das ist auf Dauer kein Geschäftsmodell. Jetzt ist die große Frage: Bleiben wir am Ball und entwickeln für den Weltmarkt eine neue Generation von Solarproduktionsanlagen – hochautomatisiert, neueste Technologie, hocheffizient, im Gigawattmaßstab? Wenn wir unsere Karten richtig spielen, haben wir eine reelle Chance, für diese zweite Generation von Photovoltaik-Produktionstechnologie die Anlagen zu liefern. Wir dürfen nicht den Fehler machen, den wir in der Mikroelektronik begangen haben: Wesentliche Erfindungen kamen aus Europa. Am Schluss ging die Produktion jedoch in Richtung USA und dann später nach Japan, Korea und Taiwan. Um das zu verhindern, brauchen wir eine systematische Industriepolitik.

Eine systematische Industriepolitik für das Geschäftsfeld der erneuerbaren Energien ist aber derzeit nicht zu erkennen.

Wir sind ganz am Anfang, etwa wie die Autoindustrie im Jahre 1910. Die große Zeit liegt noch vor uns. Die Photovoltaik beginnt, sich weltweit als preiswerteste Art der Stromerzeugung durchzusetzen, der Strombedarf wird enorm steigen, und wir haben beim Solarstrom – das zeigen unsere Berechnungen – ein riesiges Wachstumspotenzial. Der Solarmarkt ist also ein embryonaler Markt im Gegensatz zu dem, was wir in einigen Jahren haben werden. Wir haben zwar mit dem EEG Anschubkosten übernommen und unsere Stromrechnung erhöht. Aber jetzt, wo es spannend wird, will jetzt die Politik etwa aussteigen?

Was sollte sie tun?

Wir brauchen europäische Instrumente, um den Unternehmen zinsgünstige Kredite zu garantieren. Die Solarindustrie braucht Geld, um durch das Tal der Tränen zu kommen. Aber das Kapital ist seit der Lehman-Pleite risikoscheu geworden Hier muss die Politik eingreifen. Das kann über Kreditversicherungen geschehen. Die Frage ist doch: Welchen Branchen billigen wir das zu und welchen nicht? Der neue Airbus wäre ohne eine milliardenschwere Kreditausfallversicherung auch nicht gebaut worden.

Glauben Sie, dass die höheren Arbeits- und Sozialstandards in der Europäischen Union ein Standortnachteil sind?

Nein, überhaupt nicht. In der heutigen Photovoltaik-Produktion machen Lohnkosten nur noch fünf Prozent der Gesamtkosten aus. Selbst wenn die Beschäftigten in China zum Nulltarif arbeiten würden, ergäbe sich nur ein geringer Vorteil, der direkt wieder durch die Transportkosten kompensiert würde. Der große Standortvorteil in Asien ist die Verfügbarkeit von Investmentkapital. Und diesen haben die PV-Werke in Malaysia, in Indonesien oder in China, also überall dort, wo die Regierung sagt: Wir wollen diese Arbeitsplätze, wir wollen diese Industrie aus strategischen Gründen.

Viele Sorgen macht die Kostenexplosion beim Strom, sie wird dem EEG und dem angeblich unkontrollierten Ausbau der erneuerbaren Energien zugeschrieben. Sind Wind- und Solarenergie unsozial?

Der große Irrtum, der in die Welt gesetzt wurde, ist, dass der Strompreis bei weiterem Zubau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen weiter steigen wird. Das ist absolut falsch. Von der EEG-Umlage, die im nächsten Jahr bei 6,24 Cent liegen wird, sind nur 0,18 Cent für den Zubau von weiteren PV- und Windanlagen gedacht. Der Rest ist darauf zurückzuführen, dass immer mehr Unternehmen von der Umlage befreit wurden und dass der Strompreis an der Strombörse EEX in Leipzig so stark gesunken ist.

Dadurch ist auch das EEG-Umlagekonto ins Minus gerutscht. Anfang des Jahres war es um zweieinhalb Milliarden Euro überzogen. Das muss durch den Stromverbraucher ausgeglichen werden.

Wir sollten nach vorne schauen, statt zu lamentieren. Die Einspeisevergütung ist jetzt gesenkt worden, für Solarenergie liegt sie bei zehn Cent pro Kilowattstunde für große Anlagen. Bei einem Haushaltsstrompreis von 25 Cent pro Kilowattstunde wird damit der Eigenverbrauch sehr viel interessanter. Die Energiewende wird uns nicht mehr viel zusätzliches Geld kosten. Sie wird dazu führen, dass wir die Energieversorgung Deutschlands in den nächsten zehn bis 20 Jahren auf regenerative Energien umstellen können, anstatt die Rohstoffe teuer einzukaufen.

Die Industrie ächzt über die Strompreise, weil in den USA oder Frankreich der Strom viel billiger ist.

Wenn wir wirklich Geld bei der EEG-Umlage einsparen wollen, sollten wir den Kreis der ausgenommenen Firmen wieder schärfer auf die energieintensiven Firmen konzentrieren, die im internationalen Wettbewerb stehen und daher große Probleme mit steigenden Energiepreisen haben. Aber auch für diese Firmen sollten wir eine Umlage von einem Cent pro Kilowattstunde erheben, das entspricht dem Betrag, um den die Industriestrompreise besonders durch die verstärkte Einspeisung von Sonnen- und Windstrom gefallen sind. Es ist nicht einzusehen, dass die energieintensive Industrie von der Energiewende erheblich profitieren soll, und alle anderen Verbraucher müssen dafür eine höhere Rechnung zahlen.

Die deutsche Energiewende setzt auf Kohle als Brückentechnologie. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Das Unangenehme ist, dass die Stromversorger aus den Kohlekraftwerken noch unheimlich gute Gewinne ziehen können. Das sind Gelddruckmaschinen. Die Anlagen sind größtenteils abgeschrieben, und weil der Ausstoß von CO2 praktisch nichts kostet, ist die Kohleverstromung sehr preiswert. Den Entschluss des schwedischen Vattenfall-Konzerns, aus der Kohle auszusteigen, finde ich sehr erfreulich. Aber das ist die Entscheidung eines einzelnen Unternehmens. Wir sollten versuchen, eine gesamtgesellschaftliche Umstellung in Gang zu bringen. Und das funktioniert nur, wenn die Emission von klimaschädlichem CO² teurer wird.