Willkürliche Entlassungen, Schmäh-E-Mails und eine hohe Arbeitslosigkeit in der Region. Die Voraussetzungen für eine Betriebsratswahl beim Solarzulieferer Haticon in der Uckermark konnten nicht schlechter sein. Gemeinsam mit der IG Metall haben es die Beschäftigten trotzdem geschafft.
Von Jörn Boewe und Johannes Schulten, metallzeitung, 02/2013
»Natürlich hatten wir Angst, als wir im März begonnen haben«, erzählt Steffen Grimm. Da war zunächst die Unerfahrenheit: »Wir hatten so etwas ja noch nie gemacht«, pflichten ihm seine Kollegen Franka Ryll und Marcel Lubahn bei. Auch die Broschüre zur Gründung eines Betriebsrats hat ihnen nicht weitergeholfen. Doch das größte Problem war ihr Arbeitgeber.
Schlechte Stimmung im Betrieb
Die drei arbeiten bei Haticon, einem Aluminiumbauer in Pinnow in der Uckermark. Dort fertigen gut 300 Beschäftigte Montagesysteme für Solardachanlagen. Die Energie, die mit ihrer Hilfe erzeugt wird, ist sauber. Die Arbeitsbedingungen sind es nicht: Kaum jemand kommt hier auf mehr als 1800 Euro brutto im Monat. Arbeitsunfälle sind häufig. Kleine Verfehlungen, wie eine überzogene Raucherpause, werden mit Abmahnungen bestraft. »Die Stimmung hat sich in den vergangenen Jahren extrem verschlechtert«, sagt Franka Ryll.
Dazu kam ab 2011 die Krise der Solarbranche. Ehemals erfolgreiche Unternehmen mussten in den letzten zwei Jahren Insolvenz anmelden. Teils weil die Weltmarktpreise für Module stark fielen und sie dem Druck der chinesischen Konkurrenz nicht standhalten konnten, teils wegen der widersprüchlichen Energiepolitik der schwarz-gelben Bundesregierung. Auch Haticon blieb davon nicht verschont. Etwa die Hälfte der ehemals gut 600 Beschäftigten musste gehen: Ohne Interessenausgleich, Sozialplan oder Sozialauswahl. »Klare Kriterien fehlten komplett«, erzählt Ryll. »Oft wurde willkürlich vorgegangen.« Zuletzt erhielten Mitte Dezember mehr als zehn Kollegen blaue Briefe.
Zeiten der Angst sind keine gute Voraussetzung für die Gründung eines Betriebsrats. Doch dann meldete sich die IG Metall auf den Hilferuf der Haticon-Beschäftigten. Im Juni kam Projektsekretärin Sophie Bartholdy und brachte Zeit mit: »Wir haben darüber gesprochen, was ein Betriebsrat für sie bringt, und wie die IG Metall sie konkret unterstützen kann.« »Sophie hat uns wieder motiviert und zum Laufen gebracht«, sagt Grimm.
Die junge Projektsekretärin wusste, was sie erwartet. Geschäftsführer Gido Genschorek sprach gleich Klartext: »›Ich dulde in meinem Unternehmen weder die katholische Kirche noch die IG Metall‹, hat er gesagt«, erzählt sie. Heute kann sie darüberlachen. Es gab noch mehr Störfeuer der skurrilen Art: Genschorek stellte eine Sozialarbeiterin ein und erzählte den Beschäftigten, nun brauche man keinen Betriebsrat mehr. Auf anonymen Aushängen wurde der IG Metall vorgeworfen, »nur an den Mitgliedsbeiträgen interessiert« zu sein.
Doch es gab auch ernsthaften Widerstand. Der Gewerkschafterin wurde zeitweise der Zugang zum Betrieb verweigert – obwohl das gegen das Betriebsverfassungsgesetz und die brandenburgische Landesverfassung verstößt. Das Verwaltungspersonal wurde gegen die Produktionsarbeiter aufgewiegelt, diverse Gegenlisten gebildet. »Es hat massive Steuerungsversuche gegeben«, sagt Bartholdy. »Das war der klassische Versuch einer Teile-und-herrsche-Politik.« Das Unternehmen zog den Rechtsanwalt Helmut Naujoks zu Hilfe, einen der »wenigen Anwälte im deutschen Arbeitsrecht, die konsequent und ausschließlichArbeitgeberinteressenvertreten«, wie er über sich selbst schreibt. Sein Spezialgebiet: die Kündigung von Betriebsräten.
Nach einer Informationsveranstaltung gingen bei der IG Metall-Bezirksleitung Schmäh-E-Mails ein. »Mitarbeiter haben sich über mich beschwert und meine Abberufung gefordert«, berichtet Bartholdy. Auffällig: Häufig wurden identische Formulierungen benutzt. »Der Auftritt hinterließ einen bleibenden, allerdings auch negativen Eindruck.« Oder: »Solch ein Niveau sind wir in unseren Reihen nicht gewohnt.«
An ein ganz anderes »Niveau« musste sich Kathrin Nicolaus gewöhnen. Sie hat auf Platz zwei der IG Metall-Liste kandidiert und sitzt heute im Betriebsrat: Ihrem Sohn Patrick, Schichtleiter bei Haticon, wurde kurz vor der Wahl »verhaltensbedingt« gekündigt. Begründung: Er habe sich »nicht weiterentwickelt«. Ob sie von der Entlassung eingeschüchtert war? »Ich wusste, dass die irgendwas gegen mich aushecken. Aber aufgeben? Den Gefallen wollte ich ihnen nicht tun. Ich brauche die Arbeit.«
Das geht nicht nur ihr so. Die meisten Beschäftigten in Pinnow kommen aus der Uckermark und sind auf ihre Jobs angewiesen. Der Großteil von ihnen hat mehrere Phasen von Arbeitslosigkeit hinter sich. Sie waren im Pflegedienst tätig, haben an Tankstellen gearbeitet, als Polizisten, Gastwirte oder Verkäufer. Steffen Grimm hat Landwirtschaftspädagoge gelernt, einen Beruf, den es heute gar nicht mehr gibt. Seit Monaten führt die Uckermark die bundesweite Arbeitslosenstatistik an, noch vor Frankfurt (Oder) und Bremerhaven. 15,9 Prozent der Menschen hatten im Dezember keine Arbeit.
Besser mit Betriebsrat
An der Region, aus der die Bundeskanzlerin kommt, ist das »Jobwunder« nach der Krise jedenfalls vorbei gezogen. Große Hoffnungen werden in die Solarindustrie gesetzt. Doch viele Unternehmer nutzen die Situation aus. Auch der Modulproduzent Aleo-Solar fertigt in der Uckermark. Dessen rund 680 Beschäftigte in Prenzlau, vierzig Kilometer von Pinnow, werden noch schlechter bezahlt als die Beschäftigten bei Haticon.
Doch gerade weil die Lage so prekär ist, brauchen sie eine starke Interessenvertretung. Und so wählten die Kollegen bei Haticon Anfang Dezember – trotz des Gegenwinds. Die Liste der IGMetall – »das starke Dutzend« – errang die Mehrheit.
Und die Kollegen machen ihre ersten Erfahrungen als neu gewählte Betriebsratsmitglieder. Mitte Dezember stimmten sie einem Antrag der Geschäftsführung auf Kurzarbeit für einen Monat zu. Erst hinterher fiel ihnen auf, dass sie versäumt hatten, sich vorher die Geschäftsbücher zeigen zu lassen.
Für Februar steht wieder Kurzarbeit an. Diesmal wollen sie sich Einblick in die Bilanzen verschaffen. Dazu soll ein Experte der IG Metall zurate gezogen werden: Sie wollen genau wissen, wie es um den Betrieb steht.
Seit Anfang 2012 gehört das Unternehmen zum schwedischen Aluminiumbauer Sapa. Geschäftsführer Gido Genschorek hat die Firma zum Jahresende verlassen. In Schweden gilt Sapa als sozialpartnerschaftlich orientiert, an seinem baden-württembergischen Standort Offenburg zahlt der Konzern nach Flächentarif. Die Metaller im Südwesten unterstützen ihre Kollegen in Pinnow: Zur Wahl des Wahlvorstands rückte Verstärkung aus Offenburg an. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hoffen nun, dass es auch in Pinnow besser wird. Steffen Grimm ist zuversichtlich: »So wie wir lernen müssen, mit der Geschäftsführung umzugehen, so muss auch die Geschäftsführung lernen, mit uns zusammenzuarbeiten.«