Mit 28 Eisenbahn-Unternehmen hat die Fahrpersonalgewerkschaft GDL genau das vereinbart, was sie vom Management der DB AG fordert. Doch das Staatsunternehmen versucht, sich auf Kosten der eigenen Beschäftigten einen Vorteil gegenüber seinen Mitbewerbern zu sichern. Von Jörn Boewe, der Freitag 10/2024
Mit der Deutschen Bahn zu verreisen, wird von Jahr zu Jahr abenteuerlicher. Inzwischen ist man froh, wenn man überhaupt noch ankommt. Wer mit dem ICE in die Schweiz fährt, muss an der Grenze in einen Zug der Schweizer Bundesbahn (SBB) umsteigen – die Eidgenossen wollen sich von der Deutschen Bahn nicht mehr ihren Taktfahrplan durcheinanderbringen lassen. Lange her die Zeiten, in denen das deutsche Eisenbahnwesen als Vorbild in Technik, Betrieb und Organisation galt.
„In Deutschland haben Züge keine Verspätung, sondern eine voraussichtliche Ankunftszeit“, twitterte ein Sprecher der SBB einmal, aber das ist auch schon wieder zehn Jahre her. Seither ist alles nur schlimmer geworden. „Deutschlands verspätete Züge verursachen eine Kulturkrise – eine Peinlichkeit‘“ titelte das Wall Steet Journal vergangenen Sommer. Ihr Management hat die Deutsche Bahn nicht nur zum Gespött Europas, sondern der ganzen Welt gemacht. Ein echter Global Player eben.
Management-Versagen
„Weichenstörung“, „Stellwerksstörung“, „verspätete Bereitstellung“, „Verspätung eines vorausfahrenden Zuges“, „Verzögerungen im Betriebsablauf“, „unser Lokführer kommt mit einem verspäteten Zug“ und so weiter und so fort – wir kennen die Desaster-Durchsagen der Bahn längst auswendig. Zu all diesen Zumutungen kommen in den nächsten Wochen noch die Streiks der Fahrpersonalgewerkschaft GDL, quasi „on top“.
Sind daran irgendwie beide Seiten schuld? Nein! Die Verantwortung trägt allein und ausschließlich das Management der Deutschen Bahn. Jeder Versuch einer Schuldumkehr ist klar zurückzuweisen. Die Fakten sprechen eine klare Sprache.
Zwei freie Tage zwischen zwei Schichten – ist das denn zu viel verlangt?
Die GDL will die 35-Stunden-Woche für Schichtarbeitende – nicht nur für Lokführer, sondern auch für Zugbegleit- und Bordbistro-Personal. Keineswegs sofort, sondern schrittweise, bis 2028. Und sie will die Fünf-Tage-Woche, sprich: zwei zusammenhängende freie Tage zwischen zwei Schichten. Sind das maßlose Forderungen? Es gibt Lokführer, die schieben 400 bis 600 Überstunden vor sich her – und das seit Jahren.
Was bietet die Bahn eigentlich stattdessen? Man könne sich vorstellen, die Wochenarbeitszeit ab 2026 um eine Stunde zu verkürzen – aber nur „unter dem Vorbehalt, dass dann genügend Lokführer:innen und Zugpersonal an Bord sind“, heißt es unter der Überschrift „Große Zugeständnisse“ bei der DB AG. Im Klartext: In knapp zwei Jahren kommt die 37-Stunden-Woche – aber nur, wenn es die Personalsituation dann erlaubt. Also vielleicht. Oder wahrscheinlich eher nicht.
Denn wie will die Bahn die Personallage verbessern, wenn sie dauerhaft schlechtere Arbeitsbedingungen bietet als die Mitbewerber? Mit 28 nicht bundeseigenen Eisenbahnunternehmen hat die GDL – ziemlich geräuschlos – genau das vereinbart, was die DB AG bislang verweigert. 28 Unternehmen mit viel kleineren Bilanzen und ohne die Rückendeckung der Steuerzahler, die im Zweifel für alles aufkommen: für das Gehalt eines Bahnchefs, das dreimal so hoch ist wie das des Bundeskanzlers, für die fünf Millionen Euro Bonuszahlungen für die Vorstandsriege bis hin zu den 35 Milliarden Euro, mit denen die Deutsche Bahn in den Miesen ist.
Ein Staatsunternehmen versucht, sich auf Kosten der eigenen Beschäftigten einen Vorteil gegenüber seinen Mitbewerbern zu sichern, indem es Arbeitsbedingungen unterhalb des Flächentarifvertrags festschreiben will: Nichts anderes als das findet gerade statt. Die GDL hat recht mit ihren Streiks.