ver.di online – Beim Einzelhändler Weltbild, und nicht nur dort, setzen immer mehr ver.di-Betriebsgruppen auf Information und Austausch im Netz
Von Jörn Boewe und Johannes Schulten, ver.di publik 05/2014
Nicht alle Kommentare, die dieser Tage auf dem ver.di-Weltbild-Blog gepostet werden, sind lobend: „Mehr persönliche Gespräche“ von Betriebsrat und ver.di fordert Anonym am 23. Juni um 5.32 Uhr, ein ebenfalls anonymer Kollege beklagt, nicht ausreichend informiert zu werden. Andere jedoch danken dem Betriebsrat für seine „Offenheit“ und bestärken ihn darin, „weiterzumachen wie bisher“.
Auch wenn die Kritik manchmal hart ist – Timm Boßmann trägt es mit Fassung. „Mir ist es lieber, als wenn so was nur in der Teeküche geäußert wird. So kann ich die Kritik aufnehmen und dazu Stellung nehmen“, sagt er. Boßmann ist stellvertretender Betriebsratsvorsitzender von Weltbild und eins von fünf Mitgliedern der Redaktion des ver.di-Blogs. Im Juni sitzt er in Verhandlungen mit dem Insolvenzverwalter. „Die Kollegen haben Probleme mit der Ungewissheit und wollen durchgehend informiert werden. Aber wir können nicht jedes Gerücht kommentieren, sondern nur den Stand melden.“
Kommunikation übers Netz
Sechs Monate ist es her, seit die Augsburger Verlagsgruppe Weltbild Insolvenz an gemeldet hat. Die Übernahme durch den Münchner Finanzinvestor Paragon gilt inzwischen zwar als sicher, doch es bleiben noch viele Fragezeichen: Wie viele Beschäftigte werden übernommen? Was passiert mit den Gehältern? Wann gibt es die Abfindungen für die, die in die Transfergesellschaft gewechselt sind?
Kein Wunder, dass viele nervös sind und schnell gereizt reagieren. Der Weltbild-Blog von ver.di ist der zentrale Ort der Diskussion für die Belegschaft, entsprechend geht es hier konkret zur Sache. Den Blog als Informations- und Debatteninstrument schätzt Timm Boßmann gerade in Krisenzeiten. Wer Transparenz wolle, müsse auch mit Kritik umgehen können, sagt er.
Kommunikation über das Netz ist für Gewerkschaft, Betriebsrat und Belegschaft bei Weltbild nicht ganz neu. Seit 2009 wird unter weltbild-verdi.blogspot.de gepostet, diskutiert und informiert. Boßmann war von Anfang an dabei, er gilt als einer der Pioniere des gewerkschaftlichen Bloggens.
Das Beispiel wirkt
Dem Beispiel der ver.di-Blogger bei Weltbild sind andere gefolgt. Ob bei Weltbild, Amazon, Edeka, Netto oder Hugendubel – Gewerkschaft und Aktive setzen heute immer öfter auf kollektiv betriebene Blogs, ebenso wie auf Facebook-Gruppen und Twitter. Und die Erfahrungen zeigen: Gerade in Arbeitskämpfen und harten Auseinandersetzungen machen Social Media die Gewerkschaften stärker. So zuletzt in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes: Als Kitas schlossen und Busse in ihren Depots blieben, erklärten Erzieherinnen und Busfahrer bei facebook und Twitter, warum sie sich zum Streik entschlossen hatten. Die Klickzahlen sprechen für sich: 1,34 Millionen mal wurde hugendubelverdi.blogspot.de seit Gründung im November 2010 aufgerufen, beim ver.di-Blog des Gartenbaucenters Dehner sind es 620 000 Klicks.
„Blogs helfen uns, Defizite traditioneller Formen der Gewerkschaftsarbeit zu kompensieren“, sagt Hubert Thiermeyer, der Leiter des ver.di-Fachbereichs Handel in Bayern. „Besonders dort, wo die Gewerkschaften in den letzten zwei Jahrzehnten durch Flexibilisierung, Outsourcing und Prekarisierung geschwächt wurden, wie im Handel.“ Verlängerte Öffnungszeiten und oft sehr kleinteilige Filialstrukturen führen dazu, dass die Leute sich kaum noch über ihre Arbeit austauschen können. „Doch die gemeinsame Reflexion ist Voraussetzung dafür, aktiv zu werden“, sagt Thiermeyer. Raum dafür könne heute virtuell zumindest zum Teil wiederhergestellt werden, so in einem gemeinsamen Blog.
Argumente für die Öffentlichkeit
In den Blogs bei Amazon, Edeka, Netto oder Hugendubel geht es aber nicht nur darum, die eigene Belegschaft zu mobilisieren. Auch für die Auseinandersetzung in den Medien sind sie ein wichtiges Instrument, denn sie bieten die Möglichkeit, die Probleme der Beschäftigten detailliert und direkt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Die Unternehmer haben fast so viel Angst vor Blogs wie vor Streiks“, sagt Thiermeyer. Wer sich skandalös verhalte, scheue schließlich nichts so sehr wie die Öffentlichkeit.
Neben seiner Betriebsratstätigkeit engagiert sich Timm Boßmann in der gewerkschaftlichen Bildung, er organisiert Blogger-Schulungen und Schreib-Workshops. Viele der ver.di-blogs hat er in ihrer Startphase beraten. Sein Credo: „Blogs machen kann jeder, es braucht nur ein paar Regeln. Die Sätze sollten verständlich und kurz sein, der Inhalt muss regelmäßig aktualisiert werden.“ Wichtig ist ihm auch: „Die Blogs müssen von unten kommen. Die Aktiven müssen die Linie bestimmen.#
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Tipp: Das nächste Blogger-Seminar mit Timm Boßmann findet vom 29. September bis 1. Oktober in der ver.di-Bildungsstätte Brannnenburg statt.
Zu den Blogs:
hugendubelverdi.blogspot.de
edeka-nst-verdi.blogspot.com
weltbild-verdi.blogspot.com