Im Minenfeld

Zwischen Friedensbewegung und Rüstungslobby: Die öffentliche Debatte um Kampfdrohnen und Waffenexporte hat eine alte Kontroverse in der IG Metall wieder aufleben lassen.

Von Jörn Boewe und Johannes Schulten, Magazin Mitbestimmung, 10/2014

Die Friedensbotschaft zuerst: Die IG Metall diskutiert wieder über Rüstungskonversion. Und jetzt der Frontbericht: Eine sonderlich friedliche Debatte ist es nicht, die der Zweite Bevollmächtigte aus Ingolstadt, Bernhard Stiedl, Anfang Juli losgetreten hat.

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EuroHawk-Drohne im Landeanflug. Foto: P. Hayer, commons.wikimedia.org

„Ein europäisches Drohnenprogramm würde am bayerischen Standort Manching 1500 Arbeitsplätze sichern“, sagte Stiedl, der für die IG Metall den Rüstungskonzern EADS betreut, der „Welt am Sonntag“. Und Jürgen Kerner, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der IG Metall und dort zuständig für die Branche, fügte im „Spiegel“ hinzu: „Wenn wir uns über deren Anschaffung einig sind, dann sollten die Drohnen in Deutschland entwickelt werden.“Bereits ein paar Wochen zuvor, Mitte Juni, hatten sich 20 Betriebsratsvorsitzende mit einem Brief an Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gewandt. Der hatte angekündigt, die Ausfuhr deutscher Rüstungsgüter zu begrenzen. Für einige Unternehmen sei es „fünf vor zwölf“, deshalb brauche man, was Ausrüstung der Bundeswehr und Waffenexporte angehe, „eine klare Linie der Bundesregierung“, so die Botschaft der Betriebsräte.

Für große Teile der IG Metall, aber auch der Öffentlichkeit hatten Stiedl, Kerner und die Betriebsräte eine heftige Kontroverse losgetreten. „Kollegen, was ihr fordert, steht außerhalb jeder gewerkschaftlichen Willensbildung“, schrieb der ehemalige Bevollmächtigte der IG Metall Hattingen, Otto König, in der Zeitschrift „Sozialismus“. „Wenn die Gewerkschafter sich das nächste Mal treffen, um ‚Kumbaya, my Lord‘ zu singen, müssen die Kollegen von der IG Metall wohl draußen bleiben“, lästerte Jakob Augstein im „Spiegel“.

KLARE BESCHLUSSLAGE

„Die IG Metall setzt sich für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung ein.“ So steht es in der auf dem 22. Ordentlichen Gewerkschaftstag 2011 in Karlsruhe beschlossenen Satzung. „Die Rüstungsausgaben müssen zugunsten sozialer, ökologischer und arbeitsmarktpolitischer Aufgaben gesenkt werden“, heißt es in einem vom selben Kongress angenommenen Leitantrag.

Dass das mehr sind als Textbausteine für Maifeiern und Sonntagsreden, weiß jeder, der einmal an einem Ostermarsch teilgenommen hat: Die IG Metall ist und war ein Teil der Friedensbewegung. Metaller waren in den 80er Jahren bei den Protesten gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen dabei. In den 50er Jahren kämpften sie gegen die Wiederbewaffnung. „Die Forderung nach Planungssicherheit widerspricht den Statuten. Den Status quo beizubehalten ist keine Abrüstung“, sagt Otto König.

Die IG Metall ist Teil der Friedensbewegung, aber nicht nur. Zu ihrem Organisationsbereich gehören auch die Beschäftigten der Rüstungs- oder wehrtechnischen Industrie – und schon diese beiden Varianten bei der Benennung der Branche deuten an, dass hier kontroverse Einschätzungen, Positionen, ja Kulturen zusammenkommen.

Die Kritik am Brief der Betriebsräte kann Armin Maier-Junker gut verstehen. „Ich bin ja auch ein normaler Mensch in dieser Gesellschaft“, sagt der Betriebsratsvorsitzende des Gemeinschaftsbetriebs Airbus Defence and Space MBDA Ulm. „Doch ich muss mich eben auch um die wirtschaftlichen Gegebenheiten und die Beschäftigten kümmern.“ Für ihn heißt das: Der Export ist für sein Unternehmen „überlebenswichtig“, die Nachfrage der Bundesregierung reicht nicht aus. In Ulm werden hochmoderne Radaranlagen entwickelt und produziert. Hauptabnehmer sind Länder wie Algerien oder Saudi-Arabien, die sie zur Grenzsicherung einsetzen – Länder mit autoritären Regimen, in denen die Menschenrechte systematisch verletzt werden, die aber bereit sind, sich in regionalen Konflikten im Sinne des Westens zu engagieren.

Unter der schwarz-gelben Koalition stand letzterer Aspekt im Vordergrund. „Wir müssen die Staaten, die bereit sind, sich zu engagieren, auch dazu befähigen“, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel 2011 verkündet. „Das schließt auch den Export von Waffen mit ein.“ Tatsächlich stiegen die deutschen Rüstungsausfuhren in den letzten Jahren rasant, allein 2013 wurden Kriegsgüter im Wert von sechs Milliarden Euro exportiert, ein Viertel mehr als im Jahr zuvor. Mittlerweile werden mehr als zwei Drittel der deutschen Rüstungsproduktion ans Ausland verkauft.

Seit knapp einem Jahr regiert nun Schwarz-Rot, und es deutet sich eine Neuausrichtung an. „Rüstungsexporte sind kein Mittel der Wirtschaftspolitik. Sie sind ein Instrument der Sicherheitspolitik“, schrieb der Wirtschaftsminister im aktuellen Rüstungsexportbericht und stellte klar: „Das Bundeswirtschaftsministerium würde auch dann keine Genehmigungen für zweifelhafte Geschäfte erteilen, wenn sie mit der Sicherung von Arbeitsplätzen gerechtfertigt werden.“

Dieser Satz alarmierte die Betriebsräte. „Es kann nicht sein“, sagt Maier-Junker, „dass wir einen Auftrag haben, und weil sich in einem Land die politische Situation plötzlich ändert, dürfen wir das Produkt nicht mehr verkaufen.“ Doch die Mehrheit der Bundesbürger sieht das anders: Mehr als drei Viertel lehnen nach einer Umfrage des Emnid-Instituts Rüstungsexporte grundsätzlich ab.

RÜCKLÄUFIGE BESCHÄFTIGTENZAHL

Rund 80 000 Beschäftigte arbeiten nach Angaben der IG Metall derzeit in der deutschen Rüstungsindustrie. 1989 waren es in der alten Bundesrepublik noch 280 000, dazu 120 000 in der DDR. Alle Prognosen gehen davon aus, dass die Beschäftigtenzahlen weiter sinken werden. Insofern sei jetzt „genau der richtige Zeitpunkt, die alte Debatte über Konversion wieder aufzunehmen“, sagt Otto König, der von 1995 bis 2010 ehrenamtliches Mitglied im IG-Metall-Vorstand war. „Natürlich ist das bei Krauss-Maffei Wegmann schwierig, die nur Panzer produzieren. Aber der Großteil der Rüstungsfirmen sind Mischkonzerne mit ausbaufähigen zivilen Sparten.“

Ob wirklich die komplette Rüstungsindustrie auf zivile Produktion umgestellt werden kann, ist mehr als fraglich. Dennoch wären die Folgen für die Beschäftigten viel weniger drastisch als seinerzeit beim Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau, ist sich König sicher. „Die Mehrheit sind hoch qualifizierte Fachleute, Entwickler und Ingenieure. Für die gibt es auf dem Arbeitsmarkt eine starke Nachfrage.“

Maier-Junker beurteilt die Chancen für Konversion weit weniger optimistisch. In den 80er Jahren hätten Betriebsräte in Ulm an Konzepten für die Entwicklung ziviler Produkte mitgearbeitet. Herausgekommen sind etwa Abstandssensoren, die heute bei Autos im Einsatz sind, oder ein Müllwiegesystem. „Doch diese Produkte sind nie bei uns geblieben. Uns fehlte der Marktzugang“, sagt der langjährige Betriebsrat. Die Arbeitsplätze entstanden woanders. „Das steckt uns noch alles sehr in den Knochen.“

Diese Bedenken teilt auch IG-Metall-Vorstand Kerner. Die Konversionsbemühungen der 80er Jahre seien „an den Unternehmen gescheitert, die nicht bereit waren, ihre geschäftliche Ausrichtung zu ändern, aber auch an den Mitarbeitern“. Damals sei man davon ausgegangen, dass zivile Produkte nicht im selben Segment gefertigt werden könnten. „Der Tenor lautete: Wir sind Flugzeugbauer, wir können doch nicht plötzlich etwas ganz anderes machen.“

ZIVILE ALTERNATIVEN?

Das heißt aber nicht, dass das Thema Konversion für die IG Metall gestorben ist, auch wenn Kerner lieber von „Diversifizierung“ spricht. Für Kerner steht fest: „Das können wir nur gemeinsam mit den Beschäftigten hinbekommen.“ Zudem müsse es „eine klare Ansage und Flankenschutz durch die Politik“ geben: „Unternehmen, die Aufträge für die Bundeswehr in Form von Beschaffungsprogrammen und Wartungsaufträgen erhalten, müssen parallel zivile Standbeine aufbauen.“

Dass Gabriel den Vorschlag der IG Metall nach einem „industriepolitischen Dialog mit allen Beteiligten – Unternehmen, Ministerien, Betriebsräten, IG Metall und Wissenschaft“ aufgegriffen hat, sei ein „hoffnungsvoller Schritt in die richtige Richtung“, genau wie das avisierte Förderprogramm von zehn Millionen Euro jährlich.

Für seine Organisation wünscht sich der IG-Metall-Vorstand Kerner , dass die Kontroverse weniger über die Medien ausgetragen wird – und „dass nicht der eine Teil über den anderen redet, sondern dass miteinander gesprochen wird“. Und das geschieht auch: Zum ersten Mal seit vielen Jahren veranstaltete die IG Metall im Sommer einen Konversionsworkshop. Gewerkschafter und Betriebsräte aus Rüstungsunternehmen trafen sich, um gemeinsam nach Alternativen zu suchen.

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