Regierung lockert Vorschrift: Reeder müssen künftig noch weniger Fachpersonal aus der EU anheuern
Von Jörn Boewe, junge Welt, 19. Dez. 2015
Der Seefahrerberuf stirbt aus in Deutschland und Westeuropa. Dass ihm nun ausgerechnet ein Verkehrsminister aus dem küstenfernsten Bundesland, der Oberbayer Alexander Dobrindt (CSU), einen weiteren Stoß versetzt, ist nicht ohne Witz. Vergangene Woche verkündete der Minister, dass künftig deutlich weniger EU-Personal auf Schiffen vorgeschrieben sein wird.
Bislang schrieb die 2013 in Kraft getretene Schiffsbesetzungsverordnung vor, dass an Bord jener »Kauffahrteischiffe, die die Bundesflagge führen«, unter den »wachbefähigten Besatzungsmitgliedern« vier EU-Bürger sein müssen. Auch der Job des Schiffsmechanikers musste bislang vorrangig mit EU-Bürgern besetzt werden.
Damit soll nun Schluss sein. Statt vier müssen künftig nur noch zwei Posten mit Seeleuten aus der Europäischen Union besetzt werden, die Nationalitätenregelung zum Schiffsmechaniker, dem »Motorman«, soll komplett entfallen. Deutschlands Reeder haben damit einen Lobbyistensieg auf ganzer Linie errungen, den sie bei ihrem traditionellen »Reederessen« vor einer Woche in Hamburg in Anwesenheit des Bundesverkehrsministers gebührend feierten. »Zusage nach der Vorspeise« titelte das Branchenblatt Deutsche Verkehrszeitung.
Die Lockerung der Besetzungsvorschriften war nicht das einzige Weihnachtsgeschenk, das Dobrindt den Reedern mitgebracht hatte. Künftig müssen sie für ihre deutschen Besatzungsmitglieder keine Lohnsteuer mehr abführen. Darüber hinaus sollen ihnen die Sozialbeiträge komplett vom Staat erstattet werden. Schon jetzt gilt für Schiffahrtsunternehmen eine Vergünstigung: Sie dürfen 40 Prozent der Lohnsteuer einbehalten.
Die für die Seeschiffahrt zuständige Gewerkschaft ver.di reagierte diese Woche – mit einer Pressemitteilung. Von den überregionalen Medien wurde die weitgehend ignoriert. Kein Wunder: In der gemeinsam mit dem Verband deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere und der Vereinigung deutscher Schiffsingenieure unterzeichneten Erklärung wird weder die Rücknahme der angekündigten Entscheidungen verlangt noch dagegen protestiert. Ver.di fordert lediglich »eine Bindung der geplanten Maßnahmen an eine langfristige Arbeitsplatzgarantie zum Erhalt von Ausbildung und Beschäftigung in derzeit bestehendem Umfang«. Warum die Reeder das tun sollten, bleibt das Geheimnis der Verfasser. Schließlich wäre dann die Änderung der Verordnung für sie völlig nutzlos.
Insgesamt ist die Erklärung ein Paradebeispiel für die »einseitige Sozialpartnerschaft«, die immer noch die Politik eines Großteils der deutschen Gewerkschaftsbewegung bestimmt: So wird »festgestellt«, dass »nur zwei der Mitglieder des Maritimen Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung einer Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung zugestimmt haben«. Das ist eine nette Umschreibung dafür, dass die Bundesregierung und der Verband Deutscher Reeder (VDR) das Bündnis de facto aufgekündigt haben. Das 2003 unter Einschluss von ver.di, VDR, Bundesregierung und norddeutschen Ländern geschlossene Bündnis sollte – so jedenfalls die Eigendarstellung – die Ausflaggung der deutschen Handelsflotte in Billigländer bremsen und nautisches Know-how sowie seemännische Arbeitsplätze in Deutschland langfristig sichern.
Inzwischen dürften sich die bei ver. di organisierten Seeleute eher fragen, ob das Ziel des Bündnisses nicht von Anfang an war, gewerkschaftlichen Widerstand gegen die Ausflaggung zu verhindern, indem man ver.di institutionell einbindet. Gut ein Jahrzehnt später haben sich die Reeder auf ganzer Linie durchgesetzt, und die Erosion der gewerkschaftlichen Basis ist durch die »Abwanderung« der Jobs so weit fortgeschritten, dass ernsthafter Widerstand gar nicht mehr möglich ist.
Seit 2012 ist die Zahl der Schiffe in der deutschen Handelsflotte um 17 Prozent auf 3.122 gesunken (Stand September 2015). Allein im laufenden Jahr ging sie netto um 117 Schiffe zurück. Dennoch hat die Bundesrepublik damit immer noch die viertgrößte Handelsflotte der Welt. Unter deutscher Flagge fährt aber nur noch ein Bruchteil: 350 Schiffe waren es Ende November, halb so viele wie zur Jahrtausendwende. Die Anzahl der deutschen Seeleute liegt nur noch bei 6.700. Vor zwei Jahren waren es noch 7.500 gewesen.