Die USA haben China als wichtigsten Handelspartner Deutschland abgelöst. Die eine riskante Abhängigkeit wurde verringert, nun stolpert man in die nächste.
Jörn Boewe, der Freitag, 09/2025
Zum ersten Mal seit 2015 sind die USA wieder Deutschlands wichtigster Handelspartner und haben China in dieser Rolle abgelöst. Wurden 2024 zwischen Deutschland und den USA Waren und Dienstleistungen im Wert von 253 Milliarden Euro ausgetauscht, waren es mit China nur noch 246 Milliarden Euro. Zum Vergleich: 2022 hatte der Handel mit China noch bei 300 Milliarden Euro gelegen. Das waren 50 Milliarden mehr als zwischen Deutschland und den USA. Ein Jahr später war der Vorsprung der Volksrepublik auf 1,7 Milliarden Euro abgeschmolzen. Jetzt liegen die USA wieder auf Platz eins.
Diese Entwicklung ist das Ergebnis geopolitischer Spannungen, wirtschaftspolitischer Entscheidungen und einer sich verändernden industriellen Dynamik. Aber was sind die Konsequenzen? Wer profitiert, wer verliert? Und verfügt Deutschland über eine industriepolitische Antwort auf diese Herausforderung?
Die Abkehr von China ist falsch
Globale Handelsbeziehungen werden zunehmend von geopolitischen Konflikten geprägt. Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und China, Sanktionen und strategische „De-Risking“-Maßnahmen der EU haben direkte Auswirkungen auf deutsche Exporte und Direktinvestitionen. Seit der Corona-Krise haben deutsche Unternehmen versucht, ihre Lieferketten zu diversifizieren und einseitige Abhängigkeiten von China zu verringern.
Das war im Prinzip richtig, wurde aber bald schon ideologisch missbraucht. „De-Risking“ ist zur zentralen Ausrichtung für die China-Politik der Europäischen Union geworden, seit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Konzept im März 2023 eingebracht hat. Was als Risikominimierung begann, hat inzwischen Züge eines Handelskriegs angenommen, der für die deutsche Wirtschaft ganz im Gegenteil neue Risiken produziert: EU-Strafzölle für in China produzierte Elektroautos wegen „unfairer“ Subventionen schlagen auf deutsche Hersteller zurück, die in China produzieren, allen voran auf den Volkswagen-Konzern, der solche Probleme überhaupt nicht gebrauchen kann.
Die deutschen Direktinvestitionen in China stagnieren auf hohem Niveau. Im ersten Halbjahr 2024 beliefen sie sich auf 7,3 Milliarden Euro, was einen leichten Rückgang im Vergleich zum Vorjahreszeitraum darstellt. Die hohen Wachstumsraten aus dem Boom zwischen Finanzkrise und Corona sind aber vorbei. Komplett verändert hat sich die Wettbewerbssituation für die deutschen Autobauer. Sie kämpfen in China mit zunehmender Konkurrenz durch heimische Hersteller. Und China ist der größte und am schnellsten wachsende Pkw-Markt der Welt.
DAX-Firmen lieben die USA
Gleichzeitig ziehen die USA mehr deutsche Investitionen an. Im Jahr 2024 tätigten DAX- und MDAX-Konzerne hier Übernahmen im Wert von 41 Milliarden Euro. Die Entwicklung wird gefördert durch den Inflation Reduction Act, den die Biden-Regierung noch verabschiedet hatte und der unter anderem großzügige Subventionen und Steuererleichterungen für klimafreundliche Technologien bietet. Unternehmen wie Audi, BMW, Schaeffler und Siemens Energy haben angekündigt, ihre Präsenz in den USA auszubauen. Während China für lange Zeit der Wachstumsmotor vieler deutscher Konzerne war, könnte sich die Dynamik nun dauerhaft verschieben.
Aber Deutschland riskiert mit der Fokussierung auf die USA neue wirtschaftliche Abhängigkeiten. Weniger Handel und eine geringere wirtschaftliche Verflechtung mit China führen nicht zwangsläufig zu einer stabileren Position für die deutsche Wirtschaft. Vielmehr drohen neue Risiken in den USA, deren Wirtschaftspolitik zunehmend protektionistische Züge annimmt.
Donald Trump hat mit massiven Strafzöllen auf europäische Produkte gedroht. Der deutsche Exportsektor wird davon empfindlich getroffen werden. 25 Prozent Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium sind schon beschlossen, Zölle auf Autoimporte in ähnlicher Höhe sind angekündigt.
Während die USA mit dem Inflation Reduction Act gezielt Zukunftsbranchen wie die Halbleiterindustrie oder die grüne Transformation fördern und China mit seiner Strategie „Made in China 2025“ langfristige industriepolitische Pläne verfolgt, fehlt es Deutschland und der EU an einem vergleichbaren Konzept. Stattdessen bremst die Schuldenbremse dringend überfällige öffentliche Investitionen in allen Bereichen. Damit steht Deutschland ohne klare Strategie zwischen den industriepolitischen Modellen der USA und Chinas.