Es geht ihm um Respekt

Christian Krähling kämpft bei Amazon für faire Arbeitsbedingungen. Seine Petition haben schon über 34.000 Menschen unterschrieben. Ein Porträt

Von Jörn Boewe und Johanes Schulten, neues deutschland, 20. Dez. 2014

Wer Christian Krähling über seinen Job reden hört, mag kaum glauben, dass er bei Amazon arbeitet – dem Unternehmen, dessen Beschäftigte seit nunmehr anderthalb Jahren immer wieder für einen Tarifvertrag streiken. Krähling ist Qualitätskontrolleur am Standort FRA 3 in Bad Hersfeld. Wenn Kunden fehlerhafte Ware zurückschicken, entscheidet er, ob sie ihr Geld zurückbekommen. Ein verantwortungsvoller Job, aber nicht nur das: »Die Arbeit ist spannend«, sagt der 37-Jährige, »und ich bin stolz auf das, was ich mache.« Auch mit seinem Lohn kommt er gut über die Runden. Krähling arbeitet halbtags und bekommt dafür 1600 Euro netto im Monat. »Gemessen an dem, was ich vorher verdient habe, ist das eine Menge.«

Dennoch hat Krähling Ende November eine »Petition für faire Arbeitsbedingungen bei Amazon« gestartet. Mit vollem Namen und einem Foto fordert er darin Amazon-Chef Jeff Bezos und die Geschäftsleitung in Deutschland auf, endlich Tarifverhandlungen mit ver.di zuzustimmen. Veröffentlicht wurde die Resolution auf der Kampagnenseite change.org. Über 34.000 Menschen haben sie bis jetzt unterzeichnet. Warum geht jemand wie Krähling, dem es doch gar nicht so schlecht zu gehen scheint, so ein Risiko ein? Es ist ja bei anderen Unternehmen durchaus schon vorgekommen, dass sie Mitarbeitern, die sich öffentlich kritisch äußerten, Probleme bereiteten. Krählings Antwort: »Uns geht es um Respekt. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes.«Viele Kollegen seien stolz auf ihre Arbeit bei Amazon. Doch durch ständige Kontrollen und Disziplinierungen fühlen sie sich missachtet. »Wer sich nicht wie vorgeschrieben am Treppengeländer festhält oder mal zu spät aus der Pause kommt, kann mit einer Abmahnung rechnen.« Mangel an Respekt äußere sich etwa im rüden Umgangston, den viele der meist sehr jungen Vorgesetzten gegenüber älteren Beschäftigten an den Tag legen. Das mittlere Management rekrutiert Amazon normalerweise direkt von den Universitäten: »Wenn jemand ohne Berufserfahrung einem 50-Jährigen sagt, wie er sich die Schuhe zu binden hat, kann das ziemlich demütigend sein.«

Aber da ist noch etwas, das Krähling antreibt. Bad Hersfeld war der erste Amazon-Standort, der bestreikt wurde. Das war im Mai 2013. Krähling war von Anfang an dabei. Momentan ist er Sprecher der ver.di-Betriebsgruppe und Ersatzmitglied im Betriebsrat. Er ist wohl das, was man einen aktiven Gewerkschafter nennt. Als Qualitätskontrolleur geht es ihm ganz gut bei Amazon, als Gewerkschafter weniger: Denn betriebliche Mitbestimmung, gewerkschaftliche Durchsetzung von Belegschaftsinteressen oder kollektive Rechtsansprüche der Beschäftigten, die sich aus Tarifverträgen ergeben – all das ist bei Amazon nicht vorgesehen. »Wir Gewerkschafter werden nicht akzeptiert«, sagt Krähling. »Weder im Tarifkonflikt noch als Betriebsräte.«

In den Lagerhallen wird jeder Arbeitsschritt elektronisch überwacht. Einmal am Tag bekommen die Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten ein sogenanntes Feedback: Ihnen wird gesagt, ob ihre »Leistung« über oder unter dem Durchschnitt lag. »Als Betriebsrat bekommen wir sehr häufig Beschwerden darüber«, sagt Krähling. Vor allem für die zahlreichen befristeten und älteren Kollegen bedeute der permanente Leistungsdruck Dauerstress. Die elektronische Datenerfassung von Arbeitsabläufen ist dem Gesetz nach eigentlich mitbestimmungspflichtig. Doch die Einwände des Betriebsrats wurden von Amazon ignoriert – das Feedback-System sei Teil der Unternehmenskultur, heißt es. Inzwischen streitet man sich vor der Einigungsstelle. Es ist diese Arroganz, die vielen gegen den Strich geht.

»Wir wollten etwas Neues ausprobieren«, sagt Krähling. »Ein Appell an die Öffentlichkeit, dass gewisse Standards eingehalten werden müssen.« Krähling hat Politikwissenschaften, Geschichte und Wirtschaft in Heidelberg studiert, allerdings ohne Abschluss. Er hat zwei Kinder im Alter von zwei und fünf Jahren und wohnt in Borken, einem ehemaligen Braunkohlezentrum mit 13 000 Einwohnern und wenigen, hauptsächlich prekären Arbeitsplätzen. Dort hatte er bisher nur »ein paar Gelegenheitsjobs«, zuletzt als Logistiker beim Dänischen Bettenlager. Zu Amazon ins knapp 45 Kilometer entfernte Bad Hersfeld kam er als Aushilfskraft fürs Weihnachtsgeschäft. Als die Stelle eines Qualitätskontrolleurs intern ausgeschrieben wurde, bewarb er sich und wurde genommen. »Amazon war ein echter Fortschritt«, sagt er.

Vielen seiner Kollegen geht es wie Krähling. Die Region um Bad Hersfeld ist strukturschwach. Abgesehen vom Einzelhandel oder der Logistik gibt es kaum Arbeit. Tarif zahlt hier kaum jemand, zudem gibt es viele Minijobs. Angesichts solcher Alternativen ist Amazon ein attraktiver Arbeitgeber, auch weil es hier Vollzeitstellen gibt. Besser als ein Job beim lokalen Lebensmitteldiscounter oder im DHL-Lager ist es für viele allemal.

Da wundert es nicht, dass Streikende schon mal von ihren eigenen Kollegen beschimpft werden. Er könne ihnen dafür »nicht mal böse sein«, sagt Krähling: »Amazon erzeugt permanent Angst, dass der Standort geschlossen werden könnte.« Dennoch ist der Gewerkschafter zuversichtlich: »Viele, die früher gegen uns waren, stehen heute neben uns.«