… ist gut und nicht schlecht. Warum das so ist und warum es mit „Privatisierung“ ganz und gar nichts zu tun hat, erklärt Claus Weselsky, der GDL-Vorsitzende, mit dem ich mich für die Wochenzeitung Der Freitag (Ausgabe 49/2021, 8. Dez.) unterhalten habe.
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„Pure Demagogie. Von den Linken!“
Im Gespräch Claus Weselsky hat eine klare Meinung zu den Plänen der Ampelkoalition für die Deutsche Bahn
Vor wenigen Monaten, im September, hat Claus Weselsky, der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), seinen jüngsten Arbeitskampf gegen das Management der Deutschen Bahn gewonnen. Nun findet er sich in einer gänzlich anderen Lage wieder: Für die Ampelkoalition ist die Deutsche Bahn ein zentraler Baustein künftiger Verkehrs- und Klimapolitik. Wie schätzt das CDU-Mitglied Weselsky die Zukunft der Bahn ein?
der Freitag: Herr Weselsky, ich wollte neulich mit dem ICE von Berlin nach Nürnberg fahren und musste nach einer Viertelstunde in Teltow aussteigen, wie 700 andere Leute. In Teltow kann man eigentlich gar nicht aus dem ICE aussteigen, man muss springen. Kann es sein, dass es immer schlimmer wird?
Claus Weselsky: Hören Sie auf. Das ist nicht nur ein Gefühl. Das System Deutsche Bahn AG kollabiert schon. Und da sind nicht die Lokführer dran schuld und die Zugbegleiter schon gar nicht. Rollendes Material und Infrastruktur sind ausgelaugt. Zu DDR-Zeiten hätten wir gesagt: Die haben nicht mal mehr’n Pferdekopf zum Raushängen.
Die neue Bundesregierung will ja einiges anders machen: Im Koalitionsvertrag steht, man will zwar die DB als integrierten Konzern erhalten, aber Netz, Energieversorgung und Bahnhöfe sollen in einer „gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte“ zusammengefasst werden, aus der kein Geld mehr an die Holding abfließensoll. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?
Ja. Man könnte eine Infrastruktur GmbH des Bundes gründen, wie wir das mit der Autobahnen GmbH haben. Dann haben Sie ganz andere Weisungsrechte als Gesellschafter. Netz, Station & Service und Energieversorgung sind drei Elemente ein und derselben Infrastruktur. Deshalb ist es überfällig, sie wieder zusammenzulegen. Es war Hartmut Mehdorn, der die „Station & Service“ rausgelöst hat. Warum? Er hat Bahnhöfe verkauft, Immobilien verschenkt,verkauft, hat das Tafelsilber verscherbelt. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum ein Bahnhof, der nur am Gleis leben kann, warum der in einer eigenen Aktiengesellschaft ist. Das ist einfach bekloppt. Aber mit diesem Vehikel sind wir seit Jahrzehnten unterwegs. Das Vehikel ist gebaut worden für den Börsengang. Der hat nie stattgefunden, und jetzt müssen wir langsam mal umbauen. Infrastrukturen gehören in die öffentliche Hand, Punkt.
Viele Linke sehen eine Trennung von Netz und Betrieb als Einstieg in eine Privatisierung. Ist die Befürchtung berechtigt?
Privatisiert sind wir doch schon lange. 1993/94 wurde die Deutsche Bahn AG gegründet. Als Aktiengesellschaft – privater geht es nicht, von der Rechtsform her. Natürlich könnte man noch einen draufsetzen und das in private Hände geben. Genau das wollte Mehdorn. Am liebsten hätte er die Bahn AG als integrierten Konzern an die Börse gebracht. Er hat damals den Slogan in die Welt gesetzt: Rad und Schiene sind untrennbar miteinander verbunden. Mehdorn wollte das Netz an die Börse bringen. Im kleinsten Kreis hat er immer gesagt: Das Netz ist die Melkkuh. Da kommen die Steuergelder rein, und da können Sie als privater Investor maximal Knete verdienen. Das war dem Bund aber nicht geheuer, deshalb wurde damals die sogenannte Mobility & Logistics AG gegründet. Da waren alle Fahrbetriebe drin, und nur die durfte an die Börse gehen. Das Netz sollte zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes bleiben. Der Börsengang ist schließlich geplatzt, aber nicht, weil irgendwelche Politiker plötzlich klug geworden sind, sondern nur, weil 2008 die globale Finanzkrise dazwischenkam.
Aber was bedeutet es denn, wenn man jetzt Infrastruktur und Bahnbetrieb voneinander trennt?
Nehmen wir mal an, der Gesellschafter Bund entscheidet, dass ein Teil seiner Gesellschaften in einer anderen Rechtsform geführt wird, nämlich in einer GmbH. Er könnte diese GmbH im DB-Konzern belassen, aber er würde die Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge wegnehmen, damit kein Geld mehr rein- oder rausfließen kann. Die Infrastrukturgesellschaft wäre dann ein in sich geschlossenes Unternehmen, das stärker vom Bund gesteuert wird. Und deswegen soll jemand Angst um seinen Arbeitsplatz als Fahrdienstleiter haben müssen? Um seinen Arbeitsplatz beim Bahnbau oder als Bahnhofsaufsicht? Das ist doch ein Witz.
Die Gegner einer solchen Trennung verweisen auf die Zerschlagung von British Rail …
England war das absolute Desaster. Aber nicht wegen der Trennung von Netz und Betrieb, sondern weil man die Infrastruktur in private Hände gegeben hat. Die haben die Infrastrukturgesellschaft ausgesaugt und zum Schluss ein marodes Netz hinterlassen, mit Sicherheitsmängeln, Zugunfällen. Und dann wurde es vom Staat für teures Geld zurückgekauft. Das ist der Traum eines jeden Investors, den Bereich zu bekommen, in den die Steuersubventionen in Milliardenhöhe fließen und wo man dann eine Umverteilung vornehmen kann. Das – nur ohne private Shareholder – ist übrigens genau das, was der DB-Konzern seit Jahren macht.
Andererseits heißt es: Die Schweizer Bundesbahn ist doch ein gutes Beispiel, dass es mit einem integrierten Konzern funktioniert. Was halten Sie von diesem Argument?
Das ist pure Demagogie und kommt ausgerechnet von den Linken. Da wird suggeriert, dass wir in der Lage wären, wie die Schweiz Entscheidungen zu fällen. In der Schweiz gab es 2002 einen Volksentscheid, da wurde festgelegt: Die Bahn ist das Verkehrsmittel der Zukunft. 2017 hatte die SBB den voll integralen Schweiz-Takt fertig. 15 Jahre lang haben die daran gearbeitet. Und wir suggerieren den Menschen, dass die Deutsche Bahn AG ein solches System schaffen könnte? Ich glaub’s ja wohl nicht. So was tut weh.
Warum? Was fehlt uns in Deutschland, damit wir Schweizer Verhältnisse erreichen könnten?
Wir haben weder einen Volksentscheid für die Eisenbahn, noch haben wir am Ende des Tages ein System, in dem eine Regierung dem Bahnvorstand sagt: Da geht’s lang. Das Schweizer Bundesamt für Verkehr sagt allen Verkehrsträgern, wo es langgeht. Es entscheidet die Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Autobahn, es entscheidet, dass die Aktiengesellschaften, die zu 100 Prozent im Besitz der Schweiz sind, das machen, was die Schweiz will. Das hat es bei uns nie gegeben. Mehdorn hat schon gemacht, was er wollte. Und danach waren die so selbstständig, dass sie heute aus dem Bahn-Tower dem Verkehrsministerium Vorgaben machen, wie der Hase zu laufen hat. Das ist die Realität.
Worum geht es dann bei dieser Debatte?
Ich kenne den Vorstand der Bahn in allen Facetten. Das sind Egomanen, denen geht es um die eigenen Einkommen und darum, dass sie weiter weltweit agieren können. Ein Global Player, weil sie nur damit ihre Millionengehälter rechtfertigen können. Stellen Sie sich mal vor: Die Infrastruktur wird GmbH des Bundes. Da wird der Geschäftsführer aber bestimmt nicht bei Eins-Komma-Millionen sein, plus variable Boni, die dann noch mal fast eine Million beinhalten. Der wird bei 350.000 Glocken festgenagelt. Da wollen die nicht hin.
Sie meinen, es geht hier im Kern darum, wie man am besten Steuergelder auf den Kopf hauen kann, ohne dafür gradestehen zu müssen und zur Verantwortung gezogen zu werden?
Für den Bahnvorstand ist die Trennung von Netz und Betrieb ein Horrorszenario. In dem Moment, in dem sie die Infrastruktur in einer Bundesinfrastrukturgesellschaft als GmbH zusammenführen, ist der Einfluss der Manager der DB Holding AG weg, weil sie dann keine Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge mehr haben. Dann wäre Schluss mit dem Geldabfluss, den diese Leute eingerichtet haben. Wir könnten Billionen Steuergelder in die Infrastruktur stecken und Europa hätte nichts dazu zu sagen. Völlig unbedenklich, europarechtlich überhaupt kein Thema. Nur weil wir es in einer Aktiengesellschaft haben und weil die Gelder immer mit der Waschtrommel gerührt werden und zum Schluss am anderen Ende der Welt rauskommen – nur deshalb ist Brüssel da hinterher und sagt: Nein, das geht so nicht. Wir würden das Problem von Subventionen komplett erledigen, weil jeder weiß, dass Infrastruktur nur von Subventionen leben kann.