International vernetzt: Junge Gewerkschafter aus vier Kontinenten diskutierten in Berlin Antworten auf Strategien der globalen Handelskonzerne
Von Jörn Boewe, junge Welt, 20. Sept. 2016
T-Shirts, die in Berlin oder New York über den Ladentisch gehen, werden in Vietnam, der Türkei oder Kolumbien genäht. Die Arbeitsbedingungen dort sind oft katastrophal. Spätestens seit dem Einsturz des Rana-Plaza-Fabrikhochhauses im April 2013 in Bangladesch, bei dem mehr als tausend Beschäftigte getötet wurden, ist das Thema in der Öffentlichkeit. Doch nicht nur Modekonzerne sind international aufgestellt – alle großen Handelsunternehmen agieren längst über alle geographischen Grenzen hinweg.
Zusammenarbeit und Austausch der Beschäftigten tun also Not, und das geht nicht ohne Organisation. UNI Global Union ist der weltweit wichtigste Dachverband der Dienstleistungswerkschaften, und ihre Handelssektion UNI Commerce veranstaltete in der vergangenen Woche ein internationales Jugendcamp in der ver.di-Jugendbildungsstätte Berlin-Konradshöhe. Wer dabei an Ferienlager denkt, liegt falsch: Eher war es ein intensives Seminar für Nachwuchsführungskräfte der Arbeiterbewegung des 21. Jahrhunderts. Eine Woche lang diskutierten die rund 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Asien, Amerika und Europa über die wichtigen Trends ihrer Branche wie Onlinehandel, Konzentrationsprozesse und Rationalisierung der Logistikketten. »Es geht um die längsten Öffnungszeiten, die niedrigsten Preise und die größten Verkaufsflächen«, brachte Uli Dalibor von ver.di die Sache auf den Punkt. »Und all das kostet Geld – Geld, das die Konzerne intern aufbringen wollen, indem sie die Löhne ihrer Beschäftigten herabdrücken.«
Aber wie kann man effektiv etwas dagegen tun? Die Teilnehmer begannen zunächst mit einer Bestandsaufnahme: Wie sehen die Arbeitsbedingungen in verschiedenen Unternehmen, Ländern und Weltregionen aus? Das ehrgeizige Ziel der jungen Gewerkschafter: Bis zum nächsten UNI-Weltkongress im kommenden Jahr soll ein gemeinsamer internationaler Forderungskatalog stehen. Dass sie ernstzunehmende globale Akteure sind, haben internationale Gewerkschaftsorganisationen wie UNI und IndustriALL in den vergangenen Jahren nicht zuletzt mit dem Bangladesch-Abkommen nach der Rana-Plaza-Katastrophe bewiesen: Nicht allen, aber einem Großteil der dort involvierten Modekonzerne konnten handfeste und überprüfbare Vereinbarungen zur Verbesserung der Arbeits- und Sicherheitsstandards in den Textilfabriken der dritten Welt abgerungen werden.
»Für mich war das eine großartige Chance zu sehen, wie andere Organisationen in vergleichbaren Situationen arbeiten«, sagte die 30jährige Norika aus Sri Lanka. In der Hauptstadt Colombo organisiert die junge Postangestellte gewerkschaftliche Bildungsveranstaltungen für Supermarktbeschäftigte – ehrenamtlich in ihrer Freizeit. »Ein Treffen mit einer so breiten Beteiligung aus so unterschiedlichen Erdteilen – das habe ich noch nicht erlebt«, so Ryan (29), der in New York als »Education organizer« in einem »Workers center« arbeitet und Einzelhandelsangestellte in Abendkursen über ihre Rechte aufklärt. Meist seien das prekär Beschäftigte, die nie Kontakt zu Gewerkschaften hatten, geschweige denn je in den Genuss von Tarifverträgen gekommen sind. »Verglichen damit geht es uns in Schweden großartig«, meinte Josefin (25), LKW-Fahrerin bei einem Lebensmittelgroßhändler aus Vasteras bei Stockholm. »Aber es hat mich daran erinnert, dass wir uns nicht zurücklehnen dürfen.«
So wurde deutlich: Auch in Zeiten von Internet und »Social media« braucht man reale und nicht nur virtuelle Diskussionen, braucht man über Chats und Mailinglisten hinaus Gesprächsrunden, bei denen man sich von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzt. Und man braucht Orte, an denen man sie führen kann. Um so bedauerlicher fanden die Teilnehmer aus aller Welt, dass ver.di beabsichtigt, die Jugendbildungsstätte Berlin-Konradshöhe zum Jahresende zu schließen. Einen politischen Beschluss dazu gibt es nicht, Medienberichten zufolge handelt es sich um eine nicht mal gewerkschaftsintern kommunizierte Entscheidung der ver.di-Immobilienverwaltung. Das Grundstück direkt am Havelufer gilt als attraktives Bauland für hochpreisige Eigentumswohnungen.