Direkter Draht zum konservativen Gouverneur

VW in den USA behindert seit langem gewerkschaftliche Interessenvertretung – nun kommt es zur Abstimmung

Von Jörn Boewe, neues deutschland, 12. Juni 2019

Im jahrelangen Konflikt um betriebliche und gewerkschaftliche Mitbestimmung im Volkswagen-Werk Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee kommt es nun zu einer Entscheidung. Ab diesen Mittwoch bis einschließlich Freitag können alle 1700 Beschäftigten darüber abstimmen, ob die Automobilarbeitergewerkschaft United Auto Workers (UAW) ihre Interessen vertreten soll, wie die oberste Arbeitsbehörde der USA, das National Labour Relations Board (NLRB), entschieden hat.

Die Auseinandersetzung läuft bereits seit 2015. Damals hatte die UAW eine Gewerkschaftswahl für die rund 160 Facharbeiter der Instandhaltung des VW-Werkes in Chattanooga gewonnen. Doch der Konzern verweigerte der Gewerkschaft danach mit enormem juristischen Aufwand die offizielle Anerkennung als Tarifpartei. Und auch die nun stattfindende Anerkennungswahl, nach US-Arbeitsrecht eine Voraussetzung für Tarifverhandlungen und betriebliche Mitbestimmung, wird überschattet von Versuchen des lokalen VW-Managements, die Belegschaft von einem Votum für die UAW abzuhalten.Mitte April führte VW in seinem Mitarbeiterblatt »Jumpstart« eine Rubrik »Auf einen Blick« ein, in der fiktive, angeblich aus der Belegschaft kommende Fragen beantwortet werden. So wird in der Ausgabe vom 1. Mai darauf hingewiesen, dass eine 50-Millionen-Dollar-Subvention des Staates Tennessee für Entwicklungen im Bereich Elektromobilität »noch unter dem Vorbehalt der endgültigen Einigung mit dem Gouverneur« stehe.

Die Ausgabe erschien einen Tag nach einem Werksbesuch von Gouverneur Bill Lee, bei dem der republikanische Politiker keinen Zweifel an seiner gewerkschaftsfeindlichen Haltung ließ. Laut einem geleakten Mitschnitt, den der Blog »Labornotes« veröffentlichte, sagte Lee in seiner Rede: »Meine Erfahrung ist: Wenn ich eine direkte Beziehung zu dir, dem Arbeiter, habe und du für mich arbeitest, dann funktioniert das Betriebsklima am besten.« Eine »direkte Beziehung« bedeutet im US-Jargon: eine, bei der keine Gewerkschaft mitreden kann. Kurz nach Lees Rede begannen untere Ränge des Managements, anonyme gewerkschaftsfeindliche Flugblätter zu verteilen. Gewerkschafter gehen davon aus, dass sich VW dabei von professionellen »Union-Bustern« unterstützen ließ.

Klar ist, dass das Unternehmen in einer Allianz mit der konservativen Staatsregierung agiert. Wie der Newsblog »The Intercept« berichtet, hat es unmittelbar nach der Beantragung der Abstimmung durch die UAW im April einen regen Mailwechsel zwischen VW und dem Büro des Gouverneurs gegeben. Demnach wandte sich David Geanacopoulos, Vizechef der Volkswagen Group of America, an Lees Stabschef Blake Harris mit der Frage, »wie wir mit der angekündigten UAW-Petition umgehen«, zitiert »The Intercept« aus dem Mailverkehr. Zwei Wochen später besuchte der Gouverneur die VW-Fabrik.

»Rechte Politiker instrumentalisieren die Staatsmacht, um breitere Unternehmensinteressen zu fördern«, resümiert Nelson Lichtenstein, Professor an der University of California in Santa Barbara. »Unternehmen, die Hand in Hand mit konservativen Politikern arbeiten, um Gewerkschaften zu besiegen, werden zur neuen Normalität im Süden.«

Das Verhalten von VW ist insbesondere deshalb brisant, weil sich das Unternehmen seit Jahrzehnten mit einem mitbestimmungs- und gewerkschaftsfreundlichen Image schmückt. Doch spätestens seit »Dieselgate« bröckelt dieses Bild. Der internationale Dachverband der Industriegewerkschaften, IndustriALL, hat im Dezember wegen der gewerkschaftsfeindlichen Haltung von VW ein globales Rahmenabkommen suspendiert. Nun erklärten IG Metall sowie der VW-Welt- und der Eurobetriebsrat noch einmal ausdrücklich ihre Solidarität mit der UAW: »Leider mussten wir im Vorfeld der Wahlen feststellen, dass es oftmals unternehmensseitig eindeutige Einflussversuche gab. Wir werden daher genau beobachten, ob sich solche Angriffe auf die demokratischen Rechte der Belegschaft wiederholen werden.«