Jörn Boewe über eine Vereinbarung zwischen ver.di und der IG Metall, neues deutschland, 15. Dez. 2016
Ein zäher Zwist zwischen den beiden größten DGB-Gewerkschaften ist beigelegt: Anfang der Woche einigten sich IG Metall und ver.di über ihren künftigen Umgang mit der boomenden Kontraktlogistik. Für alle GewerkschafterInnen, vor allem aber auch für die Beschäftigten, ist das eine gute Nachricht. Denn der in den vergangenen Jahren eskalierte Konflikt hat die Einheit der Gewerkschaftsbewegung auf eine harte Probe gestellt.Ausgelöst wurde er durch Outsourcingstrategien der Unternehmen im Bereich der Metall- und Elektroindustrie: Immer mehr Tätigkeiten lösten sie in den letzten Jahren aus dem Produktionsprozess heraus und vergaben sie über Werkerträge an sogenannte Kontraktlogistiker. Wer eine Besuchertour im BMW-Werk Leipzig bucht, kann sich von der Galerie aus ansehen, wie das abläuft: Am Band stehen die nach Metalltarif bezahlten BMW-Beschäftigten, aber die Werkzeuge und Teile, die sie verbauen, werden ihnen von KollegInnen in die Hand gereicht, die bei Drittunternehmen unter Vertrag stehen und zu deutlich geringeren Löhnen und schlechteren Bedingungen arbeiten.
Ein Teil dieser Firmen kommt ursprünglich aus dem Speditionsgewerbe. Heute beladen sie auch Kommissionierwagen, auf denen die zu verbauenden Teile in exakt der georderten Zahl und Reihenfolge sortiert sind und fahren sie bis an die Produktionslinie. Mehr noch: Industrielogistiker übernehmen heute selbst Produktionstätigkeiten, montieren Autoradios, Türverkleidungen, Dachhimmel und Kabelbäume. Für die Auftraggeber spart das Kosten. Für die Beschäftigten jedoch ist nicht nachvollziehbar, warum sie zu niedrigeren Löhnen an den Premiumautos von BMW und Porsche mitbauen. Die Antwort der IG Metall, alle Beschäftigten entlang der Wertschöpfungskette zu organisieren und nach Kräften an das Tarifniveau der Kernbelegschaften heranzuführen, war deshalb die richtige Antwort.
Allerdings hatte die Sache einen Haken: Es war immer nur für die kampfstarken, produktionsnahen Beschäftigtengruppen der Kontraktlogistiker eine Option, sich von der IG Metall vertreten zu lassen. Den weniger durchsetzungsfähigen, mit klassischen Transporttätigkeiten befassten KollegInnen in denselben Unternehmen, die bei ver.di organisiert sind, gingen so ihre stärksten Verbündeten verloren. Eine weitere Schwächung der ohnehin nicht großartigen Flächentarifverträge in der Logistik wäre die Folge gewesen.
Eine Kooperation von ver.di und IG Metall ist der einzig vernünftig Umgang mit diesem Dilemma. Besonders erfreulich: Beide Gewerkschaften haben nicht nur ihre Claims abgesteckt, sondern wollen künftig auch Tarifgemeinschaften bilden und ihre Konflikte kooperativ lösen. Würden sie in den nächsten Jahren die Durchsetzungsmacht kampfstärkerer Belegschaften für die Stärkung des gesamten Flächentarifvertragssystems nutzen, wäre das tatsächlich zukunftsweisend.