Zugunsten eigener Forderungen hoffen Branchengewerkschaften auf Hilfe von Hafenarbeitern. Doch die können nicht stellvertretend kämpfen. Gespräch mit Niek Stam, junge Welt, 6. Juli 2016
Die Finanzkrise schlug auch auf den Seehandel durch. Nach den schwachen Jahren 2008 und 2009 wächst die Branche nun wieder. Bedeutet das Entspannung für die Hafenarbeiter?
Die Unternehmer haben enorme Überkapazitäten vor allem beim Containerumschlag aufgebaut. Diese Situation wird mindestens zehn Jahre anhalten. Dazu kommt die Automatisierung. Die Leute, die in den digitalisierten Containerterminals anfangen, haben keinen Hafenarbeiterhintergrund, das sind IT-Spezialisten. Es fließt sozusagen kein Gewerkschaftsblut in ihren Adern. Zugang zu diesen neuen Beschäftigtengruppen zu finden, die ganz anders ticken, wird unsere wichtigste Herausforderung in den nächsten Jahre sein.
Versuchen Unternehmen, Tarifverträge durch Leiharbeit oder Outsorcing an Subunternehmer zu unterlaufen?
Vergabe an Subunternehmer findet etwa beim »Laschen« statt, also dem Befestigen und Lösen der Container auf den Schiffen. Aber hier haben wir es geschafft, alle Subunternehmen an unseren Tarifvertrag zu binden, so dass ein Unterlaufen der Standards nicht möglich ist. Vor etwas mehr als einem Jahr hat die Stadtregierung von Rotterdam versucht, Lizenzen an »selbständige« Lascher zu vergeben. Also haben wir uns geweigert, diese Schiffe zu be- und entladen. Wir haben gesagt, wenn ihr Krieg wollt, könnt ihr ihn haben. Daraufhin mussten sie die Lizenzen zurücknehmen.
Überkapazität bedeutet auch, dass der Konkurrenzkampf zwischen den großen europäischen Häfen wächst. Wie können Gewerkschaften dagegenhalten?
Das Wichtigste in unserem Geschäft ist, dass man sich aufeinander verlassen kann. Internationale Gewerkschaftsarbeit fängt mit der Beziehung zwischen zwei Leuten an. Solange ich mit Torben Seebold von ver.di oder Marc Loridan vom belgischen Transportarbeiterbund und dem CGT-Kollegen in Le Havre klarkomme, ist alles okay. Es beginnt mit einer guten Beziehung, dann wächst Vertrauen, dann kommen die Ideen, dann können wir etwas aufbauen, und am Ende koordinieren wir uns.
Gibt es einen Erfahrungsaustausch der Beschäftigten der verschiedenen Häfen untereinander?
Wir haben tarifvertraglich geregelt, dass jedes Hafenunternehmen für jeden Beschäftigten, egal ob Gewerkschaftsmitglied oder nicht, 25 Euro im Jahr auf ein Treuhandkonto einzahlt. Unsere Mitglieder können dieses Geld nutzen, um Kongresse in aller Welt zu besuchen. So nehmen alle vier Jahre Kollegen von uns an der Konferenz der Maritime Union of Australia teil, wo sich viele internationale Gewerkschaften unserer Branche treffen. Wenn du Leute aus anderen Häfen getroffen hast und mit ihnen einen guten Austausch hattest, wirst du viel sensibler auf ihre Anliegen reagieren und eher bereit sein, sie zu unterstützen. Das ist was anderes, als irgendwas bei Facebook zu posten oder eine E-Mail zu schreiben.
Die Internationale Transportarbeiterföderation, der Sie auch angehören, will die Streikfähigkeit an logistischen Drehkreuzen stärken, um sie als »Hebel« für die Durchsetzung gewerkschaftlicher Forderungen auch in weniger gut organisierten Bereichen nutzen zu können. Was halten Sie davon?
Wir werden häufig gebeten, dies oder das zu boykottieren. Da gibt es immer gute Gründe, aber wenn wir all diesen Wünschen nachkommen, würden wir keinen einzigen Tag im Jahr mehr arbeiten. Aus unserer Sicht ist die Voraussetzung für Solidarität, dass andere sich zunächst selbst organisieren. Wenn sie dann für ihre Rechte aufstehen und zurückschlagen, werden wir nicht beiseite stehen. Wir helfen ihnen, wenn sie Hilfe brauchen. Aber wir können keine Stellvertreterkämpfe führen.
Wie wichtig sind in Ihrer Arbeit Recherche und Analyse?
Wir haben 2007 eine ernsthafte Untersuchung unserer Branche in Angriff genommen. Strategische Recherche ist das A und O für eine Gewerkschaft. Du musst einen Plan haben, was vor sich geht – nicht nur in einem Betrieb, in einem Unternehmen, sondern in deiner Branche. Dazu kommt das ganze Umfeld, die Volkswirtschaft, der Weltmarkt. Ich halte meine Augen und Ohren offen, nicht nur, weil mich die Entwicklung interessiert, sondern weil meine Mitglieder das von mir verlangen: Niek, du reist hierhin, dorthin – was passiert da gerade, wie denkst du darüber? Was sollen wir tun? Ohne diesen Austausch wären wir keine Bewegung.
Interview: Jörn Boewe