Ver.di schließt die gewerkschaftliche Bildungseinrichtung Berlin-Konradshöhe
Von Jörn Boewe, neues deutschland, 10. März 2017
Auf den ersten Blick sieht das Transparent vor dem Grundstück aus wie die Werbeplane eines Bauträgers. Aber noch werden hier, in der Stößerstr. 18 in Berlin-Konradshöhe, keine Luxuswohnungen errichtet. »Hier verbauen wir uns unsere Zukunft« steht auf einem großen Transparent, und statt Bauherren sind »Ab-Bauherren« darauf verzeichnet: Frank Bsirske, Frank Werneke, Christoph Meister – alle drei Mitglieder im ver.di-Bundesvorstand – als Generalunternehmer firmiert die Immobilien- und Vermögensverwaltung von ver.di (IVG/VVG).
Uli Dalibor, langjähriger Fachgruppenleiter Einzelhandel in der ver.di Bundesverwaltung und Vorsitzender des Fördervereins der Bildungsstätte ist fassungslos. »Dumm und ignorant« nennt er die Entscheidung. »Tausende Jugendliche aus dem Berliner Norden werden künftig keine Chance mehr haben, unsere Bildungsangebote wahrzunehmen. In Zeiten, wo Rassismus und Rechtspopulismus grassieren, ist das ein Desaster.« An die 1700 Jugendliche haben hier jedes Jahr Seminare belegt wie: »Rechte und Pflichten in der Ausbildung«, »Beziehungskisten und Gender«, »Entspannt durch die Prüfung« oder »Die Macht der Medien«. Hier trafen sich regelmäßig Schülervertreter aus der Plattenbausiedlung Märkisches Viertel, fanden Integrationskurse für jugendliche Geflüchtete statt. Noch im September trafen sich hier junge Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus Asien, Amerika und Europa, um ihre Forderungen für den diesjährigen Weltkongress der UNI Commerce Global Union vorzubereiten.
Für 65 000 DM hatte die Deutsche Angestelltengewerkschaft DAG das Grundstück am 26. Juni 1957 gekauft. Willy Brand, seinerzeit Regierender Bürgermeister von Westberlin, legte 1961 den Grundstein. Heute kann die ver.di-Vermögensverwaltung bei einem Verkauf ein Vielfaches dieses Preises erzielen. Von bis zu elf Millionen Euro ist die Rede – eine Zahl, die die Pressestelle des Bundesvorstands auf Nachfrage nicht kommentieren will und die trotz expandierender Immobilienblase deutlich übertrieben sein dürfte.
Offiziell ist der erwartete Erlös aus dem Grundstücksgeschäft natürlich nicht der Grund für die Schließung. Vielmehr weise das Gebäude »bauliche Mängel« auf, deren Beseitigung »mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden« wäre, so eine ver.di-Sprecherin. Konkrete Zahlen will sie nicht nennen. Die stehen allerdings in einem Gutachten, das die ver.di-Immobilienverwaltung 2011 in Auftrag gab: »Das Gebäude befindet sich in einem ausreichenden gebrauchsfähigen Gesamtzustand«, heißt es in der dem »nd« vorliegenden Expertise. Kurzfristig seien Reparaturen im Wert von 165 000 Euro nötig, mittelfristige Instandsetzungskosten beziffern die Ingenieure auf 720 000 Euro. Und tatsächlich wurden nach dem Gutachten die Arbeiten in Angriff genommen. 400 000 Euro hat ver.di bereits in die Sanierung investiert – fast die Hälfte des prognostizierten Bedarfs.
Die laufenden Kosten für den Betrieb der Bildungsstätte erwirtschaftet die Bildungsstätte selbst, betont Vereinsvorsitzender Dalibor. Ver.di trägt die Mietkosten von 100 000 Euro im Jahr, was praktisch heißt: die ver.di-Jugendbildungsstätte konnte Haus und Gelände mietfrei nutzen. Durch ihr vielfältiges Bildungsangebot akquirierte sie zusätzliche öffentliche Förderung durch das Land in Höhe von 180 000 Euro jährlich – Geld, das der ver.di-Jugendbildungsarbeit nun mit der Schließung verlorengeht.
Ungewiss ist auch die Zukunft für die zwölf Beschäftigten des Hauses. Ihre Arbeitsverhältnisse wurden zum 31. März gekündigt. Arbeitsrechtlichen Beistand – wie es für Gewerkschaftsmitglieder Standard ist – habe ihnen ver.di versagt, berichtet ein Mitarbeiter. Der Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft schiebt dem »freien Träger« die Verantwortung zu: »Bei dem Haus in Konradshöhe handelt es sich nicht um eine Bildungsstätte von ver.di, sondern um eine im Besitz der IVG/VVG befindliche Immobilie, die vermietet wurde«, heißt es dort. »Es handelt sich um Angestellte des Vereins, nicht von ver.di.«
Das Vorgehen erinnert fatal an die Schließung der ver.di-Bildungsstätte im westfälischen Lage-Hörste vor zwei Jahren. Auch dort war mit einem angeblich enormen Investitionsbedarf argumentiert worden – auf dem Gewerkschaftstag wurde das Haus als »Bruchbude« bezeichnet. Drei bis vier Millionen müssten aufgebracht werden, um die behördlichen Brandschutzauflagen zu erfüllen – dies sei für die Gewerkschaft nicht zu stemmen. Das Haus wurde geschlossen und sollte zeitweilig als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden. Presseberichten zufolge stellte sich plötzlich heraus, dass die Brandschutzmaßnahmen bis auf kleine Nachbesserungen doch ausreichend waren.
Der Deal kam dann aus anderen Gründen nicht zustande. Auf der leerstehenden Immobilie sitzt ver.di bis heute. Zu den damit verbundenen Kosten schweigt die Bundesverwaltung: »Wir geben grundsätzlich keine Auskünfte über Vermögenswerte und die Verwendung von Liegenschaften«, heißt es dort nur lapidar.