Entgelterhebung in der Windkraft- und Solarindustrie zeigt: Nur ein Fünftel der Beschäftigten kann von seiner Arbeit gut leben.
Von Jörn Boewe, junge Welt, 1. Juli 2013
Martina Gerhardt (Name geändert) ist Produktionsarbeiterin in einem brandenburgischen Solarbetrieb. Mit ihrem Vollzeitjob kommt sie auf 1500 Euro brutto – netto bleiben ihr knapp 1100 Euro übrig. Davon gehen drei Viertel für die laufenden Kosten drauf. Ihre Miete liegt bei 600 Euro. »Es kommt schon mal vor, daß ich am Ende des Monats dastehe und kein Geld mehr habe«, sagt sie. »Vor allem, wenn zusätzliche Ausgaben anstehen, etwa 60 Euro für eine Hose oder einen Pullover. Die muß ich mir dann leihen.«
Praktisch die komplette Wohnungseinrichtung hat sie auf Raten gekauft. Auch ihr Auto, mit dem sie jeden Tag 30 Kilometer zur Arbeit fährt, muß noch abgezahlt werden. Getankt wird in Polen, weil dort der Sprit immer noch 40 bis 50 Cent billiger ist. »Ich habe genauso zu kämpfen wie ein Hartz-IV-Empfänger«, sagt sie. Eingekauft wird grundsätzlich nur bei Harddiscountern, selbst bei Grundnahrungsmitteln wird gespart.
Viele ihrer Kollegen haben Zweitjobs, räumen Regale in Supermärkten ein, gehen putzen oder fahren Pizza aus. Viele, die Kinder haben, »stocken auf«, beziehen ergänzendes Arbeitslosengeld II.
Martina trägt mit ihrer Arbeit zum Gelingen der Energiewende bei. Doch zu Hause kommt ihr Strom aus Atom- und Kohlekraftwerken. »Ich würde gern Ökostrom beziehen«, sagt sie, »aber das können wir uns einfach nicht leisten.«
Obwohl die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Ressourcen längst von allen wichtigen politischen Kräften als zentrale gesellschaftliche Aufgabe angesehen wird, arbeitet ein großer Teil der dort Beschäftigten an der Niedriglohnschwelle oder darunter. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der IG Metall, die am vergangenen Donnerstag in Frankfurt am Main auf der Konferenz »Nachhaltig erneuerbar?« vorgestellt wurde. Das mittlere Monatsbrutto der Beschäftigten in der Windkraft- und Solarindustrie liegt danach bei 2650 Euro, in der Solarindustrie nur bei 2400 Euro – inklusive aller Zulagen. Rund ein Drittel erzielt deutlich weniger. Insbesondere die Löhne der Produktionsarbeiter fallen stark ab. Deren mittleres Monatseinkommen in der Solarindustrie liegt bei 2050 Euro. Ein Viertel verdient weniger als 1810 Euro für eine Vollzeittätigkeit. Leiharbeiter erhalten im Schnitt Bruttoentgelte zwischen 1700 und 2100 Euro, das Mittel (Median) liegt bei 1900 Euro. In der Regel handelt es sich dabei um Vollzeittätigkeiten.
Diese Einkommen erreichen die meisten Beschäftigten nur, indem sie regelmäßig Überstunden, Schicht- und Wochenendarbeit leisten. Insgesamt ist nur ein Fünftel in beiden Branchen der Ansicht, von ihrem Einkommen gut leben zu können. In der Solarindustrie meint fast die Hälfte (44,7 Prozent), damit nur »schlecht« oder »mit vielen Abstrichen« auskommen zu können.
Extreme Spaltung
Nun hört sich ein Mittelwert von 2650 Euro nicht so schlecht an. Doch die Studie weist auf eine ausgeprägte soziale Spaltung innerhalb der Unternehmen hin. Zwischen den Einkommen in den Bereichen Verwaltung, Vertrieb/Außendienst und Forschung/Entwicklung einerseits und den Löhnen der Produktionsarbeiter klafft eine große Lücke. Selbst die untersten Gehälter der befragten Büroangestellten liegen noch über den Spitzenlöhnen der gewerblich Beschäftigten. Während rund 60 Prozent der Produktionsarbeiter von ihrem Einkommen nur schlecht« oder »mit vielen Abstrichen« leben können, empfindet die große Mehrheit der Beschäftigten in Vertrieb, Verwaltung und Forschung/Entwicklung ihre Einkommenssituation als »gut« bzw. muß »leichte Abstriche« machen.
Insgesamt ist die Situation der Beschäftigten in der Windkraftindustrie besser als in der Solarbranche. Dies dürfte auch daran liegen, daß es bei den Windkraftanlagenherstellern mehr und stärkere gewerkschaftliche Strukturen und eine insgesamt höhere Tarifbindung gibt, vor allem im Bereich der Zulieferer aus dem Maschinenbau. Dennoch liegen auch in der Windkraftbranche die Einkommen immer noch um die 20 bis 30 Prozent unter dem Niveau des Flächentarifvertrages der Metall- und Elektroindustrie – vor allem weil dort länger gearbeitet wird. Sachlich gerechtfertigt ist dies nicht. Die Tätigkeiten beim Bau von Windkraftanlagen unterscheiden sich nicht wesentlich vom klassischen Maschinen- und Anlagenbau. In der Solarindustrie sind die Differenzen in aller Regel noch höher.
Auf der Konferenz, an der gut hundert Vertreter aus beiden Branchen teilnahmen, wurde mehrmals die Forderung erhoben, öffentliche Kredite und Hilfen für Unternehmen etwa an die Zahlung existenzsichernder Löhne oder die Begrenzung von Leiharbeit zu binden. Daß dies ohne klare politische Vorgaben nicht geschehen wird, machte KfW-Direktorin Katrin Leonhardt in der Debatte deutlich: Die staatliche Förderbank würde sich bei ihren Investitionsentscheidungen »natürlich nicht anschauen, ob die Sozialstandards eingehalten werden. Das setzen wir voraus.«
Eigeninitiative gefordert
So wurde schnell klar: Eine Verbesserung der Situation erfordert vor allem die Initiative der Beschäftigten selbst. »Die Erfahrung der letzten zweihundert Jahre zeigt, daß ohne starke Gewerkschaften kein gutes Leben möglich ist«, unterstrich Sören Niemann-Findeisen vom IG-Metall-Vorstand, der das Impulsreferat anstelle des verhinderten Zweiten Vorsitzenden Detlef Wetzel hielt. Die Diskussion zeigte aber auch, daß ein Moment, in dem »die Energiewende ins Stocken geraten« ist und »rund 200000 Arbeitsplätze akut bedroht« sind, keine günstige Ausgangslage für eine tarifpolitische Offensive ist.