Spielen auf Zeit

Warum ziehen sich der Tarifstreit zwischen Lokführern und Bahn so lange hin? Manch DB-Manager hofft wohl, dass die GDL verschwindet – durch das Gesetz zur Tarifeinheit

Von Jörn Boewe, Der Freitag, 19. Feb. 2015

Der Aufschrei ist vorhersehbar. Wenn die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) in den nächsten Tagen erneut den Großteil des Zugverkehrs lahmlegt, werden sich die Medien wieder empören. „Dumm“, „verantwortungslos“, „irre“, „bahnsinnig“ – das waren die Vorwürfe beim letzten Streik im vergangenen November.

1-IMGP3678Aber warum zieht sich der Tarifkonflikt eigentlich so lange hin? Immerhin verhandelt die Bahn mit der GDL und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) schon seit Juli vergangenen Jahres. Weiterlesen

Rasant: Von 180 auf 225

Harter Arbeitskampf beim Textildiscounter um die Tarifverträge des Einzelhandels

Von Johannes Schulten und Jörn Boewe, ver.di publik 08/2014

Ob es schon Ermüdungserscheinungen gibt? Michael Ullrich muss fast lachen. „Im Gegenteil“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der KiK-Logistik GmbH. Die Kolleg/innen, die sich am Streik beim Zentrallager des Textildiscounters in Bönen bei Dortmund beteiligen, werden sogar mehr. „Wir haben mit 180 angefangen, jetzt sind wir 225. Und die Stimmung ist bärenstark.“ Ullrich muss es wissen. Als Mitglied der ver.di-Tarifkommission berät er mit seinen sechs Kolleg/innen von Tag zu Tag, ob der Arbeitskampf fortgeführt wird. Dann wird das Ergebnis mit den Streikenden im Streiklokal im Kurpark abgestimmt – „bisher immer unter Jubel“, sagt er. Um der Geschäftsleitung Zeit zum Nachdenken zu geben, wurde der Streik aber jetzt vorerst ausgesetzt. Weiterlesen

„Tarifeinheit“ per Gesetz?

Es wird wieder gestreikt in Deutschland. Die Lokführergewerkschaft GDL hat weitere Arbeitsniederlegungen angekündigt, und auch die Piloten sind in Kampflaune und bleiben immer mal wieder auf dem Boden. Das missfällt nicht nur Deutscher Bahn und Lufthansa, sondern auch der gewerkschaftlichen Konkurrenz von EVG und Verdi. Im Hintergrund feilt das Bundesarbeitsministerium an einem Gesetzentwurf, der die Rechte kleiner Gewerkschaften beschneiden soll.

weiterlesen im aktuellen Freitag

Gefährlicher Unfug

Noch im Herbst will die Bundesarbeitsministerin einen Gesetzentwurf zur Regelung der Tarifeinheit vorlegen. DGB und BDA hatten die Novelle vor vier Jahren gemeinsam angestoßen. Warum das Vorhaben zum Scheitern verurteilt, aber trotzdem gefährlich ist, darüber schreiben Jörn Boewe und Johannes Schulten im aktuellen Freitag. Jetzt am Kiosk.

„Geld ist nicht alles“

… ist der Titel eines Artikels im heute erschienenen Freitag, in dem wir erklären, warum der Arbeitskampf von ver.di an der Berliner Charité eine „Tarifbewegung neuen Typs“ ist: Zum ersten Mal ist eine  Gewerkschaft bereit, für eine ausreichende Personalbesetzung in einem Krankenhaus in den Streik zu treten.

Außerdem im neuen Hintergrund Nachrichtenmagazin ein Text über „Die Ohnmacht der Konsumenten“, Sinn und Unsinn von Öko- und Fair-Textillabels, ein Jahr nach dem Einsturz des Rana Plaza Hochhauses in Bangladesh (ab 8.4. im Handel).

»Veritables Streikverbot«

Unter der Flagge der »Tarifeinheit« will große Koalition Grundrechte von Minderheitsgewerkschaften einschränken. Arbeitsrechtler kritisieren den Plan als verfassungswidrig

Von Jörn Boewe, junge Welt, 21. Jan. 2014

Lokführerstreiks bei der Deutschen Bahn (DB) scheinen zunächst vom Tisch. Vergangenen Donnerstag erklärte die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), daß sie ein am Mittwoch vorgelegtes Angebot der DB prüfen und bis Ende Januar auf Arbeitsniederlegungen verzichten will. GDL und Bahn verhandeln seit zwei Jahren über die Forderung nach einer finanziellen Absicherung für Lokführer, die bei Ausübung ihres Berufes ihre Lizenz verlieren.

Die Berichterstattung der letzten Wochen gab einen Vorgeschmack auf die Medienkampagne, die kommen wird, wenn die GDL-Mitglieder doch noch in den Ausstand treten sollten. »Mit skurrilen Forderungen zieht eine Gewerkschaft in den Streik«, schrieb die FAZ (12. Januar), die Lokführer würden eine »Rundumabsicherung gegen jede Unbill des Lebens« fordern, hieß es bei Spiegel online (16. Januar). Tatsächlich fordert die kleine Fahrdienstgewerkschaft »eine Absicherung bei unverschuldetem Verlust der Fahrdiensttauglichkeit beziehungsweise Lizenzverlust, beispielsweise nach Suiziden«.

Die sogenannten Spartengewerkschaften vertreten Beschäftigte, die an neuralgischen Punkten der Volkswirtschaft sitzen und deshalb schlagkräftige Arbeitskämpfe führen können. Dabei geht es vor allem um die 8800 in der Vereinigung Cockpit organisierten Verkehrspiloten, 114000 im Marburger Bund zusammengeschlossenen Klinikärzte, 10000 Stewards in der Unabhängigen Flugbegleiterorganisation UFO, 34000 organisierten Lokführer und die 3800 Mitglieder der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF).

Es ist nicht verwunderlich, daß einschlägige Unternehmen und ihre Verbände den Spartengewerkschaften Schwierigkeiten machen wollen. 2009 forderten Lufthansa und Deutsche Bahn erstmals öffentlich Gesetze, die die Anzahl von Streiks künftig verringern sollten. Unterstützung fanden sie bei der Deutschen Flugsicherung und verschiedenen Flughafenbetreibern. 2010 gesellte sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) dazu. Der DGB und die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) präsentierten gemeinsam einen Vorschlag, wie die sogenannte Tarifeinheit gesetzlich zu regeln sei. Anders als suggeriert, geht es dabei aber gerade nicht um das Prinzip »ein Betrieb – ein Tarifvertrag«, also die Durchsetzung einheitlicher Standards. Unterschiedliche Niveaus bei Lohn und Arbeitszeiten wie sie in zahlreichen Unternehmen üblich sind, soll es auch weiterhin geben, sofern der Tarifvertrag von der mitgliederstärksten Gewerkschaft im Unternehmen abgeschlossen wird. Insbesondere bei ver.di kam es daraufhin zu heftigen Diskussionen. Im Mai 2011 entzog der ver.di-Gewerkschaftsrat der BDA-DGB-Initiative die Unterstützung.

Jetzt will die Bundesregierung aus Union und SPD das heiße Eisen offenbar anpacken. »Um den Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken, wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich festschreiben«, heißt es im Koalitionsvertrag. »Durch flankierende Verfahrensregelungen wird verfassungsrechtlich gebotenen Belangen Rechnung getragen.«

Renommierte Arbeitsrechtler wie Wolfgang Däubler oder der frühere Vorsitzende der IG Medien, Detlef Hensche, halten die anvisierte Regelung schlicht für verfassungswidrig. »Im Kern«, schreibt Hensche in der Januarausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik, gehe es nicht um Tarifeinheit, sondern um ein »veritables Streikverbot«.

Alle derzeit diskutierten Vorschläge liefen auf eine »geplante Streikbeschränkung« hinaus, unterstreicht Hensche. So soll sich künftig grundsätzlich der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft auf die Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft erstrecken – und diese an die Friedenspflicht binden. Weil es dem bürgerlichen Recht widerspricht, an Verträge gebunden zu werden, die man nicht unterzeichnet hat, soll den Minderheitsgewerkschaften das Recht auf Teilnahme an den Tarifverhandlungen der Mehrheitsorganisationen eingeräumt werden. Ob eine solche Regelung verfassungskonform wäre, wird – so sie zustande kommt – wohl in Karlsruhe entschieden werden.

Politisch verblüfft vor allem die »Kurzsichtigkeit, die die DGB-Gewerkschaften zu einer Beteiligung bewogen hat«, wie Hensche betont. »Selbst wenn sie hoffen, eine Handvoll konkurrierender Berufsverbände mit staatlicher Hilfe aus dem Tarifgeschäft verdrängen zu können, ist keineswegs sicher, ob der Schuß nicht nach hinten losgeht.«