Deutschland streikt!

… ist der Titel meines Leitartikels in der neuen Ausgabe der Wochenzeitung Der Freitag, 12/2023. „Gefühlt wird in Deutschland derzeit so viel gestreikt wie lange nicht“, heißt es darin. „Die  aktuellen Arbeitsniederlegungen werden in der Öffentlichkeit viel stärker wahrgenommen als etwa die Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie im Herbst.“ Das ist aber nicht so, „weil mehr gestreikt wird, sondern weil sie das Alltagsleben vieler Menschen direkt  tangieren. Wenn ein paar Tage keine Pakete kommen, der Müll liegen bleibt oder Busse  und Bahnen nicht fahren, merkt man das sofort. Für die Gewerkschaften hat das Vor- und  Nachteile: Sie haben die große Bühne für ihr Thema, müssen sie aber auch bespielen können. Die Sympathie für Streiks, von denen man selbst betroffen ist, besonders im Verkehrssektor, ist fragil, der Kampf um die öffentliche Meinung kein Selbstläufer.“ Denn: „Die Hegemonie haben andere.“ Im aktuellen Freitag, ab Donnerstag am Kiosk.                                                                     >>> zum Artikel >>>

Organisieren am Konflikt

„Mitglieder wollen sich beteiligen und mitbestimmen, wenn es um ihre persönlichen und  unsere gemeinsamen Interessen geht.“ Der Satz ist von Andrea Kocsis, ver.di-Vizevorsitzende und die Frau hinter dem aktuellen Streik bei der Post. Er steht in dem VSA-Buch „Organsieren am Konflikt“  von 2013, dem Organizing-Klassiker von ver.di. 2013 erschien, ebenfalls bei VSA, auch „unser“ vom damaligen IG-Metall-Vize herausgegebenes Buch „ORGANIZING. Die Veränderung der gewerkschaftlichen Praxis

durch das Prinzip Beteiligung“ (das IG Metall-Pendant sozusagen). Der Titel „Organisieren am Konflikt“ stammt eigentlich von Heiner Dribbusch und steht über seinem Beitrag im ver.di-Buch. Und weil er so schön ist, hat ihn jemand nun ein drittes Mal „ausgeliehen“ und über mein Kocsis-Porträt gesetzt, das ich Ende Februar für die Wochenzeitung Der Freitag geschrieben habe. Leider ist mir ein Zahlendreher unterlaufen: Andrea Kocsis ist 1965 geboren, nicht ’56, wie in der Druckfassung steht.

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Empowerment der kleinen Leute

„Zitzelsberger macht es vor“ hat die Freitag-Redaktion über meinen Kommentar zur Metall-/Elektro-Tarifrunde geschrieben. Für meinen Geschmack klingt das ein bisschen zu sehr nach Personenkult, aber es ist natürlich nicht falsch. Tatsächlich ist der vor einer Woche erzielte Pilotabschluss vor allem ein Ergebnis des guten Zusammenspiels von vielen Hunderttausenden in den Betrieben und einer strategisch klugen Führung.

Auch wenn das Ergebnis unterm Strich einen bitteren Reallohnverlust bedeutet, wird es in den Betrieben dennoch als Erfolg gewertet. Warum? Weil es dort ein feines Gespür für die politisch-ökonomische Lage gibt. Wünschen kann man sich viel, man muss es aber auch durchsetzen können. An der Basis der IG Metall überwiegt wohl die Überzeugung, dass dieses Ergebnis nicht das schlechteste ist, was hätte herauskommen können.

Mehr noch: Es kam überhaupt nur deshalb zustande, weil es bundesweit eine Mobilisierung durch betriebliche Aktive gab, wie man sie von früheren Tarifrunden in dieser Form nicht kannte. Erstmals wurde eine M/E-Tarifbewegung bundesweit als Organizing-Kampagne aufgezogen. Auch wenn der Abschluss oberflächlich betrachtet ohne großen Konflikt erreicht wurde, deutet sich hier eine Kulturrevolution in der IG Metall an. Die dürfte für manche noch schmerzhaft werden, geht sie doch mit Kontrollverlust für Betriebsräte und Apparat – die traditionellen Machtzentren der Organisation – einher.

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Sauber: 12,5 Prozent mehr Lohn!

Wie schafft es eine Gewerkschaft ausgerechnet in so einer harten Branche wie der Gebäudereinigung, eine zweistellige Lohnerhöhung durchzudrücken? Darum geht’s in meiner Reportage „Sauber …“ im aktuellen Freitag (ab 20. Oktober am Kiosk).

Als Bonustrack gibt’s noch eine steile These: Tarifpolitik stößt zunehmend an Grenzen, weil Inflation Kaufkraft frisst, aber auch, weil sie keine Antworten hat auf die „unzähligen Ungerechtigkeiten und Demütigungen, die der Struktur des neoliberalen Dienstleistungskapitalismus selbst eingeschrieben sind (…) Subunternehmerketten, Fremdvergaben, aufgeblähte Controlling-Bürokratien voller Bullshit-Jobs auf der einen Seite und Personalmangel auf Seiten all jener, die die Arbeit erledigen müssen – die Liste ließe sich seitenlang fortschreiben. Auf den Wahnsinn der spätkapitalistischen Arbeitswelt strategische Antworten zu finden: Das ist die gewerkschaftliche Mammutaufgabe der nächsten Jahre.“

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Kampf gegen Ausbeutung: Arbeitsmigranten hoffen auf Fußball-WM in Katar

Gewerkschaften verboten: Tausende Arbeitsmigranten sind beim Bau der WM-Stadien in Katar gestorben. Trotz drakonischen Regeln und dem Verbot von Gewerkschaften, schaffen sie es, sich zu organisieren und für ihre Rechte zu kämpfen. Jörn Boewe, der Freitag digital, 27. Sept. 2022

Migrant workers from Asia in the West Bay area of Doha. Foto: Alex Sergeev (www.asergeev.com)

Ausgerechnet am 20. November, dem Totensonntag, findet das Eröffnungsspiel der Fußball-WM 2022 in Katar statt. Sicher ein makabrer Zufall, aber irgendwie passend. Denn Tausende migrantischer Bauarbeiter, überwiegend aus Südasien und Ostafrika, haben beim Bau der Stadien und Hotels ihr Leben gelassen. Amnesty International spricht von rund 15.000 Todesfällen im Zusammenhang mit den Bauarbeiten, der Guardian hat 6500 Fälle recherchiert, doch die genaue Zahl kennt niemand – denn die Behörden des Emirats, eine der letzten absolutistischen Monarchien der Welt, verweigern detaillierte Untersuchungen.

Fakt ist: Der Ölstaat Katar ist eines der reichsten Länder der Welt, das Pro-Kopf-Einkommen liegt im Schnitt bei 6.200 Euro. Nicht in diese Berechnung gehen die praktisch rechtlosen Arbeitsmigranten ein, die nahezu 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Hunderttausenden von Bauarbeitern, die aus Nepal, Indien, Bangladesch und Kenia angeworben wurden, um das Land für die FIFA-WM startklar zu machen, erhalten einen Monatslohn um die 230 Euro – bei Zwölfstundenschichten unter einer gleißenden Sonne und Temperaturen, die nicht selten auf 50 Grad und mehr ansteigen. Weiterlesen

Herrschaft als kriminelle Vereinigung

Das „Racket“ – der Baseballschläger – war eine beliebte stumpfe Schlagwaffe nicht nur deutscher Neonazis, sondern auch der italoamerikanischen Cosa Nostra. Brian De Palma hat die Sache 1987 filmisch umgesetzt in „The Untouchables“ („Die Unbestechlichen“ – es gibt eine Szene, in der Robert De Niro als Al Capone einen Geschäftspartner mit so einem Ding erschlägt.

Das „Racket“ wurde aber bald auch zum Synonym für die organisierte Kriminalität schlechthin. Die aus Nazi-Deutschland emigrierten Soziologen Max Horkheimer und Theodor Adorno benutzten den Begriff, um Cliquenbildungen innerhalb herrschender Klassen zu beschreiben.

Taugt der Racket-Begriff heute noch für die Analyse? Ja, vielleicht mehr denn je, meint Kai Lindemann, der ein Buch darüber geschrieben hat. Was ja schon allein deshalb bemerkenswert ist, weil in Deutschland seit ein paar Jahren wieder viel über „Klasse“ gesprochen wird, aber so gut wie nie über die herrschende Klasse. Ich habe mit dem Autor für die Wochenzeitung Der Freitag (27. Juli, Ausgabe 30/202) gesprochen.

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„Der Tunnelblick der Experten“

Der Historiker und Arzt Karl Heinz Roth hat ein brillantes Buch über die Coronapandemie seit 2019 geschrieben. Der 500 Seiten starke Band „Blinde Passagiere. Die Coronakrise und die Folgen“ ist im Grunde eine Medizin- und Sozialgeschichte. Für die Wochenzeitung Der Freitag habe ich mit dem Autor über einige seiner zentralen Ideen und Fragestellungen gesprochen. Es geht um die Besonderheiten der SARS-CoV-2-Pandemie aus medizinischer Sicht, um ihre Rolle als Beschleuniger der digitalen Revolution, um Verschiebungen im politischen Diskurs und die Krise der Linken.

„Pandemien sind natürliche Prozesse, deren Verlauf  durch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umstände beeinflusst wird“, sagt Roth. „Der Tunnelblick der Experten thematisiert in der aktuellen Coronapandemie jedoch nur bestimmte Einzelaspekte. Meistens tut er das auch mehr oder weniger richtig.  Nur verallgemeinert er diese Einzelaspekte unter Ausschluss der anderen. Im Grunde ist das klassisches Fachidiotentum.“ Sein Fazit: „Wir befinden uns (…) in einer Situation, in der sich
die Wissenschaft im Blindflug befindet – die Politik aber auch.“

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Bahnbetrieb und Infrastruktur zu trennen …

… ist gut und nicht schlecht. Warum das so ist und warum es mit „Privatisierung“ ganz und gar nichts zu tun hat, erklärt Claus Weselsky, der GDL-Vorsitzende, mit dem ich mich für die Wochenzeitung Der Freitag (Ausgabe 49/2021, 8. Dez.) unterhalten habe.
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Zeit zum Umlenken

Tarifflucht und Dumpinglöhne: Droht auch bei uns ein Lkw-Fahrermangel wie in England?

Von Jörn Boewe der Freitag, 43/2021, 22. Okt. 2021

Auf Brummionline.com gibt es Diskussionen und jede Menge praktische Tipps. Hinweise zum „Parken in Industriegebieten“ liest man da, und über Supermärkte, auf deren Parkplätze auch ein Sattelschlepper passt. Man tauscht sich aus über elektrische Lkw-Modelle von Daimler und Volvo und die Vorzüge von Abbiegeassistenten. Doch dazwischen herrscht Aufregung: „Lkw-Fahrer am Limit“, heißt es da, und „Transportbranche schlägt Alarm: Kollaps der Lieferketten droht.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Bilder aus Großbritannien sind da nur wenige Wochen alt. Leere Supermarktregale, lange Schlangen vor Tankstellen, Einsätze der Armee, um die Grundversorgung zu garantieren: All das nur, weil es zu wenig Lkw-Fahrer gibt. Der Brexit und die darauf folgenden politischen Entscheidungen mögen das Problem dort verschärft haben, doch vor allem lag die Zuspitzung daran, dass den britischen Truckern der Nachwuchs fehlt: Zigtausende Brummifahrer gehen in Rente oder hängen ihren Lkw-Führerschein an den Nagel, weil sie einen anderen Job annehmen, nicht genug junge rücken nach. Das könnte auch hierzulande passieren. Weiterlesen

Die letzte Meile

Ausgelagert: Amazon reorganisiert seine Logistik. Arbeitsrecht und Würde spielen dabei keine Rolle.

Von Jörn Boewe, Der Freitag 39/2021, 30. Sept. 2021

„Maschine, ich bin eine Maschine“, sagt der Fahrer des weißen Lieferwagens. „Zwölf Stunden, jeden Tag, seit vier Jahren. Aber wenn ich nicht arbeite, kriege ich kein Geld.“ Der Mann stellt Pakete für Amazon zu, die globale Nummer eins des Onlinehandels. Jeden Morgen wartet er mit seinem Lieferwagen in der Schlange vor dem Verteilzentrum Frankfurt am Main.An diesem Spätsommermorgen, Anfang September 2021, ist aber etwas anders: Eine kleine Gruppe von Gewerkschaftern und Gewerkschafterinnen verteilt Flyer in verschiedenen Sprachen an die Fahrer. Schnell kommt man ins Gespräch. Die Geschichten ähneln sich: Fahrer berichten von Zehn- oder Zwölf-Stunden-Schichten, von Arbeitsdruck, von Tagestouren mit 250 Zustellungen. Am Monatsende, oft auch verspätet, erhalten sie 1.000 bis 1.200 Euro. Manchmal gibt es Abzüge, etwa für einen abgefahrenen Spiegel oder Kratzer am Fahrzeug. Weiterlesen