»Port Package III«: Brüssel will Ausschreibung von Hafendiensten per Verordnung durchsetzen. Transportarbeitergewerkschaft verurteilt Angriff auf Streikrecht
Von Jörn Boewe, junge Welt, 31. Dez. 2013
Die wichtigsten Seehäfen der Europäischen Union sind monopolistisch organisiert, leiden unter chronischem Wettbewerbsmangel und sollten sich insgesamt viel marktwirtschaftlicher organisieren. Das glaubt oder behauptet zumindest die Europäische Kommission, und seit gut zehn Jahren versucht sie, die Situation in ihrem Sinne zu verändern. Zweimal ist sie dabei gescheitert: »Port Packages I und II« wurden 2003 und 2006 nach heftigen Protesten der Hafenarbeiter vom EU-Parlament abgelehnt. Nun unternimmt Brüssel mit einem neuen, inhaltlich anders gewichteten »Port Package III« im kommenden Jahr einen dritten Anlauf.
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Don’t mess around with these buddies (ITF Baltic Action Week, Sept. 2012, Wismar) |
Nicht mehr wie früher mit einer empfehlenden Richtlinie, sondern mit einer verbindlichen Verordnung will die Kommission vorschreiben, daß künftig bestimmte Hafendienstleistungen EU-weit ausgeschrieben werden müssen. In dem Entwurf, der einer Bestätigung durch das Parlament bedarf, sollen vor allem der Marktzugang von Leistungen wie Betankung, Ausbaggerung, Lotsen- und Schleppdiensten geregelt werden. Zudem soll mit der Verordnung mehr Transparenz bei der öffentlichen Finanzierung als auch bei der Festsetzung der Hafenentgelte geschaffen werden. Ein dritter Themenbereich betrifft die behördliche Aufsicht und Koordinierung in den Häfen. Im Februar soll der Entwurf im Verkehrsausschuß des Europa-Parlaments abgestimmt und im März abschließend ins Plenum eingebracht werden.
Gewerkschaften, Hafenbetreiber, Lotsenvereinigungen lehnen den Vorstoß ab, während die großen Reedereien, Schiffsmakler und Befrachter zu den Befürwortern zählen. Strittig sind vor allem die beabsichtigte Ausschreibungspflicht für Lotsen-, Bagger- und Schleppdienste sowie eine Regelung über die Einrichtung von Notdiensten. Gewerkschaften und Parlamentarier der Linken sehen hier die Tür für eine Einschränkung des Streikrechts geöffnet.
Ladungsumschlag und Passagierabfertigung sind im aktuellen Kommissionsvorschlag zwar vom Ausschreibezwang ausgenommen. Allerdings wurden sie erst im Herbst ausgeklammert, offensichtlich um dem absehbaren Widerstand der Hafenarbeitergewerkschaften zuvorzukommen. Im ursprünglichen Entwurf sind sie noch ausdrücklich genannt. Dies macht die Kritiker mißtrauisch, denn der taktische Rückzug dürfte an den langfristigen Intentionen der EU-Kommission nichts geändert haben.
Heftige Kritik kommt von der Lotsenvereinigung European Maritime Pilots’ Association (EMPA). »Das Lotsen ist unstrittig eine öffentliche Dienstleistung von allgemeinem Interesse (Gewährleistung der maritimen Sicherheit und Schutz der Umwelt) und sollte kein Gegenstand des Marktes sein«, schreibt die EMPA in einer Stellungnahme. Würde der Kommissionsvorschlag umgesetzt, wären Qualität und Sicherheit gefährdet. Die Vereinigung verweist zudem auf Erfahrungen in Staaten, die ihre Lotsendienste bereits ausschreiben. Hier sei es keineswegs zu der von der Kommission suggerierten Absenkung der Entgelte gekommen. So habe eine entsprechende nationale Regelung in Dänemark sogar zu einem Anstieg um 20 Prozent geführt. Grundsätzlich sei die Art der Organisation von Lotsendiensten stark von den lokalen Gegebenheiten der einzelnen Häfen und Lotsendistrikte abhängig und sollte deshalb den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, heißt es weiter.
Ähnlich äußert sich die Europäische Transportarbeiterföderation ETF, die europäische Abteilung der Internationalen Transportarbeiterföderation ITF und wichtigste Organisation der Hafenarbeiter. Die Aufgabe der Lotsen werde immer anspruchsvoller, nicht zuletzt, weil die Schiffe immer größer und die Mannschaften kleiner würden sowie das Schiffspersonal oft übermüdet und mitunter schlecht ausgebildet sei.
Generell bemängelt die ETF, daß der Kommissionsvorschlag keine sozialen Mindeststandards für die Beschäftigten festschreibt. Die Behauptung, daß eine Marktöffnung für Hafendienstleistungen keine direkten oder nachteiligen Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen haben würde, sei »bestenfalls naiv und schlimmstenfalls der bewußte politische Versuch, Befürchtungen zu beschwichtigen und die Realitäten des Konkurrenzkampfes und die unvermeidlich daraus folgenden sozialen Konflikte zu übertünchen«, schreibt sie in einer Stellungnahme vom November.
Zudem sieht die Gewerkschaft im Kommissionsentwurf »mehr oder weniger verschleierte Angriffe auf das Streikrecht«. Laut Artikel 8 des Verordnungsentwurfs sollen Mitgliedsstaaten den Hafendienstleistern »gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen« auferlegen können, »um zu gewährleisten, daß (…) der Dienst tagsüber, nachts, während der gesamten Woche und des gesamten Jahres ununterbrochen verfügbar ist« sowie »allen Nutzern zur Verfügung steht«. Bei einer »Störung von Hafendiensten« oder auch, »wenn die unmittelbare Gefahr einer solchen Störung« bestehe, soll die »zuständige Behörde eine Notfallmaßnahme ergreifen« können, indem der Dienst einem anderen Anbieter in Form einer Direktvergabe »zugewiesen« wird. Für die ETF ist das ein Verstoß gegen das in den Verfassungen der meisten Mitgliedsstaaten und in Kapitel 28 der Europäischen Grundrechtscharta verankerte Recht auf kollektive Arbeitskampfmaßnahmen.
Genauso sieht das die Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke. »Diese ›Notfallmaßnahmen‹ stellen einen direkten Angriff auf das Streikrecht dar«, erklärte deren Abgeordnete Sabine Wils vor Weihnachten. Grundsätzlich gehörten Hafendienste »zu den Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge und deshalb in öffentliche Hand«.
Kritisch sieht die Linken-Abgeordnete auch die Rolle des SPD-Parlamentariers Knut Fleckenstein, der als Berichterstatter des Parlaments einen Gegenentwurf zum Kommissionsvorschlag erarbeitet hat. Fleckenstein schlägt unter anderem vor, die Lotsen- und Baggerdienste aus der Verordnung zu streichen sowie Umwelterfordernisse und nationale Sozialstandards bei der Ausschreibung von Hafendienstleistungen zu »berücksichtigen«. Nach Ansicht von Wils handelt es sich dabei aber nur um »völlig unverbindliche Appelle«, deren eigentlicher Zweck darin bestehe, »dem Widerstand gegen Port Package III die Spitze zu nehmen«.