Zauberformel Organizing?

Unter der Überschrift »Zauberformel Organizing« publiziert der Freitag einen Artikel aus unserem Büro in seinem aktuellen Wirtschaftsteil. Der Text handelt davon, dass es ein Vierteljahrhundert nach der »Wende« von 1989/90 und der darauf folgenden Deindustrialisierung heute in Teilen von Ostdeutschland wieder einen gewissen Bedeutungszuwachs für Gewerkschaften gibt. Wir haben an verschiedener Stelle schon über dieses Phänomen geschrieben, das eine Reihe von Gründen hat: Bestimmte Sektoren boomen und fragen verstärkt Arbeitskräfte nach, es gibt eine neue Generation von Arbeitern bzw. Beschäftigten, die nicht mehr so stark durch das Trauma der Massenarbeitslosigkeit der 90er geprägt sind – und die Gewerkschaften entfalten mehr Aktivität, um Unorganisierte zu organisieren. Das Entscheidende an all diesen Bemühungen, die mit Begriffen wie »Organizing«, »Erschließung« oder »beteiligungsorientierte Gewerkschaftspolitik« beschrieben werden, fassen wir so zusammen:

»Auch wenn sie mitunter wie modische Marketinginstrumente zur Mitgliederbewerbung benutzt wurden: Unterm Strich haben Hunderte von Beschäftigten in zahlreichen Betrieben angefangen, gemeinsam etwas zur Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebenssituation zu tun. (…) Gerade weil Gewerkschaften im Osten lange so schwach aufgestellt waren, mussten sich die wenigen, die in den letzten Jahren oft unter persönlichen Risiken in den Betrieben Aktivengruppen aufbauten, von Anfang an mit strategischen Fragen auseinandersetzen. Genau das dürfte auf mittlere Sicht für die Gewerkschaft selbst ein wohltuend demokratisierendes Element sein.«

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Kaum noch Jobs für deutsche Seefahrer

Regierung lockert Vorschrift: Reeder müssen künftig noch weniger Fachpersonal aus der EU anheuern

Von Jörn Boewe, junge Welt, 19. Dez. 2015

Der Seefahrerberuf stirbt aus in Deutschland und Westeuropa. Dass ihm nun ausgerechnet ein Verkehrsminister aus dem küstenfernsten Bundesland, der Oberbayer Alexander Dobrindt (CSU), einen weiteren Stoß versetzt, ist nicht ohne Witz. Vergangene Woche verkündete der Minister, dass künftig deutlich weniger EU-Personal auf Schiffen vorgeschrieben sein wird.

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Der ITF-Inspektor geht von Bord. Gewerkschaftssekretäre der Internationalen Transportarbeiterföderation wachen weltweit über die Einhaltung von Besetzungsvorschriften und Sozialstandards. Doch Tarifflucht und Ausflaggung konnten sie nicht verhindern. Rostock, Sept. 2014

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Forcierte Erosion

An vielen Fronten wird die Macht der Gewerkschaften in Europa eingeschränkt. Das Streikrecht ist nur eine davon.

Jörn Boewe und Johannes Schulten, Magazin Hintergrund, 01/2016

Schlimmer geht’s immer, wird sich Zac Goldsmith, der konservative Kandidat für die Bürgermeisterwahlen in London 2016, gedacht haben, als er Wirtschaftsminister Sajid Javid, ebenfalls Tory, kürzlich aufforderte, das geplante „Gewerkschaftsgesetz“ noch schärfer zu gestalten. Schon jetzt gilt das „Trade Union Bill“, das Mitte November in dritter Lesung im Unterhaus verhandelt wurde, als härtester Eingriff in das britische Streikrecht seit der Regierungszeit von Margaret Thatcher in den 80er Jahren.
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Der lange Kampf der Amazon-Beschäftigten

Unsere Studie über Streiks und gewerkschaftliche Organisierung bei Amazon in Deutschland und Europa ist jetzt in der Reihe „Analysen“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen. Sie kann hier als PDF heruntergeladen oder in gedruckter Form kostenlos bei uns bestellt werden.

Der lange Kampf der Amazon-Beschäftigen

Labor des Widerstands: Gewerkschaftliche Organisierung beim Weltmarktführer des Onlinehandels. Analyse von Jörn Boewe und Johannes Schulten, Berlin 2015, 60 S.
IMGP6960Seit Frühahr 2013 kämpft die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di beim Onlinehändler Amazon in Deutschland für einen Tarifvertrag. Immer wieder legen Hunderte Beschäftigte in den Versandzentren des Konzerns die Arbeit nieder. Die Streiks in Deutschland sind die ersten, mit denen der transnationale Konzern in seit seiner Gründung 1994 konfrontiert ist. Bislang weigert sich Amazon, über die Forderungen auch nur zu verhandeln. Das Unternehmen lehnt Gewerkschaften und Tarifverträge radikal ab.

Doch es geht bei diesem Arbeitskampf nicht nur um Amazon, sondern um die Frage: Wer bestimmt die Arbeitsbedingungen im digitalen Zeitalter? Werden sie einseitig durch global agierende, finanzmarktgetriebene Konzerne diktiert – oder gelingt es den lohnabhängig Beschäftigten, ihre Interessen zur Geltung zu bringen?

Die Autoren werfen einen Blick auf Amazons Versuche, Lohnarbeit unter Einsatz moderner Überwachungstechnologien, autoritärer Führungsmethoden und systematischer Anwendung eines weitgehend deregulierten Arbeitsvertragsrechts neu zu definieren. Erstmals werden in dieser Studie Ansätze gewerkschaftlicher Organisierung an den wichtigsten europäischen Amazon-Standorten systematisch dargestellt und der Arbeitskampf von ver.di im den europäischen Kontext untersucht. Zugleich gehen die Autoren unbequemen, aber notwendigen strategischen Fragen nach: Warum ist ver.di nach zweieinhalb Jahren Arbeitskampf vom Ziel eines Tarifvertrags immer noch weit entfernt? Wieso gelingt es Amazon, einen relevanten Teil der eigenen Belegschaften gegen ver.di in Stellung zu bringen? Welche Möglichkeiten haben die europäischen Gewerkschaften und insbesondere ver.di, das Kräfteverhältnis im Sinne der Beschäftigten zu verändern und den Konflikt für sich zu entscheiden?

Fusionsfieber macht aggressiv

Innerhalb von nur anderthalb Jahrzehnten hat sich die Wohnungswirtschaft aus einem überwiegend gemeinwirtschaftlich organisierten Bereich der Daseinsvorsorge zu einem Haifischbecken aggressiver Übernahmeschlachten und skrupelloser Immobilienspekulation gewandelt. Präpotentes Auftreten am Markt, ständige Nervosität, nicht den Erwartungen der volatilen Finanzmärkte zu genügen und eine zwanghafte Kostensenkungsmanie produzieren Aggressivität nach innen, bringen pathologisches Verhalten hervor und vergiften nachhaltig das Klima in den Unternehmen. All das war keine naturwüchsige Entwicklung, sondern politische Absicht, Ergebnis einer kalkulierten Stategie von Politikern und Lobbyisten, die man vielleicht am besten als organisierte Wirtschaftskriminalität knapp unterhalb der Strafverfolgungsstufe beschreiben kann. Die Story muss erst noch geschrieben werden. Heute nur eine Momentaufnahme im neuen deutschland.

Ausbeutung mit System

Eine Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen hatte die SPD versprochen. Stattdessen wird es bei kleinen Korrekturen bleiben – ein Kniefall vor den Arbeitgebern

Von Jörn Boewe und Johannes Schulten, der Freitag 44/2015

Nach dem Mindestlohn hätte es der zweite große Wurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles werden können: „Den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit werden wir verhindern“, steht im vor zwei Jahren zwischen Union und SPD geschlossenen Koalitionsvertrag. Einen lange angekündigten Gesetzentwurf dazu will Nahles in diesem Herbst endlich vorlegen. Doch alles spricht dafür, dass der Entwurf sogar noch hinter die ohnehin zaghaften Eckpunkte des Koalitionsvertrages zurückfallen wird.
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„When a dog bites a man, that’s not news …

but when a man bites a dog, that’s news.“

So antwortete John B. Bogart, Redakteur der New Yorker  Zeitung The Sun, 1880 auf die Frage „What is news?“. Was Interesse finden soll, muss sich vom Alltäglichen unterscheiden.

Nicht nur Zeitungsverleger und PR-Agenten, auch Betriebsräte und Gewerkschafter sollten die „Man-bites-dog“-Formel im Hinterkopf behalten, wenn sie die Öffentlichkeit – oder auch „nur“ die Kolleginnen und Kollegen im Betrieb – für ihr Anliegen gewinnen wollen.

Tafel-4-Interesse-wecken-aber-wie-002Aber wie fängt man das an? Was muss in den ersten Satz? Wie kann man Texte einfach und sinnvoll strukturieren? Um diese Fragen ging es in unserem Schreib-Workshop für Betriebsräte und aktive Kolleginnen und Kollegen, den wir letzte Woche in Lüdenscheid, NRW, moderiert haben. Weiterlesen

Amazon-Beschäftigte solidarisieren sich

Gewerkschafter aus Deutschland und Polen trafen sich zum Erfahrungsaustausch in Poznan

Von Jörn Boewe, junge Welt, 15. Sept. 2015

Was ist das wichtigste Arbeitsmittel für Gewerkschafter in einem transnationalen Konzern? Ein Notizbuch mit Telefonnummern der Vertrauensleute anderer Standorte im Inland wie im Ausland. Kein Dachverband, keine Kommission für internationale Zusammenarbeit kann den direkten Kontakt zwischen Aktiven verschiedener Betriebe eines Großunternehmens ersetzen. Dies war die eine Kernbotschaft eines Arbeitstreffens polnischer und deutscher Gewerkschaftsaktivisten, die am Wochenende zu einem Erfahrungsaustausch im polnischen Poznan zusammengekommen waren. Die andere: Der Kampf um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei Amazon ist nur mit grenzübergreifender Solidarität zu gewinnen.

IMGP6921Die rund dreißig Teilnehmerinnen und Teilnehmer, überwiegend Beschäftigte aus dem Poznaner Versandzentrum des Internethändlers, diskutierten mit Kollegen aus den deutschen Konzernstandorten Bad Hersfeld und Brieselang über Löhne, Arbeitszeiten und permanente Überwachung der Beschäftigten. Es ging um die Strategien, mit denen das Management versucht, gewerkschaftliche Organisierung zu verhindern, aber auch um die Perspektive künftiger gemeinsamer Aktionen.
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Werkverträge: Die Strategie des „Onsite-Outsourcing“ hat viele Facetten

Betriebsräte, die den Missbrauch von Werkverträgen unterbinden wollen, sind auf sich allein gestellt. Im Koalitionsvertrag wurde versprochen, per Gesetz Abhilfe zu schaffen. Bislang ist unklar, wann das Versprechen eingelöst wird. Jörn Boewe hat sich im aktuellen Magazin Mitbestimmung einige sehr unterschiedliche Beispiele für Werkverträge in der Grauzone zwischen Legalität und Missbräuchlichkeit genauer angesehen.

Vom selben Autor: „Es geht auch anders“, eine Geschichte über erfolgreiches Insourcing bei Opel und der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft. Wo Betriebsräte und Gewerkschaften stark sind, können sie Unternehmen dazu bewegen, Tätigkeiten in den Betrieb zurückzuholen. Auch dann, wenn es der Firma gerade nicht rosig geht.