Zuhören, handeln, siegen

„Wann haben wir das letzte Mal eine Frage, die die Leute im Alltag bewegt, mit ihnen diskutiert? Und wie oft haben wir in unseren Terminkalender geguckt und gesagt: Ich habe keine Zeit, vielleicht morgen?“ So der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Mannheim, Klaus Stein, in einer Reportage von Jörn Boewe für WEGMARKEN, die Special Edition der German Times zum 70. Jahrestag der DGB-Gründung (S. 13). Stein und seine Kolleginnen und Kollegen haben vor knapp einem Jahr begonnen, ihre Arbeit auf eine neue Weise zu organisieren. „Wir in Mannheim – gemeinsam stark!“ ist eine Art Pilotversuch, bei dem Vertrauensleute und betriebliche Aktive das Rückgrat bilden. Gemeinsame monatliche Tagesworkshops, praxisnahe Schulungen, konkrete Aktionsplanungen, gegenseitige kollegiale Beratung – das sind die Elemente. Letztlich geht es darum, „unsere politi-sche Arbeit vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen“, bringt es Stein auf den Punkt.

Im selben Blatt schreibt Johannes Schulten über neue Ansätze internationaler gewerkschaftlicher Solidarität (S. 19) und schaut sich dazu die Arbeitskämpfe bei Amazon, Ryanair und im ungarischen Automobilcluster Györ an. Sein Fazit: „Internationale Gewerkschaftszusammenarbeit wird konkreter, operativer und fokussierter.“ Der „Internationalismus der Sonntagsreden“ war gestern. Die von ihm vorgestellten Beispiele zeigen, „was möglich ist, wenn sich Arbeitende über Grenzen hinweg zusammentun.“

http://www.times-media.de/special_editions.html

Daimler: The Far Right on the Factory Floor

At Daimler’s main factory in Stuttgart-Untertürkheim, the far-right are represented in the works council and are attacking migrant colleagues and the metal-workers union IG Metall

Originally published at der Freitag. Translated and edited by BRAVE NEW EUROPE

Are right-wing extremists on the rise in Germany’s industrial workforce? Just over a year after the works council elections in 2018, the question arises again. In mid-July, there was a loud verbal dispute between supporters of the right-wing radical group “Zentrum Automobil” (ZA) and the traditional German union IG Metall in front of the gate of the Daimler plant in Mettingen near Stuttgart. The occasion was a leaflet campaign with which the “Zentrum Automobil” promoted its 35-minute film “Der Vertrauensmann” (The Shop Steward), which was posted on the Internet at the beginning of July.

The professionally made film tells the story …

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Rechts vom Fließband

Sind Rechtsextremisten in der Industrie-Arbeiterschaft auf dem Vormarsch? Gut ein Jahr nach den Betriebsratswahlen 2018 stellt sich die Frage erneut. Mitte Juli kam es vor dem Tor des Daim­ler-Werks in Mettingen bei Stuttgart zu einer lautstarken verbalen Auseinander­setzung zwischen Anhängern der rechts­radikalen Gruppierung „Zentrum Auto­mobil“ (ZA) und IG Metallern. Anlass war eine Flugblatt­aktion, mit der das „Zent­rum Automobil“ für seinen Anfang Juli im Netz veröffentlichten 35-minütigen Film Der Vertrauensmann Reklame machte.

Der Film ist das PR-Vorzeigeprojekt des 2009 gegründeten „Zentrum Automobil“, das sich selbst als „unabhängige Gewerkschaft“ in „Opposition zu den gekauften Einheitsgewerkschaften“ sieht. Eine merkwürdige „Gewerkschaft“, die seit zehn Jahren weder Arbeitskämpfe ge­führt noch Tarifverträge geschlossen hat. Auffällig ist, dass trotz flotter Sprüche gegen „Finanzkapital“, „Globalisierung“ und „Großkonzerne“ der konkrete Hauptfeind immer die IG Metall ist.

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»Der Schlüssel ist Beteiligung«

Allen Sonntagsreden zum Trotz ist die deutsche Unternehmenskultur vielfach immer noch bildungsfeindlich, meint IG Metall-Vorsitzender Jörg Hofmann, in einem Interview, das Jörn Boewe kürzlich für das Magazin Mitbestimmung führte. Wie kann man das aufbrechen? »Der Schlüssel ist Beteiligung«, meint Hofmann. »Wir brauchen keine Appelle für lebenslanges Lernen, sondern eine lernorientierte Arbeitswelt, in der Lernen zur Alltagspraxis gehört und Menschen die Möglichkeit haben, zu partizipieren. Das geht aber nicht mit dieser alten, tayloristisch-­hierarchischen Struktur, die zumindest die Fabrikhallen noch prägt. Lernen hat unmittelbar mit Demokratie im Betrieb und Mitbestimmung über die Arbeitsbedingungen zu tun. Sich Gedanken zu machen: Wie will ich meinen Arbeitsplatz gestalten? Wo sind Restriktionen, wo Chancen? Wenn das verwehrt wird und jemand nur nach Arbeitsanweisung seine Tätigkeit durchziehen soll, ist der Mensch nur zur Hälfte gefordert. Eine Führungskultur, die es stört, wenn sich Beschäftigte ihre Gedanken machen, verzichtet nicht nur auf Innovation, sondern verweigert den Beschäftigten Zukunft.«

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Direkter Draht zum konservativen Gouverneur

VW in den USA behindert seit langem gewerkschaftliche Interessenvertretung – nun kommt es zur Abstimmung

Von Jörn Boewe, neues deutschland, 12. Juni 2019

Im jahrelangen Konflikt um betriebliche und gewerkschaftliche Mitbestimmung im Volkswagen-Werk Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee kommt es nun zu einer Entscheidung. Ab diesen Mittwoch bis einschließlich Freitag können alle 1700 Beschäftigten darüber abstimmen, ob die Automobilarbeitergewerkschaft United Auto Workers (UAW) ihre Interessen vertreten soll, wie die oberste Arbeitsbehörde der USA, das National Labour Relations Board (NLRB), entschieden hat.

Die Auseinandersetzung läuft bereits seit 2015. Damals hatte die UAW eine Gewerkschaftswahl für die rund 160 Facharbeiter der Instandhaltung des VW-Werkes in Chattanooga gewonnen. Doch der Konzern verweigerte der Gewerkschaft danach mit enormem juristischen Aufwand die offizielle Anerkennung als Tarifpartei. Und auch die nun stattfindende Anerkennungswahl, nach US-Arbeitsrecht eine Voraussetzung für Tarifverhandlungen und betriebliche Mitbestimmung, wird überschattet von Versuchen des lokalen VW-Managements, die Belegschaft von einem Votum für die UAW abzuhalten. Weiterlesen

Volkswagen ohne Feigenblatt

Gewerkschaftsbund IndustriALL suspendiert Rahmenabkommen mit VW

Jörn Boewe, neues deutschland, 24. Jan. 2019

Der internationale Dachverband der Industriegewerkschaften industriALL hat das Globale Rahmenabkommen mit der Volkswagen AG »suspendiert«. Der Beschluss des 60-köpfigen Exekutivkomitees war offenbar schon im Dezember gefasst worden, wurde jedoch erst am Montag bekannt gegeben. Der Gewerkschaftsbund, in dem auch die IG Metall als weltweit größte Industriegewerkschaft vertreten ist, setzt damit ein deutliches politisches Signal gegen die gewerkschaftsfeindliche Haltung des US-amerikanischen VW-Managements in Chattanooga, Tennessee, wo das Unternehmen seit 2015 mit enormem juristischen Aufwand versucht, eine gewerkschaftliche Organisierung von Beschäftigten zu verhindern. Weiterlesen

Zeit ist wichtiger als Geld

Metall-Tarif: Vor allem Schichtarbeiter wollen lieber mehr freie Tage, die »verkürzte Vollzeit« ist weniger nachgefragt

Von Jörn Boewe, neues deutschland, 13. Nov. 2018

Zeit ist Geld sagt der Alltagsverstand, und liegt spontan damit auf einer Wellenlänge mit der marxistischen Arbeitswertlehre. Eine sechsstellige Zahl Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie haben der Sache gerade einen neuen Dreh verpasst: Für sie ist Zeit sogar noch wichtiger als Geld. 190.000 Beschäftigte, die Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder Schicht arbeiten, wollen im nächsten Jahr acht zusätzliche freie Tage in Anspruch nehmen und verzichten dafür auf ein paar hundert Euro aus ihrem »tariflichen Zusatzgeld«. Weiterlesen

Freie Tage sind der Renner

Tarifabschluss Metall: Viele Schichtarbeiter wollen lieber weniger arbeiten als zusätzliches Geld

Von Jörn Boewe, neues deutschland, 5. Okt. 2018

Weniger arbeiten statt mehr Geld – bei den Schichtbeschäftigten im Geltungsbereich des Flächentarifvertrags der Metall- und Elektroindustrie scheint die Idee gut anzukommen. Wie Gewerkschafter aus verschiedenen Regionen und Betrieben übereinstimmend berichten, gibt es einen regelrechten Run auf die Option, im nächsten Jahr bis zu acht zusätzliche freie Tage in Anspruch zu nehmen und dafür auf einen Teil des sogenannten »Tariflichen Zusatzgelds« (T-ZUG) zu verzichten. Weiterlesen

Aus Erfahrung klüger

„Die IG Metall macht keine halben Sachen. Und sie lernt aus Erfahrungen. Das zeigt das Buch »Aufrecht gehen«, in dem die ersten drei Jahre des »Gemeinsamen Erschließungsprojekts« (GEP) in Baden-Württemberg ausgewertet werden. (…)

Mit dem im VSA-Verlag erschienenen Buch wird eine erste Zwischenbilanz gezogen. Und das auf eine Art, die interessanter ist als in gewerkschaftlichen Publikationen oft üblich. Besonders die Reportagen aus zehn Betrieben, vom Daimler-Werk bis zu einem der Holzverarbeitung, geben einen guten Einblick in die konkreten Erfahrungen.“

Daniel Behruzi bespricht in der jungen Welt das von der IG Metall-Baden-Württemberg herausgegebene Buch »aufrecht gehen – wie Beschäftige durch Organizing zu ihrem Recht kommen«, an dem auch wir beteiligt waren.

Abschied von den Stellvertretern

„Doch erst die Reportagen aus zehn sehr unterschiedlichen Betrieben in Baden-Württemberg vermitteln tatsächlich, worum es bei dem Erschließungsprojekt eigentlich geht. Ob Daimler-Werk Stuttgart-Untertürkheim, Holzverarbeiter Dold aus Südbaden, Automobilzulieferer Magna in Neckarsulm – durch sie bekommt man eine Vorstellung von den alltäglichen Kämpfen am Arbeitsplatz und wie Menschen sich zu trauen beginnen, ihre Stimme zu erheben – das macht diese Zwischenbilanz der Gewerkschaft ungewöhnlich berührend.“

Die Kollegin Ines Wallrodt bespricht im Neuen Deutschland das von der IG Metall-Baden-Württemberg herausgegebene Buch aufrecht gehen – wie Beschäftige durch Organizing zu ihrem Recht kommen, an dem auch wir beteiligt waren. Vielen Dank dafür!

„Belegschaftsumfragen, Unterschriftensammlungen, Gespräche vor den Werkstoren – mancher Bericht von betrieblichen Aktionen wirkt zunächst wenig aufregend. Aktivenkreise, die ein Flugblatt selbst verfassen? Betriebsräte, die sich an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientieren? Was denn sonst?

Selbstverständlich ist das aber nicht. Tatsächlich verbirgt sich hinter solchen Berichten eine kleine Revolution in der Betriebsarbeit von Gewerkschaften, die zunehmend mit Routinen brechen. Sie warten nicht mehr ab, bis die Beschäftigten von sich aus zu ihnen kommen, sondern gehen selbst hin und fragen, wo der Schuh drückt. Vor allem bedeutet die neue Herangehensweise eine Abkehr von der Stellvertreterpolitik, bei der der Betriebsrat die Probleme der Beschäftigten regelt, ohne dass die etwas davon mitkriegen, aber auch, ohne sie nach ihrer Meinung zu fragen. Dies erfordert indes nicht nur auf gewerkschaftlicher Seite ein Umdenken, sondern auch aufseiten der Beschäftigten, die ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen müssen, statt die Verantwortung auf andere zu schreiben.“

Quelle: Neues Deutschland, 19.07.2018