Der lange Kampf der Amazon-Beschäftigten

Unsere Studie über Streiks und gewerkschaftliche Organisierung bei Amazon in Deutschland und Europa ist jetzt in der Reihe „Analysen“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen. Sie kann hier als PDF heruntergeladen oder in gedruckter Form kostenlos bei uns bestellt werden.

Der lange Kampf der Amazon-Beschäftigen

Labor des Widerstands: Gewerkschaftliche Organisierung beim Weltmarktführer des Onlinehandels. Analyse von Jörn Boewe und Johannes Schulten, Berlin 2015, 60 S.
IMGP6960Seit Frühahr 2013 kämpft die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di beim Onlinehändler Amazon in Deutschland für einen Tarifvertrag. Immer wieder legen Hunderte Beschäftigte in den Versandzentren des Konzerns die Arbeit nieder. Die Streiks in Deutschland sind die ersten, mit denen der transnationale Konzern in seit seiner Gründung 1994 konfrontiert ist. Bislang weigert sich Amazon, über die Forderungen auch nur zu verhandeln. Das Unternehmen lehnt Gewerkschaften und Tarifverträge radikal ab.

Doch es geht bei diesem Arbeitskampf nicht nur um Amazon, sondern um die Frage: Wer bestimmt die Arbeitsbedingungen im digitalen Zeitalter? Werden sie einseitig durch global agierende, finanzmarktgetriebene Konzerne diktiert – oder gelingt es den lohnabhängig Beschäftigten, ihre Interessen zur Geltung zu bringen?

Die Autoren werfen einen Blick auf Amazons Versuche, Lohnarbeit unter Einsatz moderner Überwachungstechnologien, autoritärer Führungsmethoden und systematischer Anwendung eines weitgehend deregulierten Arbeitsvertragsrechts neu zu definieren. Erstmals werden in dieser Studie Ansätze gewerkschaftlicher Organisierung an den wichtigsten europäischen Amazon-Standorten systematisch dargestellt und der Arbeitskampf von ver.di im den europäischen Kontext untersucht. Zugleich gehen die Autoren unbequemen, aber notwendigen strategischen Fragen nach: Warum ist ver.di nach zweieinhalb Jahren Arbeitskampf vom Ziel eines Tarifvertrags immer noch weit entfernt? Wieso gelingt es Amazon, einen relevanten Teil der eigenen Belegschaften gegen ver.di in Stellung zu bringen? Welche Möglichkeiten haben die europäischen Gewerkschaften und insbesondere ver.di, das Kräfteverhältnis im Sinne der Beschäftigten zu verändern und den Konflikt für sich zu entscheiden?

Der menschliche Faktor

Deutsche Post Der Streik wird zur Machtprobe zwischen dem Konzern und Verdi: Lässt sich Lohndumping hierzulande überhaupt noch verhindern?

Von Jörn Boewe und Johannes Schulten, der Freitag, 18. Juni 2015

Zumindest seine Ehrlichkeit muss man dem Post-Vorstand Jürgen Gerdes hoch anrechnen: Zwar sei es ungerecht, wenn Unternehmen unterschiedliche Löhne für gleiche Arbeit zahlen, meinte der Manager. „Sie werden aber kein Unternehmen finden, bei dem es anders ist.“ Für alle, die es immer noch nicht verstanden haben: Die Unternehmer haben sich zwar jahrelang Hand in Hand mit dem DGB für ein Tarifeinheitsgesetz stark gemacht. Tatsächlich ist ihnen das Prinzip „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ aber vollkommen egal.
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Rasant: Von 180 auf 225

Harter Arbeitskampf beim Textildiscounter um die Tarifverträge des Einzelhandels

Von Johannes Schulten und Jörn Boewe, ver.di publik 08/2014

Ob es schon Ermüdungserscheinungen gibt? Michael Ullrich muss fast lachen. „Im Gegenteil“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der KiK-Logistik GmbH. Die Kolleg/innen, die sich am Streik beim Zentrallager des Textildiscounters in Bönen bei Dortmund beteiligen, werden sogar mehr. „Wir haben mit 180 angefangen, jetzt sind wir 225. Und die Stimmung ist bärenstark.“ Ullrich muss es wissen. Als Mitglied der ver.di-Tarifkommission berät er mit seinen sechs Kolleg/innen von Tag zu Tag, ob der Arbeitskampf fortgeführt wird. Dann wird das Ergebnis mit den Streikenden im Streiklokal im Kurpark abgestimmt – „bisher immer unter Jubel“, sagt er. Um der Geschäftsleitung Zeit zum Nachdenken zu geben, wurde der Streik aber jetzt vorerst ausgesetzt. Weiterlesen

Unbezahltes Dauerpraktikum rechtens?

Ein Fall, über den wir vor Wochen berichteten, hat eine hässliche Wendung genommen. Anfang Sommer schrieben wir im Hintergrund Nachrichtenmagazin über die Geschichte der Yuliya L., die als 19jährige achteinhalb Wochen in einem Bochumer Rewe-Markt unentgeltlich als „Praktikantin“ gearbeitet hatte. Das Unternehmen hatte ihr einen Ausbildungsplatz versprochen, wenn sie zuvor ein einmonatiges „Schnupperpraktikum“ absolviere – das dann immer wieder verlängert wurde („Das Geschäft mit den Scheinpraktika“). Irgendwann klagte Yuliya L. auf Zahlung des vorenthaltenen Lohns. Das örtliche Arbeitsgericht gab ihr Recht. Jetzt wurde das Urteil in der zweiten Instanz vom Landesarbeitsgericht Hamm aufgehoben. Da das Praktikum im Rahmen einer berufsvorbereitenden Maßnahme der Arbeitsagentur stattgefunden habe, so die Argumentation der Richter, sei daraus kein Arbeitsverhältnis entstanden.

Quellen:
www.juris.de
www.lto.de

Die Wende schaffen

„Die Wende schaffen“ ist der Titel unserer am Mittwoch in der taz veröffentlichten Geschichte über den Berliner Ökoaktivisten Hartwig Berger. Berger, ein  Urgestein der Berliner Alternativen Liste, unterstützt in diesen Tagen unter der unglaublich heißen andalusischen Sonne gemeinsam mit seiner Kollegin Elisabeth Herrera eine kleine Landgemeinde in der Nähe von Cádiz beim Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Junge Leute sollen einkommensschwache Haushalte und Kleinbetriebe beraten, wie sie mit teurer Energie effizienter umgehen können, denn: „Energiearmut ist hier ein Riesenproblem“, sagt Berger. Weiterlesen

Arbeitnehmer zweiter Klasse

Seit Beginn der Eurokrise kommen gut ausgebildete Pflegekräfte aus Südeuropa nach Deutschland. Hier werden einige von ihnen von Medizindienstleistern mit Knebelverträgen und schlechter Bezahlung ausgenutzt. Auch in Berlin.

Von Jörn Boewe und Johannes Schulten, Berliner Zeitung, 17. Juli 2014

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Das ist das Mindeste

Der Mindestlohn korrigiert zwar die Agenda 2010. Aber ein Politikwechsel ist es nicht

Von Jörn Boewe, Der Freitag 28/2014

Wenige Projekte der Großen Koalition wurden so bejubelt und zugleich so verrissen wie der Mindestlohn, den der Bundestag kurz vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause verabschiedete. Eine „historische Entscheidung“ nannte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi den Beschluss, DGB-Chef Reiner Hoffmann sprach von einem „Meilenstein der Sozialgeschichte“. Die politische Konkurrenz sah das natürlich anders. Es sei „dreist“, so Linken-Chef Bernd Riexinger, wie sich die SPD-Führung dafür feiere, „dass sie sich vom Wirtschaftsflügel der Union über den Tisch hat ziehen lassen“. Weiterlesen

Zeit für klare Regeln

Jörn Boewe kritisiert die guten Absichten der Industrie nach dem Fabrikunglück in Bangladesch. neues deutschland, 25. April 2014

Viel wird in diesen Tagen über die Textilbeschäftigten in Bangladesch berichtet. Ein Jahr nach dem Einsturz des Rana-Plaza-Fabrikgebäudes, bei dem mehr als 1130 Menschen getötet und 2500 verletzt wurden, ist das Medieninteresse groß. Doch wie so oft in der »Informationsgesellschaft« gehen die entscheidenden Fragen in der Fülle der Berichte verloren. Jahrestage von Katastrophen sind die große Zeit der Absichtserklärungen, aber nicht unbedingt der Übernahme von Verantwortung.

Entwicklungsminister Gerd Müller, ein Mann, den außerhalb der CSU noch nicht viele kennen, hat für nächste Woche zu einem »Runden Tisch« geladen, an dem über ökologische und soziale Standards in der Textilindustrie geredet werden soll. Das könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein, hätte der Minister nicht bereits vor Beginn der Gespräche klargestellt, dass eine gesetzliche Regelung kein Thema sein wird – bis auf Weiteres zumindest. Allenfalls wenn es nicht zu transparenten Selbstverpflichtungen des Handels komme, könne man ein Gesetz in Erwägung ziehen.

Statt klarer Regeln und wirksamer Kontrollen wird es lediglich Vorzeigeprojekte geben, mit denen sich die Ministerialbürokratie für die erste Hälfte der Legislaturperiode gut beschäftigen kann. Dabei hat gerade die Rana-Plaza-Katastrophe bewiesen, dass Selbstverpflichtungen völlig unzureichende Instrumente sind, wenn es darum gehen soll, den Beschäftigten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sie versagen selbst bei der akuten Nothilfe, wie der immer noch hoffnungslos unterfinanzierte Entschädigungsfonds für die Rana-Plaza-Opfer zeigt. Sollen sich die Arbeitsbedingungen der internationalen Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter nachhaltig verbessern, braucht es nicht nur einen langen Atem, sondern Regeln, die für alle gelten und bei Verstößen klare straf- und zivilrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Letztlich ist dies auch im Sinne der Branche selbst – zumindest jener Unternehmen, die sich den Forderungen der Beschäftigten nicht völlig verschließen. Denn das Prinzip der Freiwilligkeit bestraft immer die Gutwilligen und belohnt jene, die sich auf Kosten der Mitbewerber aus der Verantwortung stehlen. Zudem haben freiwillige Vereinbarungen die Arbeitsbedingungen für Textilbeschäftigte in den vergangenen Jahren kaum verbessert. Abhilfe schaffen kann nur ein strengeres Haftungsrecht. Handelsketten, die die betriebswirtschaftlichen Vorteile der Zerstückelung von Wertschöpfungsketten in Anspruch nehmen, müssen für die Einhaltung von Mindeststandards bei ihren Zulieferern verantwortlich gemacht werden. Geschädigte und Hinterbliebene brauchen einen international gültigen Rechtsanspruch auf Wiedergutmachung. So steht es seit 2011 in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Es wäre Zeit, dass Deutschland diese Beschlüsse endlich umsetzt.