Organisieren am Konflikt

„Mitglieder wollen sich beteiligen und mitbestimmen, wenn es um ihre persönlichen und  unsere gemeinsamen Interessen geht.“ Der Satz ist von Andrea Kocsis, ver.di-Vizevorsitzende und die Frau hinter dem aktuellen Streik bei der Post. Er steht in dem VSA-Buch „Organsieren am Konflikt“  von 2013, dem Organizing-Klassiker von ver.di. 2013 erschien, ebenfalls bei VSA, auch „unser“ vom damaligen IG-Metall-Vize herausgegebenes Buch „ORGANIZING. Die Veränderung der gewerkschaftlichen Praxis

durch das Prinzip Beteiligung“ (das IG Metall-Pendant sozusagen). Der Titel „Organisieren am Konflikt“ stammt eigentlich von Heiner Dribbusch und steht über seinem Beitrag im ver.di-Buch. Und weil er so schön ist, hat ihn jemand nun ein drittes Mal „ausgeliehen“ und über mein Kocsis-Porträt gesetzt, das ich Ende Februar für die Wochenzeitung Der Freitag geschrieben habe. Leider ist mir ein Zahlendreher unterlaufen: Andrea Kocsis ist 1965 geboren, nicht ’56, wie in der Druckfassung steht.

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Empowerment der kleinen Leute

„Zitzelsberger macht es vor“ hat die Freitag-Redaktion über meinen Kommentar zur Metall-/Elektro-Tarifrunde geschrieben. Für meinen Geschmack klingt das ein bisschen zu sehr nach Personenkult, aber es ist natürlich nicht falsch. Tatsächlich ist der vor einer Woche erzielte Pilotabschluss vor allem ein Ergebnis des guten Zusammenspiels von vielen Hunderttausenden in den Betrieben und einer strategisch klugen Führung.

Auch wenn das Ergebnis unterm Strich einen bitteren Reallohnverlust bedeutet, wird es in den Betrieben dennoch als Erfolg gewertet. Warum? Weil es dort ein feines Gespür für die politisch-ökonomische Lage gibt. Wünschen kann man sich viel, man muss es aber auch durchsetzen können. An der Basis der IG Metall überwiegt wohl die Überzeugung, dass dieses Ergebnis nicht das schlechteste ist, was hätte herauskommen können.

Mehr noch: Es kam überhaupt nur deshalb zustande, weil es bundesweit eine Mobilisierung durch betriebliche Aktive gab, wie man sie von früheren Tarifrunden in dieser Form nicht kannte. Erstmals wurde eine M/E-Tarifbewegung bundesweit als Organizing-Kampagne aufgezogen. Auch wenn der Abschluss oberflächlich betrachtet ohne großen Konflikt erreicht wurde, deutet sich hier eine Kulturrevolution in der IG Metall an. Die dürfte für manche noch schmerzhaft werden, geht sie doch mit Kontrollverlust für Betriebsräte und Apparat – die traditionellen Machtzentren der Organisation – einher.

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Mapping Amazon: Karte der deutschen Amazon Standorte überarbeitet

Amazons Logistiknetzwerk in Deutschland wächst um 25 Prozent in einem Jahr

Wer sich organisieren will, braucht Orientierung im Feld, und dafür braucht man was? Eine gute Landkarte! Seit wir uns mit dem dem Liefer- und Tech-Giganten Amazon befassen – und das sind mittlerweile fast zehn Jahre – haben wir immer wieder versucht, uns und anderen Kolleginnen und Kollegen einen halbwegs brauchbaren Überblick über das Amazon-Imperium zu verschaffen.

Um ehrlich zu sein: Es ist eine Aufgabe, an der wir regelmäßig scheitern. Trotzdem machen wir weiter. Unsere im vergangenen Jahr gemeinsam mit Tina Morgenroth von „Faire Mobilität“ veröffentlichte Kurzstudie Amazons letzte Meile enthält eine Karte der deutschen Logistikstandorte des Konzerns … die inzwischen völlig veraltet ist. Die Auftraggeberin der Studie, die Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen, hat uns deshalb gebeten, nach einem Jahr eine Aktualisierung zu erstellen.

Die Sache erfordete mehr Rechercheaufwand als wir gedacht hatten, denn Amazon wächst verdammt schnell und macht seine Neueröffnungen, vor allem wenn es um eher kleine Verteilzentren geht, nicht besonders publik. Man muss sich die Daten also aus allerlei Quellen zusammensuchen und hat nie die Gewissheit, ob man  wirklich alle erwischt hat. Hat man natürlich nicht, kann man gar nicht. Aber unsere aktuelle Karte (Recherchestand Oktober 2022) spiegelt ein Wachstum von 25 Prozent innerhalb eines Jahres wieder und ist definitiv ein halbwegs brauchbarer Überblick.

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Sauber: 12,5 Prozent mehr Lohn!

Wie schafft es eine Gewerkschaft ausgerechnet in so einer harten Branche wie der Gebäudereinigung, eine zweistellige Lohnerhöhung durchzudrücken? Darum geht’s in meiner Reportage „Sauber …“ im aktuellen Freitag (ab 20. Oktober am Kiosk).

Als Bonustrack gibt’s noch eine steile These: Tarifpolitik stößt zunehmend an Grenzen, weil Inflation Kaufkraft frisst, aber auch, weil sie keine Antworten hat auf die „unzähligen Ungerechtigkeiten und Demütigungen, die der Struktur des neoliberalen Dienstleistungskapitalismus selbst eingeschrieben sind (…) Subunternehmerketten, Fremdvergaben, aufgeblähte Controlling-Bürokratien voller Bullshit-Jobs auf der einen Seite und Personalmangel auf Seiten all jener, die die Arbeit erledigen müssen – die Liste ließe sich seitenlang fortschreiben. Auf den Wahnsinn der spätkapitalistischen Arbeitswelt strategische Antworten zu finden: Das ist die gewerkschaftliche Mammutaufgabe der nächsten Jahre.“

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Kommt ein heißer Herbst?

Die Preise steigen. Deutschland schlittert in die schlimmste Inflation seit 70 Jahren. Mit Tarifpolitik allein kann der Kaufkraftverlust nicht abgefangen werden. Allerdings könnten die kommenden Tarifrunden zum Motor einer breiten sozialen Bewegung gegen die Preistreiberei werden. Gewerkschaften und Linke sollten sich allerdings auch mit dem Gedanken anfreunden, dass vielleicht nicht sie an der Spitze der Proteste stehen werden – und schon gar nicht automatisch. Das wäre aber auch nicht gleich eine Katastrophe. Dazu ein Hintergrundartikel von Jörn Boewe in analyse & kritik.

Übermächtig

Amazon — Der Internet-Gigant ist längst mehr als ein Online-Händler. Amazon ist auf dem Weg zur digitalen Supermacht. Darauf müssen sich auch die Gewerkschaften einrichten

Von Jörn Boewe, ver.di publik,  4. November 2021

Das Ding sieht aus wie ein Staubsauger, kann aber nicht staubsaugen. Amazons neuestes Produkt „Astro“ wird als Haushaltsroboter vermarktet. Tatsächlich aber ist es eine wandelnde Überwachungskamera.

„Astro“ steht exemplarisch für das übergriffige Geschäftsmodell des Internet-Giganten aus Seattle: Amazon ist eine riesige Datenkrake, die es geschafft hat, mit einer Mixtur aus teils funktionalen und teils völlig sinnlosen und gefährlichen Produkten und Dienstleistungen immer tiefer in den Alltag von Millionen Menschen einzudringen. 300 Millionen Nutzeraccounts hat das Unternehmen weltweit, allein die deutschsprachige Website verzeichnet rund eine halbe Milliarde Kundenzugriffe jeden Monat.

ABSOLUTER CORONA-GEWINNER

Durch die Corona-Pandemie hat Amazons Expansion nochmal enormen Schwung bekommen. 2020 war das bislang erfolgreichste Geschäftsjahr in der Geschichte des Unternehmens. Der Umsatz des Online-Riesen steigerte sich um sagenhafte 31 Prozent und liegt mit 386 Milliarden US-Dollar mittlerweile auf dem Niveau des Bruttoinlandsprodukts kleiner hochentwickelter Volkswirtschaften wie Israel oder Irland. Damit rückte Amazon von Platz 9 auf 3 in der vom Fortune-Magazin erstellten Liste der umsatzstärksten Unternehmen weltweit – weit vor Apple, Toyota und VW.
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Eine Gewerkschaft muss ihre Streikmuskeln trainieren, sonst …

… verliert sie. Das ist einer der zentralen Gedanken, aus einem Gespräch, das ich mit der US-amerikanischen Organizerin Jane McAlevey für den Freitag führte. Mit dabei waren Silvia Habekost von der Berliner Krankenhausbewegung und Moritz Lange vom zentralen Organizingteam der IG Metall. Wie können Gewerkschaften heute wieder in die Offensive kommen, und warum ist das so wichtig?

McAlevey sieht „die westlichen Demokratien an einem Wendepunkt“. Zwar wurde „Trump in den USA abgewählt“, doch es gibt „weiterhin eine ernste Bedrohung durch Rechtspopulismus, Faschismus und Autoritarismus“, so die Organizerin. „Wenn wir das aufhalten wollen, müssen wir für den Wiederaufbau starker Gewerkschaften kämpfen, um die Macht am Arbeitsplatz neu zu verteilen und bessere Standards und ein besseres Leben zu erreichen. Ich bin überzeugt, dass es sich in Deutschland und in den USA um den gleichen Kampf handelt. Das ist nicht nur eine Floskel. Die Union Buster, die früher die Gewerkschaften in US-Autofabriken zerschlugen, taucheni jetzt in der IG-Metall-Welt auf. Ich denke, der einzige Ausweg aus diesem Elend ist für Gewerkschaften, dass sie ihre Mitglieder an allen wichtigen Entscheidungen wirklich beteiligen. Den Beschäftigten sagen: Ihr selbst müsst diese Kampagne gewinnen, und ihr habt jedes Recht, alle dafür notwendigen Entscheidungen zu treffen. Das bedeutet unter den heutigen Bedingungen wahrscheinlich Mehrheitsstreiks. Keine kleinen Streiks, sondern große Streiks, um die Bedingungen zu erkämpfen, die wir dringend brauchen.“

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Geliehene Macht

Porträt: Daniela Cavallo ist „Gastarbeiter“-Tochter, IG-Metallerin und jetzt Betriebsratsvorsitzende bei VW. Von Jörn Boewe, Der Freitag 28/2021

Bis vor kurzem war ihr Name in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt, seit Ende April ist sie wohl die mächtigste ehrenamtliche Gewerkschaftsfunktionärin der Welt: Daniela Cavallo, 46 Jahre alt, IG-Metall-Mitglied, hat den Vorsitz des „Gesamt- und Konzernbetriebsrats“ der Volkswagen AG übernommen. Sie löst Bernd Osterloh ab, der als Personalchef zur VW-Nutzfahrzeugtochter Traton wechselte.

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Die Arbeiter sind nicht schuld

Beschäftigte in der Industrie wollen keine Blockierer oder Opfer der Transformation sein. Sie wollen sie mitgestalten. Von Jörn Boewe, Der Freitag 25/2021

Mit Kolleginnen und Kollegen stand ich im Herbst 2020 vor dem Werkstor eines Automobilzulieferers am Rand der Schwäbischen Alb. Das Unternehmen hatte zwei Dutzend Leuten gekündigt. Alle wussten, dass das nur der Anfang war. Betriebsrat und IG Metall versuchten, Widerstand gegen die Entlassungen zu organisieren, aber es war spürbar schwer, die bleierne Apathie zu durchbrechen, die über dem Ganzen lag.

Hier war sie, „die Transformation“. Sie rollte wie ein schicksalhafter Megatrend heran, der den Verbrennungsmotor ins Abseits schieben würde und mit ihm all jene Loser, die daran mitgebaut hatten. Nur ein paar noch nicht klar benannte Auserwählte würden die Reise in eine saubere und smarte Zukunft namens „Elektromobilität“ mitantreten dürfen.

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„E-Mobilität – ist das die Lösung? Eine Befragung von Beschäftigten zum sozial-ökologischen Umbau der Autoindustrie“

Heute erscheint unsere Studie zur Sicht von Industriebeschäftigten auf Themen wie Klimawandel, Mobilität und Transformation: „E-Mobilität – ist das die Lösung?
Eine Befragung von Beschäftigten zum sozial-ökologischen Umbau der Autoindustrie“. Das Ganze kann hier heruntergeladen werden:
https://www.rosalux.de/publikation/id/44586
In der nächsten Woche sollte es auch die Printversion (gratis) geben. Erhältlich ebenfalls bei der RLS oder direkt über uns: kontakt(at)work-in-progress-journalisten.de

Auf Grundlage von 38 Interviews vor allem mit Betriebsratsmitgliedern und gewerkschaftlichen Vertrauensleuten deutscher Automobilhersteller, Zulieferer und anderer verkehrsmittelproduzierender Industriebetriebe werfen Jörn Boewe, Stephan Krull und Johannes Schulten ein Schlaglicht auf die Potenziale eines sozial-ökologischen Umbaus, aber auch die Hindernisse, die eine solche Politik überwinden muss.

Das Fazit unserer Studie:

Die Sicht in den Betrieben und gewerkschaftlichen Gremien ist differenzierter, als die durch Einlassungen von Gewerkschafts- und Betriebsratsspitzen sowie der Regierung geprägte öffentliche Meinung nahelegt. Belegschaften, Gewerkschaftsmitglieder und ehrenamtliche Funktionär*innen sind keine Bastion von Verfechter*innen einer vorökologischen Industriepolitik. Vielmehr finden sich Potenziale und Anknüpfungspunkte für eine sozial-ökologische Mobilitätswende.

 Ein Selbstläufer ist ein sozial-ökologscher Umbau damit natürlich noch nicht. Denn es gibt in den Belegschaften eine verbreitete Skepsis gegenüber „der Politik“, einen auch nur halbwegs adäquaten Ausbau des Schienenverkehrs, des ÖPNV oder gar den Aufbau innovativer multimodaler und vernetzter Mobilitätssysteme ernsthaft in Angriff zu nehmen. Verbreitet sind auch berechtigte Befürchtungen, dass eine allein unternehmensseitig vorangetriebene Transformation der Industrie mit einem Abbau von tariflich abgesicherten Arbeitsplätzen sowie einer massiven Prekarisierung und Entqualifizierung der Arbeit einhergehen könnte.

 Vielmehr zeigt sich, wie nötig es ist, den gesellschaftlichen Konsens, wirksame Schritte gegen den Klimawandel auch im Verkehrssektor zu gehen, mit einem politischen Masterplan und einer breit anschlussfähigen Vision für ein sozial gerechtes, ökologisches Verkehrsmodell der Zukunft zu verbinden.