Seit 2013 begleiten wir journalistisch und investigativ den Kampf der Amazon-Beschäftigten um bessere Arbeitsbedingungen. Nun ist unsere neue, gemeinsam mit Tina Morgenroth von Faire Mobilität Thüringen, verfasste Broschüre über Amazons Expansion in den Logistik-Bereich und die Perspektiven des Widerstandes als Gemeinschaftspublikation von Rosa-Luxemburg-Stiftung und DGB Bildungswerk Thüringen erschienen, auch mit Beiträgen zu gewerkschaftlicher Organisierung in der Schweiz (UNIA),den USA (Teamsters) und Italien (CGIL).
Am Donnerstag haben wir die Studie in Erfurt vorgestellt (downloadlink). Schon einen Tag später musste Amazon öffentlich darauf reagieren. Danke an die Kolleginnen und Kollegen von Thüringen24 für ihre beherzte Berichterstattung.
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Die Herrschaft der Finanzoligarchie ist nicht sehr beliebt,
aber stabil. Jedenfalls in der Schweiz, und im Grunde ist diese Diagnose nicht allzu überraschend. Ausgestellt haben sie die wahlberechtigten Eidgenossinnen und -genossen Ende November bei der Abstimmung über die »1:12«-Initiative der Schweizer Jusos. Getragen wurde die Kampagne hauptsächlich von der Gewerkschaft Unia, einer, wie wir finden, hochinteressanten Organisation.
Mehr dazu im Sammelband
ORGANIZING. Die Veränderung der gewerkschaftlichen Praxis durch das Prinzip Beteiligung, VSA Hamburg 2013, Hrsg.: Detlef Wetzel
(Leseprobe:)
Seit einigen Jahren setzt die Unia unter dem Motto »Von einer Gewerkschaft der Hochkonjunktur zur Gewerkschaft für raue Zeiten« verstärkt auch auf Organizing-Methoden. In der traditionell vom Hang zu Harmonie und Ausgleich geprägten politischen Kultur der Schweiz hat sich die Unia ein Renommee als die gesellschaftliche Kraft erworben, die am entschiedensten gegen die seit über zwei Jahrzehnten andauernde neoliberale Offensive angeht und dabei vor Konflikten nicht zurückscheut. Damit zieht sie regelmäßig Wutausbrüche der politischen Rechten auf sich. Als Unia-Gewerkschafter im Sommer 2007 im Rahmen einer Kampagne gegen die ausufernde Leiharbeit (schweizerdeutsch: Temporärarbeit) Zugänge privater Personalvermittlungen blockierten, schrieb die rechtspopulistische Weltwoche von »Rollkommandos der Syndikalisten«, die »fast das gesamte Repertoire« nutzten, »das mafiose Vereinigungen zur Realisierung ihrer Egoismen entwickelt haben: überfallartige Kommandoaktionen, Einschüchterung, Drohung, Nötigung, Erpressung, Hetze, Kassieren von Schutzgeldern, öffentliche Fertigmachung« (Weltwoche36/2007).
Es wäre aber falsch, die Unia wegen ihrer kämpferischen Attitüde für eine Sponti-Truppe von Politaktivisten zu halten. Die Ressourcen, die die Gewerkschaft für Tarifbewegung, Basisarbeit und Kampagnen verwendet, hat sie sich durch eine professionelle Umstrukturierung ihrer individuellenMitgliederbetreuung freigeschaufelt. Ein Drittel der Finanzen darf für Serviceleistungen, Rechtsberatung und Verwaltung verwendet werden, zwei Drittel für die politische Arbeit – so lautet die Zielvorgabe. Erreicht wird dies durch die neuesten Zaubertricks moderner Prozessoptimierung, Callcenter-Software, Analysetools und organisationspolitische Weichenstellungen.
»Wir haben uns entschieden, die Leistungen für Nichtmitglieder drastisch einzuschränken«, sagt René Lappert, der in der Region Zürich-Schaffhausen den Bereich Individuelle Mitgliederbetreuung leitet. »Denen sagen wir nicht mal, wie spät es ist«, sagt er und lacht. Nun, das ist etwas übertrieben. Wer als Nichtmitglied bei der Unia Rat sucht, bekommt eine Erstberatung und ein »Welcome-Paket« mit den wichtigsten Informationen. »Aber die Zeiten, in denen der Gewerkschaftssekretär jeden Hilfesuchenden an die Hand nahm, um dessen Probleme zu lösen, sind definitiv vorbei.«
Reichtum – jetzt leichter zu knacken
Schweiz: Ist das Kommunismus oder die Rückkehr zu normalen Verhältnissen? Die Eidgenossen stimmen über eine Obergrenze für Managerbezüge ab
Von Jörn Boewe, Der Freitag, Ausgabe 47/13 vom 21. Nov.2013
Meister Rimmo holt etwas aus der Tasche, was wie eine Parkscheibe aussieht. „Hier“, sagt er, „kannst du deinen Monatslohn einstellen.“ Er dreht an der Scheibe, bis im oberen Fenster „7.000 CHF“ steht. Das sind 5.700 Euro – ein bisschen mehr als ein Werkzeugmacher bei Reishauer, einer Firma in Wallisellen bei Zürich, verdient. Unten, neben einem Bild von Brady Dougan, des Chefs der Bank Credit Suisse, erscheint die Angabe „9:35 min“. „Der hat früh noch nicht mal die Zeitung ausgelesen“, sagt Rimmo, „da hat er schon mehr kassiert als der Durchschnittsschweizer in einem ganzen Monat.“
„12 × mehr Lohn ist genug“, steht auf der roten Pappscheibe, mit der man im Handumdrehen sein Einkommen mit dem der Vorstände von Schweizer Großkonzernen wie Novartis und Nestlé vergleichen kann. Es handelt sich um die „Abzockeruhr“ der Unia, der größten Gewerkschaft des Landes – ein ziemlicher Renner unter den Werbematerialien der Volksinitiative „1:12 – Für gerechte Löhne“. Die Idee: Kein Topmanager soll in einem einzigen Monat mehr verdienen als der am schlechtesten bezahlte seiner Angestellten in einem Jahr. Am 24. November stimmen die Eidgenossen darüber ab, ob dies in die Verfassung aufgenommen wird. Initiiert haben das die Jungsozialisten, aber richtig Schwung bekam die Kampagne, als die Unia im Frühsommer einstieg.
Rimmo ist Lehrausbilder und Vertrauensmann der Gewerkschaft bei der Reishauer AG. Der mittelständische Betrieb hat, was Präzisionsmaschinen zur Produktion von Zahnrädern angeht, technologisch die Nase relativ weit vorn. Die Arbeit erfordert Verstand und Geschick und ist für Schweizer Verhältnisse gut bezahlt.
Hammer und Sichel
Die Debatten um „1:12“ werden mit der Erbitterung eines Kulturkampfes geführt. Unternehmerverbände, Mitte-Rechts-Parteien und neoliberale Professoren machen seit Wochen ein Geschrei, als werde der Kommunismus eingeführt. Auf einem Plakat der „1:12“-Gegner fährt ein Jungsozialist auf einer Dampfwalze mit roter Fahne und Hammer-und-Sichel-Symbol die Schweiz platt. In Wahrheit gehe es den Jusos „um die Abschaffung des kapitalistischen Systems“, schreibt das Blatt Finanz und Wirtschaft. Die Neue Zürcher Zeitung will gar herausgefunden haben, dass der „1:12“-Vorstoß von der „chinesischen Parteidiktatur“ inspiriert sei. Dabei wäre nur ein winziger Bruchteil der Unternehmen von der Regelung betroffen.
In 1.200 Schweizer Firmen genehmigt sich der Chef mindestens zwölfmal mehr als der am schlechtesten bezahlte Mitarbeiter, ergab eine jüngst veröffentlichte Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Dies betreffe Großbanken, Versicherungen, Handelskonzerne, Pharmariesen und Consultingagenturen. Reishauer gehört nicht dazu, genau wie mehr als 300.000 andere Unternehmen. Im Schnitt liegen höchste und niedrigste Entgelte nur um das 2,2-fache auseinander. Gerade einmal 4.400 Spitzenverdiener – in einem Land mit acht Millionen Einwohnern – müssten das Limit hinnehmen und künftig mit einem Jahreseinkommen von etwa einer halben Million Franken über die Runden kommen.
Die dunkle Seite: Prekarisierung
Nach einer Studie der Gewerkschaft Unia hat sich die Lohnschere in den 41 größten Konzernen des Landes 2012 weiter geöffnet, und zwar von 1:120 im Vorjahr auf 1:135. 1986 gab es noch ein Verhältnis von 1:6. Die vermeintlichen Revolutionäre sehen „1:12“ deshalb als Rückkehr zu Verhältnissen, wie sie noch Anfang der neunziger Jahre als normal galten. „Überrissene“ Jahresgehälter wie die von Dougan (91 Millionen Franken), UBS-Chef Andrea Orcel (26 Millionen) oder Novartis-CEO Joseph Jimenez (13,2 Millionen) sind ein relativ neues Phänomen.
Die Kehrseite sind ausfransende Arbeitsverhältnisse am unteren Rand: Leiharbeit, Scheinselbstständigkeit, Prekarisierung. Erst Ende Oktober legte die Unia eine Baustelle am Hauptbahnhof in Zürich für zwei Tage lahm und erzwang die Nachzahlung vorenthaltener Löhne in Höhe von 700.000 Franken. Eine Spezialbaufirma hatte 30 polnische Arbeiter als Scheinselbstständige über Monate zu Niedrigstlöhnen beschäftigt. Bei der Gewerbeaufsicht waren sie als „Tomatenbauern“ gemeldet.
Letzten Umfragen zufolge liegen Befürworter und Gegner der Initiative gleichauf. Nestlé hat seine Mitarbeiter gewarnt, eine Annahme würde der Wettbewerbsfähigkeit schaden und „unser so erfolgreiches Gesellschaftsmodell grundlegend in Frage stellen“. Großbanken streuen Gerüchte über Abwanderungspläne.
Getrieben von Neid und Missgunst?
Schweizer Einkommensmillionäre ahnen, dass die „1:12“-Initiative nur „die Spitze des Eisbergs ist“, wie Urs Birchler, Professor am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich, im wirtschaftsliberalen Blog batz.ch schreibt. „Es kommt nämlich noch einiges, etwa Mindestlohninitiative, bedingungsloses Grundeinkommen.“ In der Tat stimmen die Schweizer 2014 darüber ab, ob ein Mindestlohn von 4.000 Franken in der Verfassung verankert wird, ein weiteres Referendum könnte Steuerprivilegien für ausländische Multimillionäre abschaffen. 2015 dann könnte über ein bedingungsloses Grundeinkommen entschieden werden.
Auch dürfte den selbsternannten Leistungsträgern noch der Schreck der „Abzocker-Initiative“ des parteilosen Ständerats und Unternehmers Thomas Minder in den Knochen stecken. Zwei Drittel der Wähler hatten im März für ein Verbot von Vorauszahlungen und Abgangsentschädigungen („goldener Fallschirm“) für Manager börsennotierter Aktiengesellschaften votiert.
Sind die Schweizer „getrieben von Neid und Missgunst“, wie alarmierte konservative Nachwuchspolitiker jüngst behaupteten? Rimmo lacht. Er arbeitet schon sein halbes Leben lang in einem Industriebetrieb, der die Welt seit 1788 mit Präzisionswerkzeugen beliefert. Dieser Mann ist nicht neidisch – er ist zu beneiden. „Uns geht es gut“, sagt er, „und ich bin dankbar dafür. Aber wir müssen aufpassen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.“ Diese Haltung beunruhigt die Gegner der „1:12-Begehrens“.
Keine Angst vorm Konflikt
Für die schweizerische Unia geht Gewerkschaftsarbeit weit über das Aushandeln von Tarifverträgen hinaus
Von Jörn Boewe, neues deutschland, 15. Nov. 2013
Die Unia, mit 200 000 Mitgliedern größte Gewerkschaft der Schweiz, verbindet erfolgreich Basisarbeit am Arbeitsplatz mit gesellschaftspolitischen Kampagnen.
Eine kantige rote Faust, flankiert von Hammer und Sichel, zerschmettert die kleine Schweiz. »Arbeitsplätze vernichten? Nein!« steht auf dem Plakat, das in einem Stil gestaltet ist, der an die Zeit des Kalten Krieges erinnert. Wer dieser Tage in der Eidgenossenschaft unterwegs ist, kann dieses oder ähnliche Plakate nicht übersehen. Am 24. November stimmen die acht Millionen Wahlberechtigten in dem kleinen Bundesstaat darüber ab, ob künftig eine Höchstgrenze für Managergehälter in der Verfassung verankert wird. »1:12« heißt die Initiative, ihre Idee: Kein Chef soll im Monat mehr verdienen als der schlechtbezahlteste seiner Angestellten in einem ganzen Jahr.
Initiiert wurde die Kampagne von der Jugendorganisation der Schweizer Sozialdemokraten. Richtig Fahrt nahm sie auf, als im Frühsommer 2013 die größte Gewerkschaft des Landes einstieg – die 200 000 Mitglieder zählende Unia. Ihre Aktivisten begannen, in Betrieben und auf der Straße für die Abstimmung zu werben, sie gaben der Kampagne ein radikales, angriffslustiges Gesicht.
Besonders gut kam etwa ihre »Abzockeruhr an«, eine Art Parkscheibe, mit der man im Handumdrehen sein Einkommen mit dem der Vorstandschefs von Schweizer Großkonzernen wie UBS, Novartis und Nestlé vergleichen kann. Wenn ein Facharbeiter für 5000 Schweizer Franken einen Monat arbeiten muss, schafft Brady Dougan, der Chef der Credit Suisse, das in nicht mal sieben Minuten. So einfach kann man soziale Ungerechtigkeit auf den Punkt bringen.
»Wir begnügen wir uns nicht damit, in jedem neuen Jahr die Löhne zu verhandeln und einen Tarifvertrag abzuschließen , sagt Roman Burger, Geschäftsleiter der Unia Zürich-Schaffhausen. »Wir sehen uns als eine Organisation, die in einem weiten Kontext für soziale Gerechtigkeit einsteht, sich in politische Diskussionen einmischt und diese mitprägt.« Das Schweizer System der direkten Demokratie begünstigt diesen Ansatz. So konnte die Gewerkschaft mehrfach Beschlüsse des Parlaments kippen, etwa die Rentenreform 2009, die zu einer rund zehnprozentigen Kürzung der Pensionszahlungen geführt hätte.
Möglich wurde dies auch, weil die 2004 als Zusammenschluss mehrerer Gewerkschaften der Branchen Bau, Industrie, Handel und Dienstleistung gegründete Unia auf systematische Basisarbeit setzt. »Von einer Gewerkschaft der Hochkonjunktur zur Gewerkschaft für raue Zeiten«, lautet ihr Motto. Dass das mehr ist als ein schöner Werbespruch, konnte die Unia jüngst bei einem Konflikt auf der Großbaustelle des Züricher Hauptbahnhofs beweisen. Ein von der Schweizer Bundesbahn SBB beauftragtes Spezialbauunternehmen hatte 30 polnische Bauarbeiter beim Bau einer Brandschutzanlage monatelang als Scheinselbständige zu Stundenlöhnen zwischen umgerechnet fünf und elf Euro beschäftigt. Nachdem die Unia Generalunternehmer und Auftraggeber im Oktober mit den Vorwürfen konfrontierte, wurden die Arbeiter über Nacht nach Polen zurückgeschickt. Daraufhin legte die Gewerkschaft die Baustelle still, holte die Arbeiter zurück und ließ sie ihre Geschichte auf einer Pressekonferenz berichten. Zwei Tage blieb die Arbeit liegen, dann erklärte sich das Unternehmen bereit, vorenthaltene Löhne in Höhe von 700 000 Franken nachzuzahlen.
»Präsenz an den Arbeitsplätzen« sei seit Jahren eine Stärke seiner Organisation, meint Burger. »Unsere Sekretäre verbringen ihre Arbeitszeit fast ausschließlich draußen bei den Beschäftigten.« Allerdings habe dies noch keine »tiefe Verwurzelung in den Strukturen der Belegschaften« bedeutet, räumt er ein. Deshalb setze die Unia jetzt darauf, in strategisch wichtigen Betrieben, Netzwerke von Vertrauensleuten aufzubauen. »Ziel ist es, dass diese dann am ›Tag X‹ ihre Leute mitnehmen können und dafür sorgen, dass der gesamte Betrieb tatsächlich in den Streik tritt«.
Unia organizing Zurich
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Zwei Tage Anfang September 2013 hatte ich Gelegenheit, Gewerkschafter der Unia in Zürich bei ihrer Arbeit zu begleiten und auszufragen. „Das Notizbuch voll, fehlen mir die Worte“, notierte ich, wieder zu Haus. „Zurück aus der Schweiz, nach zwei Tagen voll neuer Eindrücke, Gespräche, Ideen (…). Keine politische Bewegung hat mich so beeindruckt, seit ich 1994 bei den Zapatisten in Mexiko war. Nicht Solidarnosc, nicht Attac, nicht die spanische CGT, nicht Occupy xy …“ Die Ergebnisse dieser Reise flossen in das Organizing-Buch, an dem Schulten und ich damals arbeiteten, sowie mehrere Zeitungsartikel ein.
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