„Der Tunnelblick der Experten“

Der Historiker und Arzt Karl Heinz Roth hat ein brillantes Buch über die Coronapandemie seit 2019 geschrieben. Der 500 Seiten starke Band „Blinde Passagiere. Die Coronakrise und die Folgen“ ist im Grunde eine Medizin- und Sozialgeschichte. Für die Wochenzeitung Der Freitag habe ich mit dem Autor über einige seiner zentralen Ideen und Fragestellungen gesprochen. Es geht um die Besonderheiten der SARS-CoV-2-Pandemie aus medizinischer Sicht, um ihre Rolle als Beschleuniger der digitalen Revolution, um Verschiebungen im politischen Diskurs und die Krise der Linken.

„Pandemien sind natürliche Prozesse, deren Verlauf  durch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umstände beeinflusst wird“, sagt Roth. „Der Tunnelblick der Experten thematisiert in der aktuellen Coronapandemie jedoch nur bestimmte Einzelaspekte. Meistens tut er das auch mehr oder weniger richtig.  Nur verallgemeinert er diese Einzelaspekte unter Ausschluss der anderen. Im Grunde ist das klassisches Fachidiotentum.“ Sein Fazit: „Wir befinden uns (…) in einer Situation, in der sich
die Wissenschaft im Blindflug befindet – die Politik aber auch.“

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Bahnbetrieb und Infrastruktur zu trennen …

… ist gut und nicht schlecht. Warum das so ist und warum es mit „Privatisierung“ ganz und gar nichts zu tun hat, erklärt Claus Weselsky, der GDL-Vorsitzende, mit dem ich mich für die Wochenzeitung Der Freitag (Ausgabe 49/2021, 8. Dez.) unterhalten habe.
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Zeit zum Umlenken

Tarifflucht und Dumpinglöhne: Droht auch bei uns ein Lkw-Fahrermangel wie in England?

Von Jörn Boewe der Freitag, 43/2021, 22. Okt. 2021

Auf Brummionline.com gibt es Diskussionen und jede Menge praktische Tipps. Hinweise zum „Parken in Industriegebieten“ liest man da, und über Supermärkte, auf deren Parkplätze auch ein Sattelschlepper passt. Man tauscht sich aus über elektrische Lkw-Modelle von Daimler und Volvo und die Vorzüge von Abbiegeassistenten. Doch dazwischen herrscht Aufregung: „Lkw-Fahrer am Limit“, heißt es da, und „Transportbranche schlägt Alarm: Kollaps der Lieferketten droht.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Bilder aus Großbritannien sind da nur wenige Wochen alt. Leere Supermarktregale, lange Schlangen vor Tankstellen, Einsätze der Armee, um die Grundversorgung zu garantieren: All das nur, weil es zu wenig Lkw-Fahrer gibt. Der Brexit und die darauf folgenden politischen Entscheidungen mögen das Problem dort verschärft haben, doch vor allem lag die Zuspitzung daran, dass den britischen Truckern der Nachwuchs fehlt: Zigtausende Brummifahrer gehen in Rente oder hängen ihren Lkw-Führerschein an den Nagel, weil sie einen anderen Job annehmen, nicht genug junge rücken nach. Das könnte auch hierzulande passieren. Weiterlesen

Amazons letzte Meile – ein Feld neuer Klassenkämpfe im logistischen Kapitalismus?

Seit 2013 begleiten wir journalistisch und investigativ den Kampf der Amazon-Beschäftigten um bessere Arbeitsbedingungen. Nun ist unsere neue, gemeinsam mit Tina Morgenroth von Faire Mobilität Thüringen, verfasste Broschüre über Amazons Expansion in den Logistik-Bereich und die Perspektiven des Widerstandes als Gemeinschaftspublikation von Rosa-Luxemburg-Stiftung und DGB Bildungswerk Thüringen erschienen, auch mit Beiträgen zu gewerkschaftlicher Organisierung in der  Schweiz (UNIA),den USA (Teamsters) und Italien (CGIL).

Am Donnerstag haben wir die Studie in Erfurt vorgestellt (downloadlink). Schon einen Tag später musste Amazon öffentlich darauf reagieren. Danke an die Kolleginnen und Kollegen von Thüringen24 für ihre beherzte Berichterstattung.

https://www.thueringen24.de/thueringen/article233348269/Amazon-in-Thueringen-erfurt-onlinehandel-Studie-dgb-zeitarbeiter.html

Die Arbeiter sind nicht schuld

Beschäftigte in der Industrie wollen keine Blockierer oder Opfer der Transformation sein. Sie wollen sie mitgestalten. Von Jörn Boewe, Der Freitag 25/2021

Mit Kolleginnen und Kollegen stand ich im Herbst 2020 vor dem Werkstor eines Automobilzulieferers am Rand der Schwäbischen Alb. Das Unternehmen hatte zwei Dutzend Leuten gekündigt. Alle wussten, dass das nur der Anfang war. Betriebsrat und IG Metall versuchten, Widerstand gegen die Entlassungen zu organisieren, aber es war spürbar schwer, die bleierne Apathie zu durchbrechen, die über dem Ganzen lag.

Hier war sie, „die Transformation“. Sie rollte wie ein schicksalhafter Megatrend heran, der den Verbrennungsmotor ins Abseits schieben würde und mit ihm all jene Loser, die daran mitgebaut hatten. Nur ein paar noch nicht klar benannte Auserwählte würden die Reise in eine saubere und smarte Zukunft namens „Elektromobilität“ mitantreten dürfen.

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Wir könnten auch anders

Autoindustrie: Klimawandel, Verkehrswende: Beschäftigte in der Industrie wollen keine Blockierer oder Opfer der Transformation sein. Sie wollen sie mitgestalten

„Mit Kolleginnen und Kollegen stand ich im Herbst 2020 vor dem Werkstor
eines Automobilzulieferers am Rand der Schwäbischen Alb. Das Unternehmen hatte zwei Dutzend Leuten gekündigt. Alle wussten, dass das nur der Anfang war.“ So beginnt Jörn Boewes Reportage Die Arbeiter sind nicht schuld im aktuellen Freitag. Es geht um Geschichten aus einer Branche im Umbruch — der Automobilindustrie.

„Der schwäbische Zulieferbetrieb produzierte Teile für Dieselmotoren, kleine Schaufelrädchen aus Aluminium, die in Turboladern zur Luftverdichtung eingesetzt
wurden. Die Prognosen für den künftigen Absatz von Dieselmotoren waren
zuletzt mächtig nach unten korrigiert worden. Das Unternehmen tat, was Unternehmen
so tun, wenn ihnen sonst nichts einfällt – es schwenkte auf einen rigiden Sparkurs ein.
Einer der Betriebsräte erzählte nun eine interessante Geschichte. Ein externer Monteur,
der zur Wartung der stillstehenden Aluguss-Verarbeitungsmaschinen in den
Betrieb kam, hatte ihm gesagt: „Leute, warum sind eure Maschinen nicht ausgelastet?
Damit kann man doch diese und jene Komponenten für Elektroantriebe herstellen,
das ist jetzt ein Riesenmarkt. Bei Firma Sowieso laufen dieselben Maschinen auf
Hochtouren.“

Der Witz war, dass der Servicetechniker spontan mehr Zukunftsvision auf der Tasche
hatte als die ganze hoch bezahlte Vorstandsetage des Automobilzulieferers nach monatelangen Krisensitzungen … “

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Ohne Revolutionen dauern die Dinge länger

Die IG Metall ficht mit den Arbeitern in Ostdeutschland eine alte Ungerechtigkeit aus: die Lohnmauer

Von Jörn Boewe, der Freitag, 17/2021

„Beinhart verteidigen Sachsens Metallarbeitgeber eines der letzten Symbole der Spaltung Deutschlands: die 38-Stunden-Woche. Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall steht die Lohnmauer immer noch. Ausgerechnet in der produktivsten und profitabelsten Branche, der Metall- und Elektroindustrie, arbeiten die ostdeutschen Beschäftigten jede Woche unbezahlt drei Stunden länger als ihre Kollegen im Westen. Mit Warnstreiks in den ostdeutschen Autofabriken von Porsche, BMW und Volkswagen macht die IG Metall gerade mobil, um die Sache endlich zu Ende zu bringen.“ Kommentar von Jörn Boewe im aktuellen Freitag. Ab sofort überall, wo es Zeitungen gibt.

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ohne-revolutionen-dauern-die-dinge-laenger-etwa-der-kampf-um-die-35-stunden-woche

Amazon – zweimal draufgeschaut

Kurz vor Ostern ist noch einiges passiert bei Amazon. In Italien bestreikte ein Bündnis aus drei landesweiten Gewerkschaften erstmals die komplette Lieferkette von den Versandzentren bis zur Paketzustellung. Wir haben darüber für den Freitag mit dem italienischen Soziologen Francesco Massimo gesprochen, das Interview erschien online im Freitag >>> hier >>>
In den USA endete die Stimmabgabefrist im Versandzentrum BHM1 in Bessemer bei Birmingham, Alabama. Bei der Abstimmung entscheiden die rund 6000 Beschäftigten darüber, ob sie künftig von der Gewerkschaft RWDSU vertreten werden wollen. Das Ergebnis muss noch ausgezählt werden. Wir haben mit den beiden US-amerikanischen Soziologen Jake Alimahomed-Wilson und Ellen Reese über den „kometenhaften Aufstieg“ des Internetkonzerns gesprochen, und darüber, warum die beiden ihn für einen „Schlüsselmoment im globalen Kapitalismus“ halten. Das Gespräch erschien in der Onlineausgabe der Zeitschrift Luxemburg >>> hier >>>
Wir wünschen angenehme Lektüre und schöne Feiertage!

„Elektro-SUVs lösen kein Problem“

„Das Problem ist das Geschäftsmodell der Branche, das dafür ausgelegt ist, jährlich 70 Millionen Autos in den Weltmarkt zu drücken.“ Der Mann, der das sagt, ist Betriebsratsvorsitzender des zweitgrößten VW-Werks in Deutschland (Kassel-Baunatal mit 17.000 Beschäftigten), ist IG Metaller und heißt Carsten Bätzold. Wir haben mit ihm für die Wochenzeitung Der Freitag gesprochen. Bätzold spricht unbequeme Wahrheiten aus, die man von den Betriebsratsvorsitzenden der großen Automobilkonzerne so noch nicht gehört hat: „Was wir brauchen, sind weniger Autos, kleinere Autos, ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs mit bedarfsgerechten Rufbus- und Carsharing-Angeboten für den ländlichen Raum.“ Im aktuellen Freitag (12/2021), ab sofort überall dort, wo es Zeitungen gibt.

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Wo liegt Amazons Grenze?

… fragen wir in unserem Artikel auf der Seite Drei des neuen Freitag (7/2021):
„In 50 Jahren, so eine These des israelischen Historikers Yuval Noah Harari, werden sich die Menschen an die Covid-19-Pandemie erinnern als den „Moment, an dem die digitale Revolution Wirklichkeit wurde“. Ob die Prognose aufgeht, wer weiß. Doch schon jetzt ist klar: Corona ist ein Transformationsbeschleuniger. Exemplarisch deutlich wird dies an dem Schub, den der Technologiekonzern Amazon durch die Pandemie bekommen hat. Während die Weltwirtschaft im vergangenen Jahr in die tiefste Rezession seit 1929 rutschte, schrieb der Onlinehändler aus Seattle 2020 das erfolgreichste Jahr seiner Geschichte. Amazon steigerte den Umsatz um 38 Prozent auf sagenhafte 386 Milliarden US-Dollar, was in etwa dem Bruttoninlandsprodukt von Israel oder Irland entspricht.“
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